Rein mechanisches Üben und Spielen bei schnellen Stücken ?

R

Rubato

Guest
Obwohl ich nun doch schon einige Jahre Klavier spiele, bleibe ich immer wieder bei der selben Überlegung bzw. beim selben Problem hängen.

Beim Einüben von sehr schnellen Stücken ist es so, daß ich letzten Endes wirklich den Bewegungsablauf "trainieren" (üben) muß - mit den Noten kann ich dann nur noch wenig anfangen, weil ich beim richtigen Tempo gar nicht so viele geistige Ressourcen habe, um überhaupt noch mitzulesen. Letztendlich verkommt das Ganze dann wirklich zu einem Fingerbewegungsablauftraining. Wenn es gut eingeübt ist, stimmt dann auch die Artikulation, Dynamik etc. und das Stück hört sich gut an. Aber: Was hat das eigentlich mit "Klavier spielen" zu tun, oder ist es eben genau das ? Keine Ahnung, ob meine Frage verständlich formuliert ist, würde mich über Rückmeldungen / Erfahrungsberichte freuen.

Gruß
Rubato
 
wenn du nicht mehr in die noten schauen musst, müsste dass doch mehr mit klavierspielen zu tun haben!?

Wenn es gut eingeübt ist, stimmt dann auch die Artikulation, Dynamik etc. und das Stück hört sich gut an.

was ist daran nicht gut/falsch?
warum soll das nix mit klavierspielen zu tun haben?
 
Hmmmmh, ja, wieso eigentlich nicht ?

Ich denke, Klavier spielen müßte/sollte eine bewußte Aktivität sein, das ist aber vielleicht ein Denkfehler von mir; wenn ich beispielsweise ein langsames Jazz-Stück spiele, kann ich etwas vorausdenken und bestimmte Stellen mal ganz bewußt auch anders spielen (anders artikulieren, etc.), einfach nur so zum Spaß. Bei den besagten schnellen Stücken ist es mehr oder weniger so, daß ich beschließe, jetzts gehts los - und die Finger laufen dann von alleine, es "passiert einfach" und hört sich vielleicht ganz passabel an - aber deshalb, weil es oft und gut geübt ist, nicht weil ich in dem Moment des Spielens noch irgend etwas bewußt beitrage. Ich denke in diesem Augenblich immer, daß eigentlich auch ein gut trainierter Affe das ganz gut könnte (und der hat auch noch längere Finger ...) ? Vielleicht habe ich auch den falschen Ansatz, genau das will ich mit dem Post hier ja herausfinden.

Gruß
Rubato
 
ja, jetz versteh ich.

du hast es mehr oder weniger auswendig gelernt, ohne dabei diese auswendig gelernten abläufe bewusst mitzuerleben/mitzugestalten.

ich glaub, du kriegst das in dem tempo nicht wirklich mit, d.h. du hörst es nicht.

vielleicht hilft, das tempo zu reduzieren und sich erst langsam an das höhere tempo heranzuporschen.
 
Ich spiele zwar wahrscheinlich noch kürzer als Du Klavier aber ich meine auch zu verstehen was du meinst. Bei mir schaltet teilweise schon bei geringem bis mittleren Tempo der Kopf ab weil ich rein geistig es ab einer gewissen Geschwindigkeit gar nicht mehr nachvollziehen kann, was die Finger spielen. Aber das sehe ich an sich gar nicht mal negativ. ;)

Es ist wie so eine Art "Zen des Klavierspielens" - der Judo-Ka vollzieht sicher auch nicht mehr exakt den Bewegungsablauf nach, der nötig ist, um einen Ziegelstein zu zerschlagen, während er in genau dieser Bewegung ist.

Auf der anderen Seite lassen sich trotz Automatismus je besser man die Griffe und Tonleitern kann auch noch bei hoher Geschwindigkeit Variationen einbauen....das ist zumindest meine Beobachtung...
 
Hi,

das ganze ist mM klar.

Das Bewusstsein ist langsam. Es kann Kontrolle oder Entscheidungen ganz grob nur auf Sekundenebene ausüben/treffen.

Dagegen ist die unbewusste Motorik schnell in ihren Entscheidungen und Reaktionen (im ms Bereich). Das sieht man zB, wenn man beim Gehen stolpert und das völlig unbewusst und schnell auffängt.

Zum schnellen Klavierspielen benötigt man die schnellen Reaktionen und Prozesse der unbewussten Motorik. Die Motorik ist stroh-dumm. Sie weiss nicht welche Töne richtig und welche falsch sind. Damit sie daher die richtigen Spielbewegungen ausführt, muss sie sozusagen "programmiert" bzw. trainiert werden.

Das Bewusstsein sollte dabei aber nicht ausgeschaltet sein. Es sollte wie ein Dirigent durch Zuhören den Überblick wahren, das heisst die grösseren musikalischen Zusammenhänge, die dann nicht so schnell sind, überwachen und steuernd eingreifen. Die schnellen Motorprogramme können nämlich sehr wohl in bestimmten Parametern, die dem Bewusstsein zugänglich sind, kontrolliert und gesteuert werden. Solche Parameter sind zB der Lautstärkeverlauf oder der Verlauf der Artikulation.

Die Qualität eines Pianisten zeichnet sich auf dieser Ebene also dadurch aus, wie exakt und schnell seine Motorik-Programme sind, wie gut steuerbar sie sind und wie vielfältig sie sind.
Motorikprogramme haben auch hierarchische Eigenschaften. Aus kleinen Einheiten (zB 2 Tasten hintereinander anschlagen) können grössere (mehrere Tasten anschlagen) zusammengesetzt werden.

Leider hat sich meines Wissens noch niemand auf der wissenschaftlichen Ebene die Mühe gemacht diese notwendigen Programme zu analysieren und ihre Eigenschaften und wie man sie am effektivsten lernt zu untersuchen.

Gruß
 
Sehr gute Erklärung, Bachopin !

Wie ist es bei denjenigen, die sehr gut prima vista spielen - da sind die Motorikprogramme bzw. der Abruf derselben wohl unmittelbar an den optisch erfaßten Notentext gekoppelt ? Standard-Elemente wie z.B. Tonleitern, chromatische Läufe oder Oktavsprünge können dann gut abgerufen werden, das ist klar. Was aber ist mit "ungewöhnlichen" Stellen, für die liegen dann doch eigentlich keine Motorikprogramme vor, da eben genau diese Stellen ja vorher nie geübt wurden ?

Gruß
Rubato
 
Gasgeben, schalten, Kupplung kommen lassen, dabei den Blinker setzen, nach Rechts schauen, nach links schauen und gleichzeitig die Frau beruhigen "Wir sind fast noch pünktlich" .... für jemanden, der noch nie hinter einem Lenkrad gesessen hat, unmöglich zu schaffen. Selbst nach 4-5 Fahrstunden undenkbar. Nach 20 Jahren Fahrpraxis ganz normal ... auch das ablesen schwieriger Stellen im Notentext und das gleichzeitige Umsetzen in Bewegungen ist einfach Übungssache. Zugegeben: Es ist langes üben und spielen Voraussetzung. Die wenigsten werden das Ziel erreichen, jede auch noch so schwierige Stelle vom Blatt spielen zu können. Aber einige haben es wohl so weit gebracht.

Gruss
Hyp
 
Hallo Bachopin,
von

bis
Aus kleinen Einheiten (zB 2 Tasten hintereinander anschlagen) können grössere (mehrere Tasten anschlagen) zusammengesetzt werden.
klasse zusammengefasst!!!


nur das hier:
Leider hat sich meines Wissens noch niemand auf der wissenschaftlichen Ebene die Mühe gemacht diese notwendigen Programme zu analysieren und ihre Eigenschaften und wie man sie am effektivsten lernt zu untersuchen.
hättest Du weglassen sollen - schau: gerade das ist doch das Arbeitsgebiet der Klavierpädagogen, und zwar in der Praxis, am Instrument und die vermitteln genau das (die "Programmierung") ihren Studenten. Freilich gibt es das nicht in Taschbuchformat zum Selbststudium ;).


ansonsten:
Tempo ist eine Frage der Gewohnheit - je genauer und intensiver man ein schnelles Stück kennt, umso normaler wird das Tempo: es gehört organisch ja zum Stück dazu. Das dauert eine Weile, weil beide - Kopf und Hand - sich daran gewöhnen müssen; und für die Hand isses halt durchaus eine "sportliche" Form der Gewöhnung.
 
Nimm Dir Zeit und nicht das Leben.. ;)
 
Hi,

ich habe hier ein kleines Erklärungsmodell. Man muss allerdings immer beachten. Erklärungen sind ja nur Modelle. Die Realität (der Mensch) ist meist viel komplexer.

Beim Spielen nach Noten (ob prima vista oder nicht) würde ich folgenden Modellprozess zugrunde legen:

Die Noten werden visuell erfasst und erkannte Muster/Teile mentalen Musik-Objekten (Repräsentierungen, gedankliche Bilder) zugeordnet.
Diese Musik-Objekte sind je nach Reifegrad des Spielers unterschiedlich gross und komplex. Bei einem Anfänger sind es zB nur einzelne Noten bei einem Meister grössere Gruppen von Noten und auch höhere generische Noten-Objekte (zB Tonleiter/Akkord oder Abschnitt/Teil daraus). Die generischen Objekte werden dann noch zusätzlich qualifiziert (zB mit dem Grundton einer Tonleiter/Akkord oder Geschlecht (Dur, Moll, ..)).

Diese komplexen Musik-Objekte werden dann Klang-Repräsentierungen/Vorstellungen zugeordnet und daraus dann Spielbewegungsvorstellungen.

Die Spielbewegungsvorstellungen sind der Input für das motorische System, das das dann nach seinen unbewussten aber gelernten/trainierten Reflexen sozusagen abarbeitet und in konkrete Bewegungen umwandelt. Die Spielbewegungsvorstellungen sind ideell und keine konkreten Muskel- oder Gelenkbewegungsvorstellungen. Sie sind so etwas Ideelles wie zB die Vorstellung "Apfel ergreifen".

Ich muss jetzt allerdings dazu sagen, dass ich das aus meinem Wissensstand über die Motorik und Psychologie des Menschen zusammengebastelt habe. Ich habe keine Quelle dazu, wo das genau so beschrieben ist.

Ob jetzt also zB die einzelnen Zuordnungsprozesse wirklich vorkommen, also experimentell nachweisbar sind, kann ich nicht sagen. Es ist aber zumindestens ein Modell, das konsistent und logisch ist (und vielleicht auch verständlich ;-) ).


Gruß
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Es gibt keine reinen "Motorik-Programme".

Deren Existenz anzunehmen ist der Grundirrtum, dem die meisten Menschen aufsitzen, und wer dies tut, wird sich zeitlebens wundern, warum er das Instrumentalspiel nicht gebacken kriegt.

Beim Instrumentalspiel steuern die Klänge (seien es zu hörende oder vorgestellte) die resultierende Motorik!

Ohne Klangvorstellung, ohne "Klangwille" (Martienssen), ohne wirkliches Hören des momentanen Klanges KANN keine sinnvolle Motorik entstehen.


Sehr wichtig, auch fürs "Hinkriegen" von Tonfolgen, ist ferner die Emotion - jeder weiß das: Bin ich beim Üben begeistert und gehe emotional so richtig mit dem Schwung des Stückes mit, dann klappt es viel besser, als wenn ich "deutsch-beamtenhaft" oder ängstlich-besorgt in meine Übesitzung gehe ("So, dann wollen wir mal der Übepflicht nachkommen!" oder "Oha, will doch mal gucken, ob der Scheiß-Lauf heute morgen noch geht!")

Ein Organismus ist kein zu programmierender Roboter. Es gilt, den Gesetzen des Organismus zu folgen.

LG,
Hasenbein
 
Hi rolf,

Modelle zusammenbasteln ist ein häufiges Hobby
ja, auch meins. Ich bin halt ein Modellbauer.

- aber was nützt dieses Modell für die Frage hier?
Es war ja ein Modell auf die Frage wie Prima-Vista-Spiel funktioniert.
Ein Modell kann man dann benutzen, um eventuell andere Fragen damit beantworten zu können.
ZB diese: Wie kann ich prima-vista-Spiel am besten lernen, was muss ich beachten?

Mir fallen jetzt allerdings nur folgende aus dem Modell abgeleitete Antworten ein:
Man muss darauf achten, dass die Klangvorstellung die Bewegung steuert. Das ist allerdings wirklich nichts neues. ;-)

Man sollte bewusst versuchen und üben, grössere Notenkomplexe zusammenzufassen und nicht nur einzlene Noten zu erkennen. Aber auch das ist nichts neues und passiert wahrscheinlich automatisch, wenn man intensiv Prima-Vista-Spiel ausübt.

Naja, vielleicht gibt es noch andere Antworten (aus dem Modell).

Danke.

... hättest Du weglassen sollen - schau: gerade das ist doch das Arbeitsgebiet der Klavierpädagogen, und zwar in der Praxis, am Instrument und die vermitteln genau das (die "Programmierung") ihren Studenten. Freilich gibt es das nicht in Taschbuchformat zum Selbststudium ;).
Ja, das ist richtig und ich habe da auch nicht genug Kenntnisse. (Ich habe ja nur einen Schüler. ;-) )

ansonsten:
Tempo ist eine Frage der Gewohnheit - je genauer und intensiver man ein schnelles Stück kennt, umso normaler wird das Tempo: es gehört organisch ja zum Stück dazu. Das dauert eine Weile, weil beide - Kopf und Hand - sich daran gewöhnen müssen; und für die Hand isses halt durchaus eine "sportliche" Form der Gewöhnung.
Ja, deswegen sollte man mM auch tempomäsig manchmal an die Grenze gehen und nicht nur langsam und konzentriert üben, damit sich eben diese Tempo-Gewöhnung überhaupt ausbildet.
Da habe ich mal wieder einen praktischen (konkreten ;-) ) Tip. Es gibt digitale Metronome, da kann man nicht nur die Viertel schlagen lassen, sondern beliebige n-Tolen zu den Vierteln dazu. Ich benutze eine 8-Tole in rel. langsamen Vierteln um schnelle 1/16-Passagen zu lernen.
Dadurch ist das Grundtempo gar nicht so schnell und hektisch, aber man spielt trotzdem schnell.

Gruß
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi hasenbein,

Es gibt keine reinen "Motorik-Programme".

Deren Existenz anzunehmen ist der Grundirrtum, dem die meisten Menschen aufsitzen, und wer dies tut, wird sich zeitlebens wundern, warum er das Instrumentalspiel nicht gebacken kriegt.

Beim Instrumentalspiel steuern die Klänge (seien es zu hörende oder vorgestellte) die resultierende Motorik!

Ohne Klangvorstellung, ohne "Klangwille" (Martienssen), ohne wirkliches Hören des momentanen Klanges KANN keine sinnvolle Motorik entstehen.


Sehr wichtig, auch fürs "Hinkriegen" von Tonfolgen, ist ferner die Emotion - jeder weiß das: Bin ich beim Üben begeistert und gehe emotional so richtig mit dem Schwung des Stückes mit, dann klappt es viel besser, als wenn ich "deutsch-beamtenhaft" oder ängstlich-besorgt in meine Übesitzung gehe ("So, dann wollen wir mal der Übepflicht nachkommen!" oder "Oha, will doch mal gucken, ob der Scheiß-Lauf heute morgen noch geht!")

Ein Organismus ist kein zu programmierender Roboter. Es gilt, den Gesetzen des Organismus zu folgen.

du wirst vielleicht überrascht sein, ich finde als "Modellbauer" alle deine Aussagen richtig.

Das Leben besteht nicht aus Modellen, sondern ist mehr.
Aber Modelle (oder Abstraktionen) sind manchmal für bestimmte Fragestellungen hilfreich.

Gruß

PS: Martienssens "Schöpferischer Klavierunterricht" habe ich natürlich gelesen. Aber ist halt ein bischen alte Sprache und deswegen nicht ganz so prickelnd. ;-)
 
Aber ist halt ein bischen alte Sprache und deswegen nicht ganz so prickelnd. ;-)

Du redest wie so'n Normalo, der sagt: "Klassik? O nö, das hör ich nicht, das ist ja ALT!" "Jazz? Hör ich nicht, das ist ja was für Opas!" "Nirvana? Ist ja völlig veraltet, das warn ja die 90er! Zum Oldie-Hören bin ich zu jung!"

:tuba: :roll:

LG,
Hasenbein
 
Hi,

Du redest wie so'n Normalo, der sagt: "Klassik? O nö, das hör ich nicht, das ist ja ALT!" "Jazz? Hör ich nicht, das ist ja was für Opas!" "Nirvana? Ist ja völlig veraltet, das warn ja die 90er! Zum Oldie-Hören bin ich zu jung!
wir sind hier doch ein modernes junges Forum und ich mach hier halt auf jung. ;-) (Das kannst du doch auch gut ;-) )

Nahe am Knochen (Organismus) ist das Leben am echtesten.
Kannst du mir mal helfen, steh grad auf'm Schlauch.

Gruß
 
...noch älter ist der Hinweis, dass der Geist zwar willig, doch das Fleisch schwach ist...

eine Armada von :D...!!!

Ein Organismus ist kein zu programmierender Roboter. Es gilt, den Gesetzen des Organismus zu folgen.

Toll gesagt: und sehr universell wahr und gültig!!

(umso wichtiger, sich dem Verständnis von dessen Gesetzen zu nähern...)

ich habe hier ein kleines Erklärungsmodell. (...)

Lieber Bachopin, ich habe auch eine ganze zeitlang versucht, mich von der "wissenschaftlichen" Seite dem Klavierspiel zu nähern. Die Erkenntnis daraus war: braucht man eigentlich nicht, und bringt auch nicht viel...

Die Gesetze des Organismus sind in diesem Fall einfach: möglichst fehlerfrei üben, und dabei so schnell wie möglich, aber so langsam wie nötig, spielen, ohne daß man die Kontrolle verliert, und Fehler oder unsauberes Spiel entstehen. Zielsetzung dabei ist: die Spielgeschwindigkeit mittelfristig durch Üben bis zur Zielgeschwindigkeit zu steigern. Das wars (?)

---

Bei guten "vom-Blatt-Spielern" kann ich mir vorstellen, daß diese den Notenetxt ein ganzes Stück "im voraus" lesen, natürlich gleichzeitig spielen, und so noch einige zeitliche Reserven haben, um eine schwere Stelle zu durchschauen, bevor sie ans Spielen kommt. Nichts genaues weiß ich aber nicht.

Schönen Gruß,
Dreiklang
 

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