Positive Überraschungen

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11. Apr. 2007
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Liebe Clavios,

heute mal ein vielleicht etwas abseitiges Thema:

Wir alle, die Profis vielleicht ausgenommen, kennen den Fall, dass das Anhören einer Aufnahme des eigenen Spiels einige unangenehme Überraschungen zutage fördert. Man hat das Tempo nicht durchgehalten, die große Atempause war ganz kurz und die dynamische Steigerung fiel eher dürftig aus.

Nun gibt es nach meiner Erfahrung aber auch den gegenteiligen Fall. Ich bemerke beim Spielen z.B. Verspannungen, ungleichmäßiges Spiel, Holperer und finde mein Spiel ganz misslungen. Wenn ich die Aufnahme anhöre, bin ich erstaunt, wie wenig davon tatsächlich hörbar ist. Das akustische Ergebnis ist also besser, als ich erwartet hatte.

Ich nehme an, es hängt damit zusammen, dass für mich das Spielgefühl sehr deutlich das Hören beeinflusst. Daher der Unterschied, im Guten wie im Schlechten von dem während des Spiels Zuhören zum Anhören der Aufnahme ohne zu spielen. By the way: irgendwelche Empfehlungen, wie man diese beiden Wahrnehmungen einander annähern kann?

Kennt jemand das Phänomen? Ist das normal? :)

lg marcus
 
Das ist völlig normal, selbst bei gut vorbereiteten CD oder Rundfunkaufnahmen ist man immer wieder überrascht, wie Einzelnes besser - oder natürlich auch schlechter - rüberkommt, als man das beim Spielen empfunden hat.
Oft hängt das mit der Konzentration auf bestimmte Parameter zusammen, die man im Vorfeld als schwierig zu bewältigen erkannt hat, und die sich dann beim Spielen vordrängen. Anderes - Gutes!? - ist dagegen nicht so prominent gehört und empfunden worden.
 
@.marcus. ,
vom Klavierspiel jetzt nicht (ich habe gestern gerade das 1. Mal mein Klavierspiel aufgenommen) aber reichlich von den Aufnahmen meiner Gesangsstunden.
Da waren viele Überraschungen bei, sowohl negative als auch positive.
Manchesmal hat meine GL gesagt, du wirst den Unterschied hören auf der Aufnahme, wo ich im Unterricht wirklich absolut keinen Unterschied bemerkt habe. Auf der Aufnahme war er dann absolut deutlich zu vernehmen.
Beim Spielen oder Singen hat man sein Augenmerk auf so viele verschiedene Dinge, da kann man einfach nicht alles wahrnehmen. Leider sind Aufnahmen da gnadenlos.

Bei meiner gestrigen Aufnahme habe ich bemerkt, dass ich deutlich langsamer gespielt habe, als gefühlt. Die Aufnahmen sind alle gleich wieder in der Tonne gelandet.:lol:
 
By the way: irgendwelche Empfehlungen, wie man diese beiden Wahrnehmungen einander annähern kann?
Je besser man ein Stück technisch beherrscht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit solcher Wahrnehmungsabweichungen.

Einfacher Test: spiele Alle-meine-Entchen... Du wirst kaum Probleme haben, genau das zu hören, was Du spielst, auch auf einer Aufnahme.

Was auch gut hilft, ist, ein Stück immer wieder mal durchzuspielen, auch wenn man's "eigentlich schon kann".

Das Stück "reift" trotzdem. Und das sich-selber-Zuhören klappt dann auch immer besser und wird zu einer Selbstverständlichkeit.

Und wenn der musikalische Puls gut funktioniert, dann gibt's auch kaum böse Überraschungen (der leitet einen ja idealerweise in jedem Augenblick beim Spielen).

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p.s. bei mir war's mal die Länge einer Pause zwischen zwei Abschnitten eines Stückes. Beim Spielen war die zu kurz geraten; das hab' ich dann in der Aufnahme bemerkt und korrigiert.
 
By the way: irgendwelche Empfehlungen, wie man diese beiden Wahrnehmungen einander annähern kann?

Kennt jemand das Phänomen? Ist das normal? :)

Lieber marcus,

das ist völlig normal, passiert aber immer seltener, je besser man sich zuhören kann. Ist mir auch mal passiert, als ich bei einem Konzert die Arpeggione-Sonate begleitet habe und dachte, ich hätte den Anfang nicht so schön gespielt. Bis mir der Prof. sagte, so schön habe er den Anfang noch nie gehört.

Das Einzige, was man machen kann, ist, sich immer besser zuhören zu lernen und so weit wie möglich Durchlässigkeit und Gelöstheit im Körper umzusetzen. Man könnte dies üben bei sehr leichten Stücken, die keine technischen Schwierigkeiten haben. Dort nur auf Gelöstheit achten und auf das, was du musikalisch umsetzen willst.

Mir hat mal geholfen, dass Brendel bei irgendeiner Agitato-Stelle gesagt hat, es müsse nur agitato klingen, man selbst dürfe aber auf keinen Fall agitato sein!

Man darf also nicht "mitten drin" im Stück stecken, sondern wie ein Dirigent die Übersicht behalten und es einfach "geschehen lassen". Dazu gehört Selbstvertrauen und "loslassen können", aber es ist wichtig, dass man nicht zuviel "macht"!

Liebe Grüße

chiarina
 
Mir passiert(e) das manchmal im Unterricht, wenn wir an einer Stelle relativ lange herumgebastelt und viel ausprobiert haben. Irgendwann ging meine Objektivität etwas verloren. So wie wenn ich 20 Mal das Wort "Pfeffer" sage und es mir irgendwann ganz merkwürdig und neu vorkommt.
 
Was das Phänomen für mich noch unkontrollierbarer macht: Die Ohren sind ja nicht immer gleich. Selbst wenn man sich selbst gut zuhören kann, sind die Ohren doch jeden Tag anders. Das geht schon damit los, dass das gesamte Klavier auf einmal richtig sch... klingt und am nächsten Tag wieder total geil. Ähnlich geht es mir mit eigenen Aufnahmen: "Boah, nee, warum ist das nicht längst gelöscht"....3 Wochen später: "oh, das haste ja richtig gut hinbekommen".

Mann...jetzt muss ich 20x Pfeffer sagen. :015: Kann man mit jedem Wort probieren: Es wird irgendwann komisch.
 
Bei Aufnahmen (sei es, dass live mitgeschnitten wird oder ich eine CD aufnehme) ist es typischerweise so, dass ich beim Anhören unmittelbar danach stets bei einigen Stellen denke: Auuu weia! Verspieler, schlechtes Timing, whatever.

Höre ich das Gleiche nach einer längeren Pause nach ein paar Wochen an, denke ich sehr oft entweder: "Hä, wo habe ich denn da so ein Problem gesehen?" oder zumindest "OK, nicht die geilste Stelle, aber akzeptabel."

Der umgekehrte Fall - dass ich erstmal dachte, es wäre OK, später aber feststelle, dass es doch nicht gut genug ist - kommt auch vor, ist aber echt selten.
 
....ich finde, bei eigenen Aufnahmen kommt die profane Wahrheit zu Tage, da merkt man, welchen Murks man spielt. Ist frustrierend aber meist wahr :-)
 

Komisch. Ich habe meine Aufnahmen vielleicht ein dutzendmal probegehört an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (sozusagen gründlich kontrollgehört).

Ich war sehr zufrieden damals damit, und bin es heute ebenfalls. Meine "Campanella" habe ich mir in der Zwischenzeit mit Freude ab und zu selbst mal wieder angehört.

Wieso ändert sich denn die Einschätzung einer Musikaufnahme so drastisch mit der Zeit, wie von einigen hier beschrieben...?

Das kenn' ich überhaupt nicht... entweder etwas gefällt mir, oder halt nicht, nach ein paar Jahrzehnten Beschäftigung mit Musik... eine Aufnahme ändert sich ja schließlich nicht...
 
Es kann eigentlich nur mit der "inneren Distanz" bzw. "Objektivität" zusammenhängen, mit der man Musik hört oder beurteilt.

Ist beides da (bzw. gegeben), dann "hört" man eine Aufnahme auch prinzipiell immer gleich.

Einen Unterschied erlebe ich (natürlich) manchmal in der Wirkung einer Aufnahme. Je nach Stimmung kann sie mich mal mehr - oder mal weniger - bewegen.

Aber an meiner grundsätzlichen Einschätzung einer Aufnahme ändert das erstmal nichts...
 
Wieso ändert sich denn die Einschätzung einer Musikaufnahme so drastisch mit der Zeit, wie von einigen hier beschrieben...?

Naja, wenn eine Aufnahme noch ganz frisch ist und ich weiß, wo ich was verkackt habe und ich höre mir sie dann gleich an, achte ich beim Hören auch genau auf diese Stelle. Dann ist die Aufnahme für mich Mist.
Nach längerer Zeit sind die Fehler nicht mehr mittelbar präsent, ich weiß vielleicht noch, dass da was doof gelaufen ist, achte aber nicht mehr auf eben genau diese eine Stelle. Somit nehme ich persönlich das Gesamtergebnis besser war und stelle dann fest, ach so schlecht war das gar nicht.

Im anderen Fall z.B. Aufnahme eines Konzertes ist man manchmal noch von der ganzen Stimmung gefangen, wenn man die Aufnahme sofort hört. Da können Emotionen einiges beschönigen. Hört man sich das längere Zeit später kontrollierter an, nicht mehr verklärt, dann ist das Ergebnis ab und an schon auch mal...schei..benkleister, was für ein Murks. Bzw. man weiß einfach, dass man sich weiterentwickelt hat und es besser kann.

Wohlgemerkt, dass ist mein persönliches Empfinden, kann bei anderen ganz anders sein, wie bei dir offensichtlich.
 
Wohlgemerkt, dass ist mein persönliches Empfinden, kann bei anderen ganz anders sein, wie bei dir offensichtlich.
Ne, ich würde das von Dir gesagte sogar auch unterschreiben.

Ganz frisch nach einem Spiel oder der Erstellung einer Aufnahme, da wäre ich selbst auch ein wenig vorsichtig.

Deswegen habe ich auch damals nochmal eine Nacht drüber geschlafen.

Man kann auch zwei oder drei Nächte daraus machen, wenn man sichergehen will, bevor man eine Aufnahme veröffentlicht. Oder vielleicht auch eine Woche...
 
Ich bewundere, ja beneide jeden, der als Amateur sein Spiel bei einer Aufnahme mehr oder weniger fehlerfrei hinbekommt. Ich habe das schon lange aufgegeben, denn sobald aufgenommen wird, kommt mit Sicherheit eine Stelle bei der ich hängen bleibe oder irgendwie stolpere.
Das ist auch nicht vom Schwierigkeitsgrad abhängig.
Hundertmal probiert, hundertmal ist nichts passiert.... :026::017::013:
 
Das ist dann wohl die Aufregung. Da bist Du auch nicht der Einzige... ; -))

Zwei Sachen können da helfen, wenn ich mich recht entsinne:

a) sich selbst oft aufnehmen, oder zum Beispiel einfach mal ständig beim Üben/Spielen ein Aufnahmegerät mitlaufen lassen, dann gewöhnt man sich daran

b) "Ganz in der Musik sein". Das ist wohl ein bisschen schwieriger, aber wohl auch mit etwas Übung machbar.
 
Bei Aufnahmen sind am schlimmsten und immer hörbar Störungen im Zeitfluss bzw. Flow.
Z.BSp. man verspielt sich und wartet kurz weil man erstarrt ist vor Schreck des falschen Tons. Wichtig ist also immer weiter spielen, der Fluss darf niemals abreißen.

Auch sehr auffällig und störend ist wenn einzelne Töne herauskrachen, also lauter sind, dies zerstört die Stimmung. Sind auch zu jeder Jahreszeit wahrnehmbar.:017:

VLV
 
Mir fällt es schwer, mein tatsächlich gespieltes Tempo richtig zu beurteilen.
 
Ich nehme mich beim Üben auch bei einigen Stücken auf. (Insbesondere bei denen, die ich mal vorspielen möchte.) Ich merke dann erst richtig, dass meine Spielart (z. B. Anschlagsart, Phrasierung, Tempo) noch gar nicht so rüber kommt, wie ich beim Üben dachte (hörte). Dann arbeite ich daran und nehme mich wieder auf und verbessere so mein Spiel.
Vielleicht sollte ich das noch konsequenter machen, damit mein Hören sich der Außenwirkung (Aufnahme) mehr anpasst. (?)
Einige Aufnahmen hebe ich auf und mit Abstand zum Aufnahmetag fällt mir erst richtig auf, was schon gut gelungen ist.
 

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