Musikalitaet bei Czerny-Stuecken auf Youtube

N

Normalo

Dabei seit
5. Aug. 2021
Beiträge
198
Reaktionen
88
Mir wurde in einem anderen Thema nahegelegt, den musikalischen Aspekt bei Uebungen einzubringen und nicht nur mechanisch zu ueben. Meine neue KL macht mit mir Czerny 599 durch, mein erstes Stueck war Nr. 12. Jetzt hab ich mal zum Vergleich auf Youtube dieses Stueck gesucht und bin ueberrascht, dass es anscheinend niemand musikalisch spielt, sondern (fast) rein mechanisch. Hoere ich es einfach nicht?

Hier die Videos, von denen ich mir mehr als zehn angeschaut hab:

Von ihm hier hatte ich erwartet, dass es musikalischer klingt:


Scheint aber alles in derselben Lautstaerke zu sein und ohne Emotionen. Ausser in der Mitte hoere ich ein forte und piano.

Ich zweifle wirklich grad an meinem Hoervermoegen. Vielleicht muss sich das erst noch sensibilisieren?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, das meine ich auch - und wurde in dem anderen Faden von den Profis auch wiederholt thematisiert: Uebungen sind Uebungen, es sei jedoch sinnvoll(er), mit Stuecken der Klavier-Literatur zu lernen und zu ueben, das ist Musik. Ich denke z.B. an das Jugendalbum von Tschaikowsky (fuer ein bisschen fortgeschrittenere Anfaenger). Hoer Dir das mal in der Playlist desselben Kanals an.
Von diesem Musikprofessor hatte uebrigens @chiarina irgendwo einmal hier geschrieben, dass er vielleicht ein bisschen zu schnell spielt, aber ansonsten gut ist.
 
Also ich finde das in dem Video schon "musikalisch" gespielt, also sinnvoll strukturiert, die einzelnen Phrasen kommen richtig heraus und sind leicht dynamisch voneinander abgesetzt etc. Bei Anfängern, die noch damit kämpfen, dürfte das weniger sinnvoll und abgemessen klingen.

Ich glaube, letztlich muss man sich einfach fragen, was diese Etüden von Czerny überhaupt sind. Dazu kann ich den Text von Ulrich Mahlert (Professor emeritus der Musikpädagogik) empfehlen: "Carl Czernys Didaktik der Virtuosität". Wenn du mir eine private Nachricht schickst mit deiner Mailadresse, kann ich dir den auch als pdf schicken.

lg marcus
 
Ich stimme nicht zu, dass es wie eine Spieldose klingt oder musikalisch wertlos sei. Ohne Czerny wäre unser modernes Klavierspiel nicht möglich geworden - er war Lehrer von Liszt, Leschetizky und Thalberg und hat die Rolle eines wichtigen Multiplikators in der historischen Klavierpädagogik. Er hat immer von seinen Schülern verlangt, seine Etüden mit Nuancen und verschiedenen Anschlagsarten zu spielen; an den Etüden sollte auch der musikalische Vortrag insgesamt gelernt werden. Deswegen hat z.B. auch Leschetizky viel Czerny im Unterricht verwendet.
 
Ich stimme nicht zu, dass es wie eine Spieldose klingt oder musikalisch wertlos sei.
Natürlich nicht. Für Spieldosen verwendet man gewöhnlich schöne Musik, die den Menschen gefällt. Das wusste bereits Mozart, der für ein "Uhrwerk in einer Orgel" (oder war es "eine Orgel in einem Uhrwerk"?) sich wirkliche Mühe gegeben hat. Wenn auch das Ergebnis mangels Pfeifenpower unbefriedigend blieb.
 
Ich habe jetzt den Czerny in der Germer-Ausgabe verordnet bekommen und finde diese kleinen Stückchen oft ganz beachtlich. Ich übe sie auch ganz gern. Vieles ist schöner als das oft nichtssagende moderne Klavierschulengedudel. Und wenn die KL das vorspielt, klingt das immer ganz toll, da merke ich dann gleich, wie viel ich da noch dran zu üben habe.
 
Ich stimme nicht zu, dass es wie eine Spieldose klingt oder musikalisch wertlos sei. Ohne Czerny wäre unser modernes Klavierspiel nicht möglich geworden - er war Lehrer von Liszt, Leschetizky und Thalberg und hat die Rolle eines wichtigen Multiplikators in der historischen Klavierpädagogik.

Das mag ja vielleicht sein - aber darum geht's hier im Augenblick nicht, sondern um die Beurteilung der (musikalischen) Qualität eines Klavierstückchens. Und: Bekanntheit/Berühmtheit schützt bekanntlich nicht davor, musikalisch eher Seltsames zu fabrizieren oder fabriziert zu haben (siehe Neue Musik usw.)

Er hat immer von seinen Schülern verlangt, seine Etüden mit Nuancen und verschiedenen Anschlagsarten zu spielen; an den Etüden sollte auch der musikalische Vortrag insgesamt gelernt werden. Deswegen hat z.B. auch Leschetizky viel Czerny im Unterricht verwendet.

Wieso - um in einem Vergleich zu sprechen - soll man einem Mechaniker die Aufgabe geben, eine alte Rostlaube fit zu machen versuchen (bezogen auf dieses Stückchen hier), wenn er stattdessen einen neuen schicken Mittelklassewagen in eine getunte Rakete verwandeln könnte...? Das erschliesst sich mir nicht.
Letzteres ist doch viel interessanter und befriedigender (und auch sinnvoller).
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu seiner Zeit war Czerny keine
sondern hat dem im 19. Jh. modernen technisierten Übe-Verständnis (man könne und müsse Technik isoliert vom musikalischen Ausdruck üben) seine Übestückchen entgegen gesetzt, worin immer auch musikalische „Standard-Pattern“ (kleine Kadenzen, Begleitmuster, Harmoniewechsel etc.) enthalten sind und dadurch mitgeübt werden.
(just my 2 cents :egelTeufel:)
 

Vielleicht hab ich mich missverstaendlich ausgedrueckt. Mir geht's nicht um die Musikalitaet des Stuecks, sondern um die des Vortrags. Nach meinem Verstaendnis liegt es ja in der Kunst, ein Stueck musikalisch vorzutragen.

In dem eingangs genannten Stueck hat mir meine KL beigebracht, Tonfolgen oder ganze Phrasen, die nach oben tendieren, also z.b. C-D-E-F-G, crescendo zu spielen, statt jeden Ton in derselben Lautstaerke, um Spannung aufzubauen. Oder am Ende eines Stuecks die letzten n Noten (keine genaue Angabe) langsamer zu spielen. Und mehr.

Das alles hoere ich in den etlichen Videos nicht. Deshalb meine Verwunderung. Kann sein, dass meine KL in ihrer Musikalitaet uebertreibt, oder aber die Pianisten in den Videos beim Vortrag dieses Stuecks nicht darauf fokusiert sind. Ich fand jedenfalls das Spiel meiner KL lebendiger, dynamischer.
 
Wieso - um in einem Vergleich zu sprechen - soll man einem Mechaniker die Aufgabe geben, eine alte Rostlaube fit zu machen versuchen (bezogen auf dieses Stückchen hier), wenn er stattdessen einen neuen schicken Mittelklassewagen in eine getunte Rakete verwandeln könnte...?
Weil der Mechaniker Anfaenger ist und erstmal ueber einfache Aufgaben lernen muss, wie man Raketen baut.

Und der Pianist im Video hat nunmal dieses Stueck gepielt, das "unter seinem Niveau" ist, also warum nicht gleich "richtig"? (Ich will mich distanzieren von der Annahme, dass auch ein vermeintlich einfaches Stueck fuer einen Pianisten "unter seinem Niveau" ist)
 
Weil der Mechaniker Anfaenger ist und erstmal ueber einfache Aufgaben lernen muss, wie man Raketen baut.
Gut. Allerdings dürfte es ähnlich geeignete Stücke auch in "melodischer/musikalischer" geben, würde ich sagen.

Nunja: was ich auf keinen Fall will, ist, Anderen den Spaß an einem Stückchen oder am Üben verderben.
Wenn man Freude an irgendwas hat, dann passt es ja erstmal auch.

Und der Pianist im Video hat nunmal dieses Stueck gepielt, das "unter seinem Niveau" ist, also warum nicht gleich "richtig"?

Ach je, so was habe ich mich längst aufgehört zu fragen. Warum dirigiert ein Dirigent soundso, nicht schneller, nicht mit anderem Ausdruck, nicht langsamer uswusf. - multipliziere die Anzahl der Musikstücke mit der Anzahl der Musiker und möglicher Spielweisen, und man erhält eine erste Ahnung, wieviele Möglichkeiten es gibt, Musik zu machen.

Ich bin da pragmatisch: wenn mir eine bestimmte Aufnahme eines bestimmten Stückes gefällt, kommt sie halt in meine Musiksammlung. Ansonsten bleibt sie auf Youtube oder whereever.

(Ich will mich distanzieren von der Annahme, dass auch ein vermeintlich einfaches Stueck fuer einen Pianisten "unter seinem Niveau" ist)

Da sagst Du etwas verdammt Weises...! Kaum ein Musikstück ist unter der Würde von irgendjemand. Man sieht es nur leider sehr selten, dass fähige Leute sich einfach mal einfacher Stücke annehmen.

Und auch als Amateur kann man durchaus mal versuchen, ein Stück, das man locker stemmt, einmal richtig gut zu spielen bzw. auszuarbeiten. Das machen auch nur sehr Wenige...

Was wäre daran verkehrt...? In unserem (westlichen) Denken ist nur eben das höher-schneller-weiter derart verwurzelt, dass...
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn jetzt ein Pianist auf so ein einfaches Stueck trifft, spielt er das nicht automatisch musikalisch, weil er das eben gewohnt ist? Oder koennen das nur Komponisten, weil sie eigene Ideen einbringen?

@Dreiklang Ich wuerde die KLs als "faehige Leute" bezeichnen. Die spielen jeden Tag mehrmals einfache Stuecke ihren Schuelern vor und muessen dabei jedesmal alles an Emotionen geben:-D

Ich wuenschte, ich haette mehr Zeit, Klavierspielen zu erlernen. Dann wuerde ich einfach meinen Kopf ausschalten und wie ein Kind erstmal "passiv" lernen, was mir beigebracht wird. Aber als Spaeteinsteiger ist Zeit so wertvoll, dass ich es gerne so effizient wie moeglich halten will.
 
Und auch als Amateur kann man durchaus mal versuchen, ein Stück, das man locker stemmt, einmal richtig gut zu spielen bzw. auszuarbeiten*. Das machen auch nur sehr Wenige...
Man bekommt ja auf jeder Platform überproportional hochgradig schwere und olympiareife Darbietungen präsentiert, anstatt mal wirklich vermeintlich einfache aber dafür "ausgearbeitete" Werke. Es gibt ja durchaus gute Beispiele aus der Vergangenheit die beweisen, dass Einfachheit bestechen kann.
 
Wenn jetzt ein Pianist auf so ein einfaches Stueck trifft, spielt er das nicht automatisch musikalisch, weil er das eben gewohnt ist? Oder koennen das nur Komponisten, weil sie eigene Ideen einbringen?

"Musikalität" ist letzten Endes etwas sehr persönliches. Man muss sie eben entwickeln (und sie ist auch nicht an "Komponist" oder "Musiker" gebunden). Man kann zwar auf dem Gebiet der Musik nicht weiterkommen, wenn man direkt unmusikalisch ist*. Aber eine so oder so erreichte "Karriere" ist auch kein Garant dafür, dass jemand über eine extrem hoch entwickelte Musikalität verfügt, oder dass ihm jedes Stück, das er spielt, wirklich musikalisch umwerfend gelingt. Das sind zumindest meine eigenen Erfahrungen bei dieser Sache.
Und: auch Amateure können gegebenenfalls sehr musikalisch sein.

@Dreiklang Ich wuerde die KLs als "faehige Leute" bezeichnen. Die spielen jeden Tag mehrmals einfache Stuecke ihren Schuelern vor und muessen dabei jedesmal alles an Emotionen geben:-D

;-)

Ich wuenschte, ich haette mehr Zeit, Klavierspielen zu erlernen. Dann wuerde ich einfach meinen Kopf ausschalten und wie ein Kind erstmal "passiv" lernen, was mir beigebracht wird. Aber als Spaeteinsteiger ist Zeit so wertvoll, dass ich es gerne so effizient wie moeglich halten will.

Ach, Hauptsache, man hat ein anspruchsvolles Hobby, das einem Spaß macht. Das hat und betreibt - tatsächlich - nicht Jeder oder Jede.

____________
* kleiner Spaß am Rande ;-)

 
Czernys Übungen und Übungsstückchen waren überhaupt nicht dafür gedacht, einfach "as is" geübt zu werden, um dadurch "Technik" zu kriegen, so wie es spätere KL-Generationen aufgefasst haben.

Sondern sie sind letztlich Beispiele, wie man aus bestimmten Spielfiguren, Motiven, Patterns größere musikalische Zusammenhänge bilden kann.

Der richtige und von ihm beabsichtigte Umgang mit Czernys Stückchen wäre ein improvisatorisch-kompositorischer, also dass man herauskristallisiert, welches die "Legobausteine" sind und daraufhin die Übungen selber abwandelt, transponiert und aus den Legobausteinen andere Sachen selber bastelt. Mit dem Ziel, ein musikalisches (und, davon untrennbar, technisches) Vokabular zu erlangen, das man stets einsatzbereit hat und mit dem man sowohl improvisieren/komponieren als auch komponierte Werke wesentlich schneller auffassen, blattspielen und einüben kann.
 
Hierzu ein empfehlenswerter Lektüre-Tip:

Martin Gellrich: Üben mit Lis(z)t. Wiederentdeckte Geheimnisse aus der Werkstatt der Klaviervirtuosen. Frauenfeld 1992 (Verlag Waldgut, logo) ISBN 3-7294–0067-3.

Leider nur noch antiquarisch erhältlich.
 

Zurück
Top Bottom