Markus Groh Klaviertipps

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10. Dez. 2010
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Klaviertipps von Markus GrohDiese Frage stellte uns Hans Achenbach aus Osnabrück. Und wir gaben Sie weiter an den Pianisten Markus Groh.Die Frage betrifft nicht nur die Kammermusik. Man macht sich als Pianist meist keine Gedanken darüber, wo die Bögen und Punkte überhaupt herkommen. Schaut man sich die Klaviermusik der Frühklassik und Klassik an, stellt man fest, dass die Artikulationsbezeichnungen oft von den Streichern übernommen sind. Auch bei Beethoven sieht man noch, dass sich die Bogensetzung für die rechte Hand oft am Spiel der Violine orientiert, in der Länge der Bögen etwa. C.  Ph.  E. Bach schreibt in seinem Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, dass man sich als Klavierspieler gute Sänger und Violinisten anhören sollte. Denn von deren Artikulation könne man vieles lernen.

Je weiter man in der Musikgeschichte zurückgeht, desto universeller waren die Musiker. Sie haben viel mehr vom Gesang aus gedacht und wenig instrumentenspezifisch. Für Bogensetzung und Artikulation gab es allgemeingültige Regeln, die man angewendet hat. Bach hat allenfalls einige Keile gesetzt, Strichbezeichnungen haben erst seine Söhne konsequent eingetragen.

Das heißt nicht, dass man die Artikulation der Streicher nachahmen muss. Aber man sollte sich anhören, wie Streicher artikulieren. Oft regt es die Phantasie an, sich etwas vorspielen zu lassen. Detaillierte Artikulation und der große Bogen schließen einander nicht aus. Ein gutes Beispiel ist Beethovens op. 14 Nr. 1, das gibt es als Klaviersonate in E-Dur und als Streichquartettsatz in F-Dur. Als Pianist würde man die Akkorde in der linken Hand normalerweise mit Pedal spielen. Aber was Beethoven vorschwebte, war wohl eher ein Streichquartettklang. Also sollte man mit dem Pedal vorsichtig sein. Wenn man solche Dinge entdeckt, sollte man ruhig einen Streicher fragen: Wie würdest du das hier spielen?

Streicher haben eine viel größere Flexibilität in der Kürze der Töne.
Sie können z.  B. ganz verschiedene Formen des Staccato spielen. Das macht auch klanglich einen großen Unterschied, und man kann davon einiges fürs Klavier übernehmen. Es klingt anders, ob ich den Finger eher von der Taste abziehe, ob ich ihn stoße, ob ich gar ein Klopfgeräusch erzeuge. Und wie ein Ton aufhört, hat einen großen Einfluss auf den nächsten Ton. Man muss auch nicht immer das Pedal benutzen, wenn man einen Legatobogen sieht. Man kann den Klavierklang viel mehr differenzieren.

Wenn ein Streicher den Bogen am Frosch ansetzt, beginnt der Ton kräftig und wird dann zur Spitze hin schwächer, beim Aufstrich ist es andersherum. Wenn man nun ähnliche Figuren auf dem Klavier hat, kann man sich dadurch anregen lassen. Man legt heute im Klavierspiel sehr viel Wert auf klangliche Ausgewogenheit und Ebenmäßigkeit, aber das wurde erst im 19. Jahrhundert wirklich wichtig. Im 18. Jahrhundert hat der Gegensatz betont-unbetont eine viel größere Rolle gespielt.

Wenn man Kammermusik macht, sollte man sich im Notentext anschauen, wo der Komponist Bögen und Artikulationszeichen für die einzelnen Stimmen unterschiedlich gesetzt hat. Und wenn sie ähnlich oder gar nicht gesetzt sind, sollte man sich überlegen, ob man die Streicher imitieren oder einen bewussten Gegensatz schaffen will.

Im 19. Jahrhundert wandelt sich das Bild: Da haben die Komponisten viel instrumentenspezifischer gedacht: Brahms zum Beispiel hat in seinem ersten Klavierkonzert ähnliche Floskeln für verschiedene Instrumente mit verschiedenen Bögen bezeichnet.

Und noch zwei generelle Tipps: Wenn man mit einem Geiger oder Cellisten zusammenspielt, sollte man sich – zumindest bis zu den Virtuosenstücken des 19. Jahrhunderts – nie nur als Begleiter fühlen. Noch bei Beethoven heißt es: „Sonaten für Klavier und Violine“. Da hat man als Pianist ein gewichtiges Wort mitzureden.

Man sollte immer daran denken, dass ein Fortissimo in Beethovens Zeit anders geklungen hat als auf heutigen Instrumenten. Gerade wenn man mit Streichern zusammenspielt, muss man sich manchmal zurücknehmen, die Mittellagen von Geige und Cello können leicht vom Flügel zugedeckt werden. Es ist immer die Frage, wie thematisch wichtig etwas ist.



aufgezeichnet von Arnt Cobbers



Markus Groh gewann 1995 als bislang einziger Deutscher den Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel. Er gastiert bei den großen Orchestern der Welt, macht viel Kammermusik und leitet das Bebersee Festival bei Berlin.
 

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