Letzte Klaviersonaten

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Alter Tastendrücker

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Ich habe für eines der nächsten Jahre (2028?) ein Projekt: " Letzte (oder auch: Späte) Klavier-Sonaten:
Drei zu ähnlichen Zeiten (Beginn des 19. Jahrhunderts) entstandene Sonaten als Klavierabend Programm

I
Dussek Sonate f-Moll op. 77
Clemrnti Sonate 'Didone abbandonata g-Moll op. 50,3

Pause

Beethoven op. 111

Habt Ihr Erfahrungen mit diesen oder anderen letzten Sonaten (Schubert, Mozart, Haydn, Chopin, Scriabin, Medtner, ...)?
Wie bewertet Ihr den Kult um die letzten Sonaten (insbesondere Beethoven, Schubert)?
 
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Die Frage ist, ob die Komponisten wussten, dass es (vermutlich) ihre letzte Sonate sein wird. Bei Beethoven und Schubert kann man wohl davon ausgehen (auch wenn es nicht die letzten Werke waren). Bei Dussek und Clementi habe ich keine Ahnung. Tatsächlich nimmt für mich op. 111 schon eine sehr herausragende Stellung ein. Die Sonate hat einfach etwas Transzendentes an sich - wenn man es wirklich wagt, sie so zu spielen, dass das spürbar wird. Nicht alle trauen sich das. Schubert habe ich nur zum Teil gespielt und nie aufgeführt - da müsste ich mich damit befassen, warum der 3. und 4. Satz charakterlich so verschieden zum 1. und 2. Satz ist.
 
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Bei Beethoven und Schubert kann man wohl davon ausgehen (auch wenn es nicht die letzten Werke waren).
Bei Schubert habe ich Zweifel. Er hatte zwar gesundheitliche Probleme, komponierte aber im Jahr 1828 noch äußerst produktiv, unternahm auch noch lange Wanderungen und trat noch im September - nach Fertigstellung der Sonaten öffentlich auf. Seine Typhus-Erkrankung, an der er verstarb, verschlimmerte sich erst, als die Sonaten mehr oder weniger fertig waren.

Ein Indiz dafür, dass er wohl nicht mit seinem baldigen Tod rechnete ist auch, dass er im Oktober noch begann, seine (nicht mehr vollendete) 10. Sinfonie zu komponieren.

Ich beschäftige mich gerade mit dem letzten Orchesterwerk von Bernd Alois Zimmermann (Stille und Umkehr). Zur Zeit der Komposition befand sich der Komponist in stationärer psychiatrischer Behandlung - hier kann man tatsächlich biografische Zusammenhänge zwischen dem Werk und Zimmermanns Suizidgedanken finden; in diesem Fall sogar recht offensichtlich. Aber ganz grundsätzlich bin ich mit sowas sehr vorsichtig - biografisch begründete Programmatik führt meiner Erfahrung nach meist zu nichts und verengt den Blick auf das Werk.
 
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Wie bewertet Ihr den Kult um die letzten Sonaten (insbesondere Beethoven, Schubert)?

Kulturgeschichtlich sind wir hier im Kontext einer alten Tradition, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt und mit den "Ultima verba" großer Philosophen beginnt; am bekanntesten ist wohl die, schnodderig gesagt, "Abschiedsvorlesung" über die Unsterblichkeit der Seele des zum Tod verurteilten Sokrates in Platons Phaidon. Kulturgeschichtliche Bedeutung erlangte dieser Topos durch seine Verwendung in der bildenden Kunst, so z.B. die Sokrates-Szene bei Jacques Louis David (im MetMuseum, NY) oder die Ultima Verba des Seneca von Rubens, auf dem sogar links ein Schüler dargestellt ist, der gebannt auf die Ultima verba wartet, um sie aufschreiben zu können. Der Oberbegriff, das Ultimum Opus, ist Gegenstand eines hübschen Buchs von K.H. Göttert, Letzte Werke, erschienen bei Schwabe in Basel.

Summa summarum haben wir zu unterscheiden zwischen "echten" Ultima opera wie Dürers Aposteln, die der Künstler in dem Wissen schafft, dass er am Ende seines Schaffens steht, und "unechten", akzidentiellen und unbewussten, die aber von der Rezeption ex post daraufhin untersucht werden, ob sich vielleicht in ihnen ein "Endzeitbewusstsein" des Künstler manifestiert. Ich halte letzteres für legitim, aber hochproblematisch, weil die Versuchung, dem Autor etwas unterzuschieben, riesengroß ist.

Unabhängig davon ist es aber immer interessant, wenn man vom Interpreten, etwa im Rahmen eines Gesprächskonzerts, ein Werk in den Kontext der Schaffensgeschichte des Komponisten eingeordnet und gezeigt bekommt, inwieweit es den Charakter eines Spätwerks hat, ohne dass der Interpret gleich "weiß", was der Komponist dabei gedacht oder gefühlt oder geahnt hat.
 
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Bei Beethoven und Schubert kann man wohl davon ausgehen (auch wenn es nicht die letzten Werke waren)
Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass die Trias 109, 110, 111 für Beethoven selbst einen Abschluss darstellte; wie auch op. 57 etwas abschließt und erst nach längerer Pause (was Klavier-Sonaten anlangt) mit op. 78 ein (zaghafter? Aber umso schöner!) Neubeginn einsetzt!
Dass Beethoven diese Werke bewusst ans Ende seines Lebenswerks gesetzt haben könnte halte ich für ausgeschlossen, es folgen bis op. 135 noch soviele allerletzte Werke!
 
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op. 111 hat Beethoven 1821/22 komponiert. Ob er mit dieser Sonate sich als „Klaviersonaten-Komponist“ zur Ruhe setzen wollte, halte ich für unwahrscheinlich. Es ist wohl eher so, daß andere Arbeiten ihn mehr in Anspruch nahmen. Die Gattung „Variation“ scheint ihn zeitlebens sehr beschäftigt zu haben, mit der „Missa solemnis“ tat er sich einigermaßen schwer, dann die 9. Sinfonie. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Stimme war ihm wohl wichtiger.

Ähnlich verhält es sich wohl auch mit Bach. Daß die „Kunst der Fuge“ seine letzte Arbeit sein sollte, damit hat er nicht gerechnet. Er unterzog sich der Augen-OP, um danach mit verbesserter Sehkraft weiterarbeiten zu können. Daß er infolge der OP für immer die Augen schloß - dumm gelaufen …

Schubert scheint in seinem letzten Lebensjahr wie im Fieberwahn komponiert zu haben. Was er alles 1828 zu Papier gebracht haben soll, da hat man schon den Eindruck, da arbeite einer gegen die Lebenszeit. Aber ob er wußte, daß 1828 sein letztes Stündchen geschlagen hat?

Aber et es liegt wohl in der menschlichen Natur, Sinnzusammenhänge dort zu konstruieren, wo Schicksal oder dummer Zufall regieren.
 
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Ein Indiz dafür, dass er wohl nicht mit seinem baldigen Tod rechnete ist auch, dass er im Oktober noch begann, seine (nicht mehr vollendete) 10. Sinfonie zu komponieren.
Spätestens seit Mahlers Tod ist ja der Versuch, eine 10.Symphonie zu schreiben, eine allgemein bekannte Todesursache.
 
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Ähnlich verhält es sich wohl auch mit Bach. Daß die „Kunst der Fuge“ seine letzte Arbeit sein sollte, damit hat er nicht gerechnet. Er unterzog sich der Augen-OP, um danach mit verbesserter Sehkraft weiterarbeiten zu können. Daß er infolge der OP für immer die Augen schloß - dumm gelaufen …
Bach hat seit ca.1740 an der Kunst der Fuge gearbeitet, der weitaus größte Teil war also schon lange vor 1750 komponiert.
Es spricht auch einiges dafür, das der unvollendete letzte Contrapunctus doch fertig komponiert war und C. Ph. E. Bach die Legende des über der Komposition der B A C H Fuge sterbenden Komponisten bewusst inszeniert hat, um die Verkaufschancen der bereits zu großen Teilen gestochenen Ausgabe zu erhöhen.
Richtig ist, dass Bach in seinen letzten Jahren das Werk herausgeben wollte, er aber keine endgültige Redaktion bzw. Fassung mehr herstellen konnte.

Bei der h-moll Messe hat er es 1748/49 noch geschafft, eine vollendete Fassung des gesamten Mess-Ordinariums herzustellen, wie es scheint in Eile und mit Hilfe seiner Mitarbeiter. Das lässt sich eventuell mit einer geplanten Aufführung (in Wien?) erklären.
Überhaupt war das Zusammenfassen, Überarbeiten, Vollenden von zum Teil lange vorher komponierten Werken oder Werkzyklen die Hauptbeschäftigung seiner letzten Jahre (Johannespassion, WK II, 18 Choralbearbeitungen...). Er scheint also doch damit gerechnet zu haben, dass sich auch zukünftige Generationen mit seinem Werk beschäftigen werden. Ein für die Zeit eher ungewöhnlicher Gedanke.

Ob die Augenoperation wirklich für seinen Tod verantwortlich ist, ist auch keineswegs sicher, an einer durch die Operation verursachten Infektion scheint er zumindest nicht unmittelbar gestorben zu sein. Man nimmt an, dass er seit den 1740iger Jahren an Diabetes litt, was seinen für unbehandelte Diabetes typischen sehr stark schwankenden Gesundheitszustand in seinem letzten Lebensjahrzehnt erklären könnte. Todesursache war wohl ein Schlaganfall.
 
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Seine Typhus-Erkrankung, an der er verstarb, verschlimmerte sich erst, als die Sonaten mehr oder weniger fertig waren.

Ein Indiz dafür, dass er wohl nicht mit seinem baldigen Tod rechnete ist auch, dass er im Oktober noch begann, seine (nicht mehr vollendete) 10. Sinfonie zu komponieren.

Und er fing noch am 4. November an, bei Simon Sechter Unterricht in Kontrapunkt zu nehmen. Der hatte noch was vor!

Die ersten Typhussymptome (Verdauungsprobleme) zeigten sich wohl am 31. Oktober, das "Nervenfieber" setzte erst später ein. Die zweite Unterrichtsstunde am 10. November mußte er krankheitsbedingt absagen.
 
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  • #10
Bei Schubert habe ich Zweifel. Er hatte zwar gesundheitliche Probleme,

Wer's etwas makaber nicht scheut: 'Klenk und Reiter, der Falter-Podcast aus der Gerichtsmedizin' hätte da was:

Schubert:



Was zu Mozart und Beethoven gäbe es auch...
 
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