Ich hatte mal für zwei Wochen einen Beo namens Jonas bei mir in Obhut.
Sein großer Käfig stand bei mir auf dem Schreibtisch, neben dem Klavier.
Das war Absicht: Ich hatte gehofft, ihm ein paar Melodien beizubringen.
Er war für solche Experimente aber schon zu alt, was ich damals nicht wußte.
Der Spracherwerb findet beim Beo in den ersten Lebensjahren statt -
die restliche Zeit seines Erdenlebens verbringt er damit, das Erlernte zu reproduzieren.
Einer seiner früheren Besitzer muß ein älterer Mann gewesen sein,
der gerne den Frauen hinterherpfiff - einen solchen Pfiff konnte Jonas wunderschön imitieren,
ebenso wie das Geräusch einer langgezogenen Raucherhusten-Aattacke.
"Wie heißt Du?", war der einzige Satz, den er sprechen konnte -
diese Frage hatte man ihm wohl oft gestellt.
Wenn Jonas nach den Mahlzeiten sein Häuflein gemacht hatte,
öffnete ich die Käfigtür und ließ ihn hinausfliegen.
Dann steuerte er auf eine der beiden in der obersten Regalreihe befindlichen Lautsprecherboxen zu,
wo er sich niederließ (und weitere Häuflein machte, wie ich erst später merkte).
Da kam mir die Idee, ihn zu beschallen - er wurde das Opfer ausgiebiger
pädagogischer Bemühungen. Er zeigte abgestufte körperliche und akustische Reaktionen:
Protestgeschrei (Beo-Schreie können fürchterlich laut sein) oder Körpereinsatz
(choreographisches Nachzeichnen der Musik).
Sein Favorit war die "Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente" von Franz Schreker -
das machte ihn mir noch sympathischer. Wenn er diese Musik hörte, fing er an,
neckisch den Kopf hin und her zu wiegen, und zwar exakt bis zum Schlußakkord.
Er wirkte sehr fröhlich dabei, und glücklich, falls ich nicht zuviel in ihn hineininterpretiere.
Er war mir jedenfalls so ans Herz gewachsen, daß ich ihn nach Ablauf der zwei Wochen
nur schweren Herzens wieder fortgeben konnte.