Heißt Interpretieren - "Spielen wie man will"?

Dreiklang

Dreiklang

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14. Nov. 2010
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Es gibt einige Fragen, die mich momentan bewegen. Ich nenne sie hier einmal, aber auf sie gibt es sicher keine eindeutige Antwort, man kann wohl nur durch Antworten verschiedene Aspekte beleuchten...

Ich beschreibe einmal, was ich beim Spielen bzw. Üben tue. Im Grunde sind das einzige, woran ich mich gebunden fühle, die Noten bzw. Notenwerte eines Stückes. Alles andere (Artikulationsvorschriften, Tempi-und Dynamikanweisungen), betrachte ich nur als sehr fundierte Vorschläge des Komponisten.

Sie sind mit Sicherheit mehr als das, und wurden bestimmt mit großer Sorgfalt vom Komponisten gestaltet. Es wurde hier im Forum Beethoven zitiert, wo er in einem Brief schrieb:"Erstes Allegro, allein Allegro, das assai muß weg. Maelzels Metronom Halbe =138.". Mehr als genau wurde also die Interpretation eines Stückes, der Charakter den es haben und ausdrücken sollte, bedacht und festgelegt.
Und jetzt kommt das vielbeschriebene Klangvorstellungsvermögen ins Spiel. Ich bilde mir eine Ansicht über den Charakter des Stückes, durch viel viel Spielen des Stückes. Oder nur durch Vorstellung, wenn ich es technisch nicht bewältige. Oder im letzteren Fall auch durch sogenanntes "Skelett-Spielen" wie ich es getauft habe, ich deute Läufe und viele Stellen nur an, weil ich sie in dieser Geschwindigkeit technisch (noch??? vielleicht irgendwann?) nicht realisieren kann, spiele aber in der von mir als passend in meiner Klangvorstellung empfundenen Geschwindigkeit, Ausdruck, Charakter, Lautstärke, und, extrem wichtig: einem mir passenden fein dosierten Pedaleinsatz. Das klingt jetzt alles toller als es ist, aber im Prinzip praktiziere ich es so, und letztlich will ich dort einmal landen.

Ich werfe also nicht leichtfertig die Interpretationsvorgaben des Komponisten über den Haufen, sondern überlege sehr viel, probiere viel, versuche musikalisches Feingefühl einzusetzen, die Antennen auszufahren und am Ende etwas spielerisch zu realisieren, das schön wirkt und den Charaker der reinen Notenklänge, der Melodien, der Bezüge und Übergänge in einer bestimmten Form zutage treten und Klang werden läßt.
Es ist ganz bestimmt besser, wenn man sich, solange das musikalische Gehör oder Harmonieempfinden noch unausgeprägt ist, an die Vorgaben des Komponisten hält. Aber mit einer großen Sorgfalt, Feinfühligkeit und Vorsicht kann man den Charakter eines Stückes später dann einmal auf eine Weise darstellen, die man selbst als angebracht, oder zumindest passend, empfindet.
Zumindest wäre das mein Endziel.

Was ich schon z.B. festgestellt habe: durch das Forum bin ich auf die erste Invention von Bach aufmerksam geworden (danke, Forum). Ich hatte diese Melodie schon lange im Kopf abgelegt, jetzt kenne ich also die Noten dazu und habe die Invention schon ein paarmal durchgespielt. Was ich jetzt schon sagen kann: die allgemein gängige eher trocken und mechanisch realisierte Interpretation von Bach empfinde ich im Moment als - sehr passend. Ich werde wohl an der Invention weiter arbeiten, bis ich sie flüssig spielen kann, und dann entscheiden versuchen, ob ich z.B. einen ganz feinen Pedalhauch über sie legen würde. Oder in welche Richtung es geht.

Nur, und jetzt kommt das zweite :oops::oops::oops:

ich verändere manchmal Kompositionen auch ganz geringfügig notenmäßig. Während der recht langwierige, oben beschriebenen Prozesses abläuft. Beim Bach (nochmal ein :oops:) gibt es eine Note in der rechten Hand, die mich stört. Alles andere ist perfekt. Schön, ausbalanciert, ein wunderbares feines Musikstück, geschrieben aus und mit musikalischer Genialität (heraus). Nur diese eine verflixte kleine Note... ich ändere sie, und das zieht das Ändern einer Note der linken Hand nach sich. Ich prüfe das Gesamt-Ergebnis, Ausgewogenheit, Klang, Melodielauf... ein kleiner Schaden ist da, bleibt aber gering, die Verbesserung ist hoch, und die Entscheidung ist getroffen... oder zumindest, ist schon mal eine Lösung gefunden für mein "Problem".

Was habt ihr für Meinungen? Heißt Interpretieren - "Spielen wie man will"?
 
Unter Interpretation verstehe ich das Spielen einer Komposition. Das kann von Interpret zu Interpret verschieden sein.

Wenn jemand spielt was er will, wird ja nicht die jeweilige Komposition dargeboten sondern irgend etwas gespielt.

Grüße
Thomas
 
... nicht die jeweilige Komposition dargeboten ...

Ja, richtig! Und darüberhinaus: wenn man vor Publikum oder Lehrern vorspielen möchte, muß man sich an die Interpretationsvorgaben des Komponisten halten. Sonst wird man mangelnden Wollens bezichtigt, oder mangelnden Wissens, was noch schlimmer ist. Und beides kann sich als wenig schmeichelhaft oder zuträglich entpuppen.
Wenn man vom Notentext abweicht, wird es als Spielfehler gewertet (!)
 
(...)
Wenn man vom Notentext abweicht, wird es als Spielfehler gewertet (!)

wenn man von der Staße abweicht, wird das... ;)

was mich aber doch schockiert:
Im Grunde sind das einzige, woran ich mich gebunden fühle, die Noten bzw. Notenwerte eines Stückes. Alles andere (Artikulationsvorschriften, Tempi-und Dynamikanweisungen), betrachte ich nur als sehr fundierte Vorschläge des Komponisten.
(...)
 
wenn man von der Staße abweicht, wird das... ;)

als Unfall gewertet? :):)


Es schockiert mich ja selber, das ist ja gerade mein Problem. Warum tue ich so, oder denke mir, ich könne etwas "besser" als der Komponist selbst.. wir könnten hier auch wieder in die "Waldstein - Gulda - Themaverfehlung - Referenzaufnahme"-Diskussion (Du erinnerst Dich?) wiederbeleben, aber das ist nicht das eigentliche Thema. Ich habe allerhöchsten Respekt vor der musikalischen Leistung des Komponisten, eine Leistung, die ich in dieser Art nie erbringen könnte - allein schon deswegen, weil er sie ja schließlich bereits erbracht hat. Nur, dieser Respekt hört bei den Interpretationsvorgaben auf. Manchmal lande ich auch erstaunlich genau bei den Vorgaben. Man muß dazu sagen, ich spiele nur für mich selbst, mache keine "Vorspiele", es hört mich also niemand. Manchmal lande ich auch erstaunlich genau bei den Vorgaben. Nur passiert es genauso, daß ich ein Stück voller Bindebögen zum großen Teil mit einem feinen leisen staccato spiele. Aus ff mache ich f, aus einem p gefolgt von einem pp mache ich <ohne Angabe>, gefolgt von <ohne Angabe>.
und was dadurch wohl auch noch passiert: ich mißachte gängige und vieldiskutierte "Interpretations-Konventionen", wie Komponisten "zu klingen" haben. Also - eine endlose Reihe von Unfällen...
 
(...)
(1)
Ich habe allerhöchsten Respekt vor der musikalischen Leistung des Komponisten, eine Leistung, die ich in dieser Art nie erbringen könnte - allein schon deswegen, weil er sie ja schließlich bereits erbracht hat. Nur, dieser Respekt hört bei den Interpretationsvorgaben auf.
(...)
(2)
und was dadurch wohl auch noch passiert: ich mißachte gängige und vieldiskutierte "Interpretations-Konventionen", wie Komponisten "zu klingen" haben. Also - eine endlose Reihe von Unfällen...

Hallo Dreiklang,

hier vermischst Du ein paar Angelegenheiten:
(1)
Es ist nicht nur die Tonhöhe und die Tonzusammenstellung, welche der Komponist in seiner Komposition festlegt, sondern auch die Tonstärke, die Tonrelationen und die Tonqualität sowie Tondauer. Mit anderen Worten: jede agogische und dynamische Präzisierung des Komponisten zählt zur Partitur ebenso dazu wie die notierte Tonhöhe und Tondauer. Alle diese Zeichen (sforzati, cresc., dim., stacc., leg. etc etc etc) sind keine "Interpretationsvorgaben", denn sie sagen Dir nicht, wie Du etwas deuten sollst, sondern sie präzisieren (oft sehr detailliert) den Klangverlauf, indem sie Vorgaben zur Dynamik und Agogik machen. Diese gehören zu den komponierten Tönen dazu, ebenso wie auch das vorgeschriebene Tempo.
Aber keine Bange: hält man sich an all das, was in einer Partitur steht, so bleibt immer noch genügend "interpretatorischer Freiraum".
(2)
raffiniert formuliert :) sind die "vieldiskutierten Interpretations-Konventionen, wie Komponisten zu klingen habe" :D - - aber das ist etwas ganz anderes als die oben hoffentlich geklärten Zeichen. Selbstredend gab und gibt es Interpretationsstile, die auch obsolet werden können - berühmte Beispiele sind der ppp säuselnde Rubatosylphe Chopin (eine Deutung, die auf einer diesen Komponisten letztlich verharmlosenden Rezeptionshaltung aus der 2. Hälfte des 19. Jh. stammt und in der 1. Hälfte des 20. Jh. widerlegt wurde) oder der "Spieldosenmusik-Mozart".
Ich glaube allerdings, dass Du hiermit vielleicht etwas verkürzte und oberflächliche schlagwortartige Bilder meinst - wenn das so ist, dann gebe ich Dir hierin völlig recht: Chopin weltschmerzt nicht immer pianissimo, Mozart bedient nicht immer eine Spieldose, Wagner lärmt nicht immer pompös, Liszt wütet nicht immer virtuos, Bach betet nicht rund um die Uhr usw usw :)
Gottlob aber gibt es nicht nur die Musikgeschichte, die Musikwissenschaft und die Rezeptionsgschichte sowie die Interpretationsgeschichte, sondern all dieses Material wird permanent be- und verarbeitet. Dabei wird oft genug und auch sehr umfänglich das Werk einzelner Komponisten untersucht - die Konsequenzen solcher Arbeiten sind nun doch etwas anderes als die schlagwortartigen Bilder. Selbst wenn diese kein endgültig festgelegtes "Interpretationsmuster" herstellen können, so können sie doch abwegigen Unsinn wegfiltern (wie z.B. den Spieldosenmozart) - salopp gesagt: Brahms muss außerhalb der ungarischen Tänze nicht wie ein Zigeunergeiger klingen :D
Also bevor Du etwas ablehnst, kannst Du Dich ja über die Seriosität informieren.

Gruß, Rolf
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Beim Bach [...] gibt es eine Note in der rechten Hand, die mich stört.
Alles andere ist perfekt. Schön, ausbalanciert, ein wunderbares feines Musikstück,
geschrieben aus und mit musikalischer Genialität (heraus). Nur diese eine verflixte kleine Note...
ich ändere sie, und das zieht das Ändern einer Note der linken Hand nach sich.
Ich prüfe das Gesamt-Ergebnis, Ausgewogenheit, Klang, Melodielauf... ein kleiner Schaden ist da,
bleibt aber gering, die Verbesserung ist hoch, und die Entscheidung ist getroffen...
oder zumindest, ist schon mal eine Lösung gefunden für mein "Problem".

'n Abend, Dreiklang!

Du hast meine Neugierde geweckt.
Könntest Du die von Dir vorgenommene Veränderung
einmal hier in Notenform sichtbar machen oder wenigstens exakt beschreiben,
damit ich mir eine Vorstellung davon machen kann?

Gruß, Gomez
 
Hallo Dreiklang!
Bei der Niederschrift einer Komposition verwendet der Komponist die Notenschrift (Also Noten und alle möglichen Zeichen und Angaben).
Bei der Niederschrift einer mathematischen Formel werden außer den Zahlen auch eine Menge anderer Zeichen verwendet.

Überlege Dir vielleicht bei beiden Niederschriften das beliebige weglassen oder verändern der Zeichen die keine Noten bzw. Zahlen sind. Für mich jedenfalls ist klar, dass das Ergebnis kaum dem Geschriebenen entspricht.

Allerdings steht es Dir frei, aus einer bestehenden Komposition Deine eigene Version, zu Deinem Vergnügen und zu Deiner Unterhaltung, abzuleiten.

Grüße
Thomas
 
Hallo Rolf,

danke.
zu 1) "Interpretationsvorgaben" - mein Wort war falsch gewählt, und die Berichtigung habe ich verstanden: daß es Vorschriften sind, die mit Interpretation nichts zu tun haben. Die Interpretation findet innerhalb dieser Vorgaben statt.
Was Du unter 2) schilderst, ist für mich alles sehr interessant. Alle diese Fakten waren mir unbekannt - ich hoffe, auch andere finden das interessant und merkenswert.
"über die Seriosität informieren": das ist in diesem Umfang nicht sehr einfach, und sicher nicht mit einer halben Stunde googeln getan. Um diese Fragen für mich zu klären, würde ich eher Wochen ansetzen, und nicht einmal dann wüßte ich ob alles richtig erfaßt habe, und ob Experten auch wirklich dieser Meinung sind. Wie gesagt, ich hoffe, daß die Arbeit die Du Dir mit Deiner Antwort gemacht hast, in dem Sinne nicht "für die Katz'" war, daß auch viele andere (Laien?) interessiert mitlesen.
Mir ging es um ein persönliches Dilemma, und ich war neugierig auf Meinungen dazu, wollte sehen, was sich durch Diskussion mit anderen ergibt. Oft genug ist man in eigenen Gedankengängen gefangen, und erst andere sorgen für neue Gedankenanstöße. Leider sind es in meinem Fall wieder einmal keine "Gedankenstöße", sondern einfach Wissen über die Musik, welches mir fehlt.

Gruß, Dreiklang
 
Hallo Thomas,

danke, die Parallele zur Mathematik ist faszinierend.

Allerdings steht es Dir frei, aus einer bestehenden Komposition Deine eigene Version, zu Deinem Vergnügen und zu Deiner Unterhaltung, abzuleiten.

Genau das tue ich, so gesehen, ja. Und je mehr ich darüber nachdenke - mit dieser einfachen Logik hast Du denke ich recht! Nicht gesagt, daß ich meine Meinung niemals ändern wollte oder werde - aber ich denke, bis auf weiteres, bleibe ich dabei... damit wäre eines meiner Dilemmas erst einmal gelöst.

Dreiklang, der Dilemma-Sammler :)
 
Hallo Dreiklang,

eigentlich finde ich deine Vorgehensweise super. Man kann unwahrscheinlich viel davon lernen, variabel mit einer Komposition umzugehen. Es macht flexibel in Klangvorstellung und damit verbundener Technik, es erweitert den Horizont von Möglichkeiten, es ist kreativ und macht Spaß. Ich mache das auch öfter mit meinen Schülern, vor allem bei Repertoirestücken. Also weiter so!

Wenn es dir allerdings um eine Interpretation geht, gehört da unbedingt dazu, die Absicht des Komponisten und die musikalische Aussage eines Stückes zu ergründen und mit den eigenen Ideen zu verbinden. Das ist doch auch total spannend! Wie wunderbar, sich auf eine Idee einzulassen, die sich allmählich aus einer Vielzahl von Ideen herauskristallisiert! Die intensive Beschäftigung mit der musikalischen Aussage eines Werkes ist viel mehr, viel vielschichtiger und tiefer, als die vielleicht etwas oberflächliche Verwirklichung eigener Experimente. Es bedeutet, dass man sich wirklich mit einem Werk auseinandersetzt. Mit allen Parametern etc., die im Notentext stehen! Mir gibt diese Auseinandersetzung sehr viel!

Vielleicht lässt sich also beides miteinander verbinden und befruchtet sich sogar (nein, Rolf, nicht so :D ).

Liebe Grüße

chiarina
 

Es ist nicht nur die Tonhöhe und die Tonzusammenstellung, welche der Komponist in seiner Komposition festlegt, sondern auch die Tonstärke, die Tonrelationen und die Tonqualität sowie Tondauer. Mit anderen Worten: jede agogische und dynamische Präzisierung des Komponisten zählt zur Partitur ebenso dazu wie die notierte Tonhöhe und Tondauer. Alle diese Zeichen (sforzati, cresc., dim., stacc., leg. etc etc etc) sind keine "Interpretationsvorgaben", denn sie sagen Dir nicht, wie Du etwas deuten sollst, sondern sie präzisieren (oft sehr detailliert) den Klangverlauf, indem sie Vorgaben zur Dynamik und Agogik machen. Diese gehören zu den komponierten Tönen dazu, ebenso wie auch das vorgeschriebene Tempo.
Aber keine Bange: hält man sich an all das, was in einer Partitur steht, so bleibt immer noch genügend "interpretatorischer Freiraum".

Ich empfehle, das zu berücksichtigen.

Freilich kann man spaßeshalber auch allerlei anderes treiben: man kann sich eine dunkelrote Sonnenbrille aufsetzen und - sofern man nicht erwischt wird - zu Paris in der Impressionistensammlung ein Monetgemälde zu Dreiviertel überkleben, es obendrein auf den Kopf stellen und dann betrachten und ausrufen "Heureka, ich habe was sehr interessantes getan und erkannt und fordere, meine individuelle und einzigartige Auseinandersetzung zu respektieren" :D :D - - ebenso kann man alles ausser den Notenköpfen ignorieren, ja man kann sogar die Noten verkehrt herum hinstellen und dann spielen um zu sehen, was dabei herauskommt

nur eines sollte man dann vermeiden: sich einzubilden, man würde dabei was verstehen oder gar lernen :D :D
 
Meinst du damit meinen post? :)

Liebe Grüße

chiarina

nö, ich meine damit ganz allgemein die Freude, vieles von dem zu ignorieren, was in den Noten steht - - durch ignorieren oder Ignoranz lernt man eher selten, jedenfalls wenn man Klavierspielen will.

(scherzando!)
...analog könnte man auch wohlmeinden Ratschläge, wie man eine Taste anschlagen soll, ignorieren und sich darauf kaprizieren, dass das Anschlagen mit der Faust und voller Kraft doch viel mehr Spaß macht :D :D :D
 
nö, ich meine damit ganz allgemein die Freude, vieles von dem zu ignorieren, was in den Noten steht - - durch ignorieren oder Ignoranz lernt man eher selten, jedenfalls wenn man Klavierspielen will.

(scherzando!)
...analog könnte man auch wohlmeinden Ratschläge, wie man eine Taste anschlagen soll, ignorieren und sich darauf kaprizieren, dass das Anschlagen mit der Faust und voller Kraft doch viel mehr Spaß macht :D :D :D

Rolf, ich kann dir wirklich nur zustimmen! Und meine Schüler könnten dir erzählen, wie pingelig ich bin ......! :p

Trotzdem kann man, indem man z.B. Repertoirestücke mal ganz anders spielt, meiner Meinung nach einiges lernen. Alles z.B. in einer anderen Artikulation zu spielen erfordert eben auch die technische Umsetzung. Gar nicht so einfach, vor allem für nicht so fortgeschrittene Schüler. Eine Stelle in verschiedenen Charakteren zu spielen, stärkt die Fähigkeit zu eigener Gestaltung und intensivem Zuhören. Gerade Anfänger tun sich ungeheuer schwer damit, eine Stelle mal anders zu spielen, wenn vom KL gefordert. Diese nötige Flexibilität, die ja auch ein gewisses Maß an Technik erfordert, kann so trainiert werden. Nur muss immer vollkommen klar sein, dass es ein Experimentieren ist und absolut nichts mit der Absicht des Komponisten zu tun hat.

Ich meine, dass, wenn Dreiklang das so gerne macht, man diese Fähigkeit nutzen, aber auch kanalisieren sollte. Das würde ihm sicher mehr bringen, als das Experimentieren sein zu lassen, das ihm gerade so viel Spaß macht und ihm viel Motivation bringt.

Liebe Grüße

chiarina
 
Guten Abend!

Vielleicht ist es hilfreich, zwischen Interpretation und Adaption zu unterscheiden -
wobei es fließende Übergänge gibt.

Von Gould gibt es Interpretationen, die einer Neukomposition des betreffenden Stücks gleichkommen.
Speziell Tempi und Artikulationsvorgaben werden bei ihm oft auf atemberaubende Weise verändert,
den Tonsatz als solchen pflegt er zu respektieren. Das andere Extrem: Aus einer Zeit,
in der das Tradieren noch geholfen hat - also vor der Erfindung der technischen Reproduzierbarkeit -,
gab es Adaptionen beliebter Stücke, die bei allem Willen, den originalen Charakter zu erhalten,
die Musik transformierten. Ein Lautenlied von John Dowland konnte ein paar Jahrzehnte später
ganz anders aussehen, wenn es in Portugal oder Italien als Stück für Tasteninstrument
angekommen war. Gleichzeitig blieb aber vom Wesen der Ausgangsversion etwas erhalten.

Im Non-Klassik-Bereich gibt es dafür den Begriff des "Coverns": das Neuarrangieren
eines beliebten Titels - dort gängige Praxis, im Bereich der bürgerlichen Kunstmusik verpönt,
wozu der Geniekult, die Fixierung auf Originalität und das Urheberrecht ihren Teil beigetragen haben.
Die letzten Zeugnisse unbefangenen Adaptierens als einer schöpferischen Praxis
finden sich bei Liszt, Siloti und Rachmaninow.

Was Dreiklang beschreibt, scheint mir in Richtung Adaption zu gehen,
und nach wie vor wüßte ich gerne, was er in Bachs erster Invention verändert hat.

Herzliche Grüße!

Gomez
 
Rolf, ich kann dir wirklich nur zustimmen! Und meine Schüler könnten dir erzählen, wie pingelig ich bin ......!
das ist erfreulich :)
Trotzdem kann man, indem man z.B. Repertoirestücke mal ganz anders spielt, meiner Meinung nach einiges lernen.
das ist heikel... was lernt man, wenn man z.B. die erste Invention von Bach presto fortissimo drischt? :D
Alles z.B. in einer anderen Artikulation zu spielen erfordert eben auch die technische Umsetzung. Gar nicht so einfach, vor allem für nicht so fortgeschrittene Schüler.
weshalb man das Augenmerk bei diesen vielleicht darauf richten sollte, dass sie die nötigen Grundlagen erwerben - verfügen sie dann über die, ist es gar nicht mehr so schwierig mit den verschiedenen Artikulationen. Und Stücke, die allerlei erfordern, gibt´s ja zuhauf - gerade jetzt zur Weihnachtszeit den Knecht Ruprecht :)
Nur muss immer vollkommen klar sein, dass es ein Experimentieren ist und absolut nichts mit der Absicht des Komponisten zu tun hat.
eben - - - tut man das aber, weil man es gar nicht anders machen will (z.B. weil man nichts von agogischen Zeichen etc. hält), dann ist ein solches Unterfangen eher suboptimal...
Ich meine, dass, wenn Dreiklang das so gerne macht, man diese Fähigkeit nutzen, aber auch kanalisieren sollte.
...was für eine schöne Ich-Botschaft :D ...ja, kanalisieren, da liegt der Hase im Pfeffer (und das hättest Du ohne Umschweife auch gleich sagen können)

herzliche Grüße,
Rolf
 
...analog könnte man auch wohlmeinden Ratschläge, wie man eine Taste anschlagen soll, ignorieren und sich darauf kaprizieren, dass das Anschlagen mit der Faust und voller Kraft doch viel mehr Spaß macht :D
+
Freilich kann man spaßeshalber auch allerlei anderes treiben: man kann sich eine dunkelrote Sonnenbrille aufsetzen und - sofern man nicht erwischt wird - zu Paris in der Impressionistensammlung ein Monetgemälde zu Dreiviertel überkleben, es obendrein auf den Kopf stellen und dann betrachten und ausrufen "Heureka, ich habe was sehr interessantes getan...

=> Rolf in Hochform, er schießt wieder aus allen Rohren!!!

Rolf, Du bist SO gemein :D:D denn ich wollte eigentlich echt ins Bett, und NICHT noch einen Beitrag schreiben, aber wenn ich das lese, kann nicht anders, als drauf zu antworten ;)

und wenn ich schon am Schreiben bin:
@ Gomez: in aller Kürze, interessante Stichpunkte - Adaption, Gould, Covern. Meine Veränderung folgt, nein, mein Veränderungsversuch. Ich kann nämlich vorausschicken, daß ich mich wohl geirrt habe! Trotzdem bleibt es ein - für mich - sehr nettes Gedankenspiel, das ich nicht vorenthalten werde. Ich suche ein anderes Beispiel, im Clementi müßte es ein gutes geben. Ich zeig' euch dann alles zusammen.
 
Von Gould gibt es Interpretationen, die einer Neukomposition des betreffenden Stücks gleichkommen.
Speziell Tempi und Artikulationsvorgaben werden bei ihm oft auf atemberaubende Weise verändert,
den Tonsatz als solchen pflegt er zu respektieren.

Mir sind nur wenige Aufnahmen von Gould bekannt, auf denen er Artikulationsvorgaben - sofern sie in den Noten stehen! - tatsächlich verändert. Meist sind diese bei ihm sogar ganz besonders deutlich ausgeführt (mustergültig die Fuge aus op.110). Ich finde nicht, dass seine gelegentlich extremen Interpretationen einer Neukomposition gleichkommen. Die manuelle Akuratesse ist fantastisch, die Tempi sind gelegentlich extrem - aber das eher im Sinne einer Übertreibung der Vorgabe, aus presto wird prestissimo, aber niemals largo.

Mit Adaption als Oberbegriff für alles von der Variation über die Paraphrase bis zur Transkription bin ich nicht so ganz glücklich: Liszt beispielsweise vereinnahmte keine Schubertmelodie für sich, auch gab er im Titel stets an, was er da be- oder verarbeitete - - da war Mozart mit seinen ersten Klavierkonzerten anders drauf :D

Meiner Ansicht nach hat man genug damit zu tun, Mozart, Beethoven, Chopin, Skrjabin, Berg, Schönberg einigermaßen korrekt zu spielen - daraus was zu adaptieren, kann leicht zur Vogelscheuche geraten (play Bach etc.). Sofern man also keine Varitionen etc. komponiert, gibt es keinen zwingenden Grund, den festgelegten Notentext einschneidend zu ändern.

herzliche Grüße,
Rolf
 
Ah, Rolf...!!!

wenn man z.B. die erste Invention von Bach presto fortissimo drischt? :D

:D:D:D
-----

gut, um jetzt wieder in den Ernst-Modus zu schalten:

Was ist mit der verlorenen Zeit: wenn ich ein Stück mit einer falschen Spielweise "übe", oder auch nur experimentiere, verliere ich diese Zeit, um dieses Stück (oder ein anderes) so einzuüben, wie es klingen sollte.

Zweitens, ich habe theoretisch doppelten Zeitverlust, denn ich brauche in Summe, weil ich das Stück nämlich in Ansätzen falsch erlerne, noch zusätzlich Zeit, um diese Fehler wieder wegzubügeln.

Ich vermute, das geht in Richtung Rolfs "Suboptimalität" und in Richtung "Effizientes Üben".

Chiarina wird sofort entgegenhalten: Ja, dafür lerne ich aber eben auch etwas, und zwar zu variieren ...

Und ich entgegne: nein, spiele/lerne gleich ein Stück, das diese andere Spielweise erfordert.

Nur: muß man sein Leben lang nur hocheffizient, und selbstdiszipliniert üben? Gibts nicht noch was anderes, das Spielen im Sinne des "Kinderspielens"?

Und, wo packen wir dann dieses spielen im Sinn des Kinder-Spielens überhaupt noch hin... freies, ungezwungenes Baumelnlassen der musikalischen Seele, hat es überhaupt einen berechtigten Platz...?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

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