Falsches Verhältnis zwischen Niederdruckschwere und Aufgewicht

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Jasper

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Hallo liebe Profis des Klavierbaus!
Bei meinem Flügel ist das Verhältnis zwischen Niederdruckschwere (ca. 47g) und Aufgewicht (37g!!) irgendwie scheps. Man bekommt dadurch permanent das Gefühl, der Flügel "wehre" sich gegen einen. Als Laie kann ich mir das irgendwie nicht erklären, woher das hohe Aufgewicht bei gleichzeitig niedrigem Abgewicht kommt - auch bei genauer Beschau der Mechanik nicht. Ausbleien wird ja vermutlich nichts bringen, da das Verhältnis zwischen Ab-und Aufgewicht ja gleich bliebe, oder?
Zum Flügel: Bechstein Modell IV, Bj. 1885, Traktorenmechanik - die Achsen laufen (meiner bescheidenen Prüfung nach) alle relativ stabil, vielleicht mit Tendenz zu sehr leichtgängig. Die Hammerröllchen sind eher Quadrate, aber die werden demnächst gewechselt.
Hat hier jemand einen Clou, womit das hohe Aufgewicht (bei niedrigem Abgewicht!) zu tun haben könnte? Könnte es etwas mit der Federspannung zu tun haben? Die Federn spürt man nämlich beim Nachdruck durchaus...
Bin ein bisschen lost und freue mich auf eure Einschätzung.
 
PS: sorry, soll natürlich TraktUrenmechanik heißen:014:
 
Eigentlich wünscht man sich normalerweise ein möglichst hohes Aufgewicht. Das erleichtert Repetition / Triller.

Der Unterschied zwischen Nieder- und Aufgewicht entsteht durch Reibungsverluste in der Mechanik. Anders formuliert: Ohne Reibung wären Nieder- und Aufgewicht identisch. Es wird großer Aufwand betrieben, um die Reibung möglichst gering zu halten.

Das VERHÄLTNIS zwischen Nieder- und Aufgewicht ändert sich beim Ausbleien schon. Die DIFFERENZ bleibt gleich. Aber wenn die Röllchen bald getauscht werden, würde ich das erst einmal abwarten.
Bzw. wenn du den Flügel ausbleien lässt - sagen wir, dass er 10g leichter wird - hast du 37g Niedergewicht und 27g Aufgewicht. Dann ist er dir vielleicht zu leichtgängig.

Wenn die Repetitionsfedern zu stark eingestellt sind, fühlt sich das beim Spielen merkwürdig an. Das hat aber wenig mit dem Aufgewicht zu tun.
 
Danke Dir, Flieger, für die Antwort! Okay, dann hatte ich das richtig im Kopf, aber falsch formuliert - die Differenz bleibt gleich beim Ausbleien, ich gewinne also faktisch nichts dadurch, denn Du hast vollkommen Recht: 37g wären mir entschieden zu niedrig. Für (von mir als Spieler wegen des subjektiv viel angenehmeren Spielgefühls) erwünschtes, niedriges Aufgewicht bleibt also nur: Reibung erhöhen?
Dann werde ich Mal sehen, ob die neuen Röllchen dabei behilflich sein könn(t)en.
Gibt es noch weitere/andere Möglichkeiten, die DIFFERENZ zwischen Ab- und Aufgewicht zu erhöhen? Neue Achsengarnierungen o.ä.?
 
Wenn du die Reibung erhöhst, senkst du das Aufgewicht UND erhöhst das Niedergewicht.
Bevor du da irgendetwas in diese Richtung unternimmst, würde ich erst ganz sicher gehen, dass wirklich das Aufgewicht das Problem ist.
 
Hallo Flieger,
das klingt ja sehr kompetent und ist es sicher auch. Kein Zweifel.
Wie wärs mit einer Namensänderung zu "Überflieger" ?
Meine ich wirklich ernst.
burton
 
Sehr freundlich, danke! :)

Aber ich bin kein ausgebildeter Klavierbauer; nur ein interessierter Laie mit Technikaffinität und einem gewissen Verständnis von Mechanik und Physik allgemein.
 
Der Flügel ist über 130 Jahre alt und hat offensichtlich noch die originale Mechanik drin. Eine eigentlich wunderschöne Repetitionsmechanik, bei der lediglich das Hebeglied anders angesteuert wird als bei heutigen Mechaniken mit Pilote und Sattel.

Nur: Wenn die Röllchen schon ersatzbedürftig sind, dann sollte man konsequenterweise nicht nur diesen Teil ersetzen, sondern gleich die gesamte Mechanik überholen. Also alles auseinanderbauen, reinigen und jedes Bestandteil, das möglichen Einfluß auf Reibung hat und Verschleiß hat, wieder in den Auslieferungszustand zurückbringen. Und dann auch jemanden mit dem Regulieren beauftragen, der sich blind mit den Wippenmechaniken auskennt und nicht kopfkratzend überlegt, mit welchem Werkzeug man jetzt genau diese zwei Schrauben richtig angeht.

Noch was: Es ist unwahrscheinlich, dass es bei dem Alter des Flügels noch die originalen Hammerköpfe sind und je nachdem, was man da wie erneuert hat, verändern sich auch das Gewicht und damit auch die gesamten Übersetzungsverhältnisse innerhalb der Mechanik.

Aus leidiger Erfahrung mit der ersten "Reparatur" meines gleich alten Steinways weiß ich, dass halbe Lösungen am Ende doppelt so teuer werden und bis dahin der Flügel nur begrenzt Spass macht. Bei Bedarf kann ich Dir in PN gerne den einen oder anderen Tip und Empfehlung für einen entsprechenden Techniker geben.

Und wo bleiben eigentlich Bilder und Tonaufnahmen?
 
Bevor du dich aufregst, solltest du die Beträge genauer lesen.

je nachdem, was man da wie erneuert hat, verändern sich auch das Gewicht und damit auch die gesamten Übersetzungsverhältnisse innerhalb der Mechanik.
Da steht nicht, dass die Hammerköpfe alleine das Übersetzungsverhältnis ändern.

Eigentlich wünscht man sich normalerweise ein möglichst hohes Aufgewicht.


Wenn die Repetitionsfedern zu stark eingestellt sind, fühlt sich das beim Spielen merkwürdig an. Das hat aber wenig mit dem Aufgewicht zu tun.
Von Nachdruck steht da auch nichts. Aber ich habe schon einmal auf einem Flügel mit zu starken Federn gespielt. Das spürt man, bzw. war es weg, nachdem der Techniker die Federn schwächer eingestellt hat.


Aber das ist ein guter Anstoß: @Jasper Wann genau "wehrt" sich der Flügel? Während du die Taste hinunterdrückst, oder nachdem sie unten in Ruhelage ist?
 
Zuletzt bearbeitet:
@joerch Also welche Aussage ist denn jetzt konkret falsch (oder auch nur halbwahr)?
 
@joerch Also welche Aussage ist denn jetzt konkret falsch (oder auch nur halbwahr)?
1. dass der Unterschied zwischen Nieder- und Aufgewicht durch die Mechanikreibung entsteht und dass ohne die Reibung beide identisch wären.

2. dass wenn man um 10 Gramm leichter ausbleibt das Niedergewicht bei 37 und das Aufgewicht bei 27 Gramm liegt.

3. dass man ein möglichst hohes Aufgewicht haben will weil das Repitition erleichtert.
 

Das erstaunt mich und ich wäre an den Korrekturen sehr interessiert - insbesondere, weil ich diese Aussagen in einem Buch über Flügelmechanik gelesen habe.
 
1. der Unterschied kommt von unterschiedlichen Hebelverhältnissen von Vorder- zu Hintertaste.

2. wenn man vorne Blei hinein macht, sinkt das Niedergewicht tatsächlich, aber das Aufgewicht steigt.

3. Möglichst hohes Aufgewicht verschlechtert Repitition.
 
1) Nein, das Niedergewicht und das Aufgewicht werden an der selben Stelle gemessen. Die Taste ist ein Waagebalken, der nicht im Gleichgewicht ist. Diese Abweichung vom Gleichgewicht ist im Fall ohne Reibung das Niedergewicht, und eben auch das Aufgewicht. Durch Reibungsverluste ist zusätzliche Kraft nötig, um die Taste zu bewegen. Daraus entsteht der Unterschied: Der Finger muss stärker drücken, bzw. ein Teil der Kraft nach oben der Taste geht in die Reibung.

2) Nein, denn Niedergewicht und Aufgewicht sind im Prinzip die selbe Kraft, bzw. haben die selbe Ursache (das Übergewicht auf der Hinterseite der Taste). Bekommt die Taste vorne mehr Gewicht, sinken beide, weil die Taste näher ans Gleichgewicht gebracht wird.

3) Ok, das war eine Halbwahrheit. In der Praxis ist höheres Aufgewicht (bei gleichbleibendem Niedergewicht) auch besser. Das Aufgewicht hilft, den Finger wieder nach oben zu bringen und so für den nächsten Anschlag der Taste vorzubereiten.
 
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2. wenn man vorne Blei hinein macht, sinkt das Niedergewicht tatsächlich, aber das Aufgewicht steigt.

3. Möglichst hohes Aufgewicht verschlechtert Repitition.
Ups, Denkfehler. Vorne Blei lässt die Taste langsamer hoch kommen. Aber genau das ist ja niedrigeres Aufgewicht. Die Taste muss aber schnell wieder hoch kommen. Höheres Aufgewicht ist also tatsächlich gewünscht.
 

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