Die Minimal Music ist in die Jahre gekommen - Same Procedure As Every Year, Mister Glass?

Es ging mir um die typische Arroganz des europäischen Adels und ihrer Getreuen, dass ihre Kunstmusik das höchste Gut sei, tausendmal daseinsberechtigter als das, was das Volk liebt. Und es ist diese Haltung, die hier im Forum herrscht.

Nö, sehe ich nicht so. Ich kenne jetzt keinen, der fordert "Schlager verbieten" oder so. Ich mag die halt nur nicht, das ist mein gutes Recht!

Deine Argumentation ist eine Einbahnstraße, der Umkehrschluss gilt halt nicht zwangsläufig. So, von wegen notwendig und hinreichend. Es ist hinreichend, dass ich diese Arroganz an den Tag lege, aber bei Leibe nicht notwendig. Oder willst Du das ernsthaft unterstellen!? Ich glaube, eher nicht.

Sehr seltsam, alles.

Grüße
Häretiker
 
Der eigentliche Zweck der Kunstmusik ist ja seit jeher der der Abgrenzung. Menuett ist ein Tanz, so kompliziert zu Tanzen, dass man jahrelangen Unterricht brauchte. So wie auch zum Spielen klassischer Musik. Wer konnte/kann sich diesen jahrelangen Unterricht leisten? Wer kann/konnte diese Zeit investieren? Wer kann sich Konzertkarten leisten?
In die Disco kann jeder...

Und als Abgrenzungsmerkmal funktioniert Kunstmusik auch heute noch: Meine Tochter hat sich in ihrer Klasse unzertrennlich mit den rumänisch-stämmigen Mädels angefreundet. Letztes Jahr trafen wir dann zufällig im hiesigen Pianohaus die Familie einer anderen Klassenkameradin, die ich auf dem Pausenhof nicht mal erkenne, weil meine Tochter nie von ihr erzählt. Eine sehr bekannte, alteingesessene, städtische Architektenfamilie. Die Einladung meiner Tochter kam die Woche drauf. Zufall?

Klassische Musik ist Eintrittskarte und Abgrenzung bildungsbürgerlicher Milieus. Eine der wenigen verbliebenen "Bastionen" (das humanistische Gymnasium fällt mir noch ein).
Das zeigt sich auch in den Diskussionen hier im Forum immer wieder.

Das ist jetzt auch erstmal ohne Wertung gemeint (also die Ausbeutungsdebatte muss jetzt hier nicht weitergeführt werden...). Ich fühle mich in diesem Umfeld auch wohler als im Musikantenstadl.

Aber ein bisschen Bewusstsein für diesen Umstand und vielleicht auch Überlegungen, wie man den Zugang zur klassischen Musik auch "bildungsfernen" Schichten erleichtern kann, fände ich manchmal schon hilfreich. TEY, Andre Rieu, Piano Apps könnte man z.B. ja auch als ersten niederschwelligen Einstieg in eine je nach Elternhaus eben nicht einfach zugängliche Welt verstehen.
 
Der eigentliche Zweck der Kunstmusik ist ja seit jeher der der Abgrenzung. Menuett ist ein Tanz, so kompliziert zu Tanzen, dass man jahrelangen Unterricht brauchte. So wie auch zum Spielen klassischer Musik. Wer konnte/kann sich diesen jahrelangen Unterricht leisten? Wer kann/konnte diese Zeit investieren? Wer kann sich Konzertkarten leisten?
In die Disco kann jeder...
Dass soziale Distinktion der "eigentliche Zweck" von Kunstmusik wäre, so weit würde ich dann doch nicht gehen. Der eigentliche Zweck von Kunst ist wahrscheinlich einfach Kunst; das ist ja auch etwas Wunderbares :-) . In allen anderen Punkten stimme ich Deinem Beitrag aber zu. Und leider tummeln sich auf diesem Feld wohl auch manche Ochsen (was ebendiesen bösen Verdacht auch nahelegen kann) ;-) .
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Der eigentliche Zweck der Kunstmusik ist ja seit jeher der der Abgrenzung.
...erst war sie ethisch fragwürdig, jetzt offenbart sie ihren eigentlichen Zweck, den der Abgrenzung... ist schon ein fieses heimtückisches Luder, die Kunstmusik...

es war einmal, vormals, ehedem im Pizza-Chiantiland
...an einem lauen Frühlingsnachmittag spazierte ein gutbürgerlicher Studiosus musicae, unterwegs verächtliche Blicke auf verdreckte ärmliche Tagelöhner werfend, zum Anwesen von Maestro Rossini. Tja ihr Looser, ich hab feine Klamotten, mein Vati hat Geld, deswegen geh ich zum Maestro während ihr staubig-schwitzig malochen müsst, dachte der Studiosus. Dann öffnete er das Gartentor des Anwesens, schritt durch den parkähnlichen Vorgarten und klopfte an der Eingangstür der Villa Rossini. Eine Bedienstete öffnete dem angekündigten Besuch. Sie verstaute die kostspielige Jacke des Studiosus in einer Garderobe, deren Raum locker für drei mehrköpfige Tagelöhnerfamilien ausgereicht hätte.
Maestro Rossini saß an einem Sekretär neben seinem Flügel und schrieb eifrig an einer Partitur. "Bon giorno maestro" begrüßte der Studiosus den weltberühmten Komponisten, "da bin ich wieder, um Ihren Ausführungen zur Kunstmusik gelehrsam zu lauschen." Rossini unterbrach sein Geschreibsel und grüßte ebenfalls.
"Woran arbeitet Ihr da, Maestro?"
"...ecco... porca miseria... o satana o ribellione... wie Sie sehen, ich grenze mich gerade ab... eine furchtbar langweilige Arbeit ist das..." stöhnte Rossini.
Der Studiosus beugte sich über die Schreibplatte des Sekretärs, stutzte: "aber Maestro, das sind doch himmlische Melodien, eine opera buffa, spritzig, mitreißend, das werden die Leute auf den Gassen pfeifen, trällern, singen - " aber der Maestro unterbrach den Studiosus: "nein, nein, das ist kalte, berechnende, ungerecht im Luxus schwelgende Abgrenzung! Sehen Sie: letzte Nacht ist mir Gott der Herr " - hier bekreuzigte sich der Maestro - "erschienen und hub an, weise und überliefernswerte Worte zu mir zu sprechen. e, Gioachino sprach der Herr zu mir, mein bambino, ich habe dich wohlwollend mit Talent ausgestattet, neben dem pfui-österreichischen Bubele Wolfgangerl hören wir am liebsten deine Melodien über den Wolken, aber so eine Schöpfung ist eine komplexe Sache und da läuft nicht alles so, wie es sich die Geschöpfe der Schöpfung gerne zurechtlegen, ecco, schaumal, was du für deine Musik hältst, das ist gar keine, sondern du brillierst im wahren Kunstzweck der Abgrenzung, Tizian hat sich mit dem Pinsel, Dante mit dem Wort abgegrenzt, du grenzt ab mit der Töne Wohllaut. Noch merkst du das nicht, aber ich sage dir, in der Zukunft, im bürokratischen Land der Tedesci, wird ein tiefsinniger Denker, welcher sich einen italiänischen Namen gibt, diese Wahrheit entdecken und verkünden. Sei nicht traurig, bambino mio - an dieser Stelle unterbrach der Herr seine Rede über die trübe bürokratische deutschdominierte Zukunft und tätschelte mich - ecco, Gioachino, dir wird diese trübe Zukunft erspart bleiben: du wirst weiterhin den Menschen Freude machen mit deinen Klängen und Melodien. Aber du bist einer der wenigen, die das jetzt schon wissen dürfen. Und schwupp löste sich der Herr in Rauchschwaden auf, die durch das geöffnete Fenster davon zogen. Nun Herr Studiosus, ich grenze diese Abgrenzungsoper noch schnell mit einem doppelten Taktstrich am Ende des Finales ab, dann werde ich eine kleine Messe schreiben, um mich von den künftigen Muselmanen bei den Tedesci der Zukunft abzugrenzen, denn mir ist der Herr erschienen und Abgrenzung hin, Abgrenzung her: wir Italiener haben gefäligst katholisch zu sein. Der Unterricht muss heute leider ausfallen, der einzig wahre Kunstzweck geht vor!"

;-) :-D :drink:
 
Der eigentliche Zweck der Kunstmusik ist ja seit jeher der der Abgrenzung.

Ja, und!? Das heißt ncoh ange nicht, dass einer Abgrenzung betreiben will, weil er Klassik hört oder spielt. Das geht mir am - jetzt hätte ich beinahe "Sacknaht" geschrieben! - am Arm vorbei.

Klassische Musik ist Eintrittskarte und Abgrenzung bildungsbürgerlicher Milieus.

Siehe oben. Bin kein Bildungsbürger und will auch nicht dazu gehören.

wie man den Zugang zur klassischen Musik auch "bildungsfernen" Schichten erleichtern kann

Vernünftiger Musikunterricht in der Schule wäre ja mal ein Anfang ... aber oft versagt der Schulunterricht ganz. Ist bei Sport oder Deutsch (bäh, Literatur lesen!) auch nicht grundsätzlich anders.

, fände ich manchmal schon hilfreich. TEY, Andre Rieu, Piano Apps könnte man z.B. ja auch als ersten niederschwelligen Einstieg in eine je nach Elternhaus eben nicht einfach zugängliche Welt verstehen.

Das ist, was ich - aufgrund meiner Beschränktheit vermutlich - nie verstehen werde:
Noch nie war es soooo einfach, an Informationen zu kommen. Man muss nur wollen! Wir haben ein Internet! Und das ist nicht nur für Porn oder Social Media, man glaubt es kaum! Man muss nur wollen und zugreifen!

Aber es ist halt nicht das Paradies, die gebratenen Tauben fliegen einem nicht in den Mund. (Denkt denn keiner an die Vegatarier!?)

Mithin: Man ist Herr seiner eigenen Abgrenzung.

Witzig an der Geschichte ist natürlich, dass der Ausgangspunkt dieser Diskussion im Internet statt findet über ein Youtube-Video. "Die Welt ist bekloppt. Und hier das Wetter ..."

Grüße
Häretiker
 
Ich zitiere mal draus:
"Bis etwa zum 19. Jahrhundert lässt sich Kunstmusik recht klar als die Musik der oberen sozialen Schichten umreißen, die höfische oder kirchliche Funktionen erfüllt"

Also klar diente sie ursprünglich der Abgrenzung zwischen Adel und Volk, es war die Musik bei Hofe. Ein Menuett musste so komplex sein, dass es eben nicht jeder Bauer tanzen kann. Und genau deswegen wurde sie so fleißig vom aufstrebenden Bürgertum adaptiert. Wie übrigens auch Messer und Gabel, Schnallen an den Schuhen und zahlreiche andere höfische Moden - alles höfische Abgrenzungsmerkmale, @Sylw hat oben ja schon Bourdieu verlinkt...
Das beginnende 19. Jht. war da übrigens besonders spannend, weil ja mit der französischen Revolution das Bürgertum eine ganz neue Rolle erhielt und gleichzeitig der Adel um seine angeschlagene Rolle kämpfte. Ich glaube, dass der immense Erfolg der klassischen Musik, die sich ja auch exakt in dieser Gemengelage rasant fortentwickelte, genau damit zusammenhängt.

Ist ja übrigens nicht schlimm, ich finde Messer und Gabel auch eine echt sinnvolle Innovation des französischen Hofes für deren Verbreitung und allgemeine Adaption ich sehr dankbar bin... ;-)

Wär doch schön, die Kunstmusik auch so umfassend zu verbreiten. Weil das frappierende ist ja weniger, dass es mal ein Abgrenzungsmerkmal WAR, sondern wie weit das bis heute immer noch spürbar persistent ist.
 
Ich zitiere mal draus:
"Bis etwa zum 19. Jahrhundert lässt sich Kunstmusik recht klar als die Musik der oberen sozialen Schichten umreißen, die höfische oder kirchliche Funktionen erfüllt"
[...]

Ich habe den Eindruck, du siehst es etwas verquer.

Deine Formulierung, dass es der Abgrenzung dient, klingt für mich nach einer Absichtlichkeit, die meines Erachtens nicht zutrifft.

Die Funktion der Abrenzung resultiert eher aus bestimmten Eigenschaften, die das gut, das angeblich der Abgrenzung dient, hat.

Heutzutage mag es meist umgekehrt sein. Etwas ist über den Preis un- bzw. schwer erreichbar, also kann ich mich damit abgrenzen, dann mache ich das auch.
Und vor allem der Hersteller nutzt das, indem er den Preis künstlich höher setzt, als er sein müsste.

Sich ein Orchester zu halten, ist aber nunmal nicht künstlich teuer, sondern wenn die Musiker nur für mich arbeiten sollen, muss ich zumindest ihren Lebensunterhalt abdecken.
 

Ich zitiere mal draus:
"Bis etwa zum 19. Jahrhundert lässt sich Kunstmusik recht klar als die Musik der oberen sozialen Schichten umreißen, die höfische oder kirchliche Funktionen erfüllt"

Hab ich nicht bestritten, dass da mal so war.
Es ist für mich(!) nicht relevant.
Und heute kann (praktisch) jeder klassische Musik hören. Wenn er denn möchte.

Weil das frappierende ist ja weniger, dass es mal ein Abgrenzungsmerkmal WAR, sondern wie weit das bis heute persistent ist.

Siehst Du, ich setze da ein wenig auf das Interesse der Leute. Wer will, kann sich informieren, textuell und akustisch. Ohne seinen Arsch zu erheben. Noch nie war es so einfach wie heute.

Wir Leben in einer Welt voller wunderbarer Dinge. Wenn man Interesse hat, kann sich darüber informieren. Die Schule kann nur einen kleinen Teil eines Gebiets abdecken (der bessere Fall) oder einem das Interesse an einem Gebiet austreiben (der schlechtere Fall). Aber Interesse muss man schon haben.

Wir haben da wohl verschiedene Ansichten.

Wir können das gleiche Spiel auch noch mit "Jazz" durchspielen. Oder mit Differentialgleichungen, Klangsynthese, Regenbogen, Abgasturbolader oder Modeströmungen nach dem zweiten Weltkrieg, ...

Es bleibt dabei: Wer Interesse hat, kann sich informieren. Wer kein Interesse hat, ...

Grüße
Häretiker
 
Hasi, Du verwechselst da was. Kein Komponist der Welt "muss" seine Stücke gut oder perfekt spielen. Manche können das, aber noch nicht einmal Nyman spielt seine Sachen selbst ein. Bei Komposition geht es um eine Idee. Bei dem "Opa" auf einem "verstimmten Klavier" merkt man, wie er während des Spiels immer noch die Komposition überprüft.
Die Komposition kann einem gefallen (mir gefällt sie) und ich bin dankbar für diesen Link, denn da ist ein Suchender authentisch zu erleben.
Ich möchte nicht wissen, wie diverse Komponisten ihre Cello-Sonaten oder Oboenkonzerte selbst gespielt haben... Spielerisches Unvermögen ist also kein Hinweis auf eine "schlechte" Komposition.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das beginnende 19. Jht. war da übrigens besonders spannend, weil ja mit der französischen Revolution das Bürgertum eine ganz neue Rolle erhielt und gleichzeitig der Adel um seine angeschlagene Rolle kämpfte. Ich glaube, dass der immense Erfolg der klassischen Musik, die sich ja auch exakt in dieser Gemengelage rasant fortentwickelte, genau damit zusammenhängt.
@Viva la musica Musiksoziologie ist ein interessantes, wiewohl uneinheitliches Gebiet - die musiksoziologischen Perspektiven auf das Phänomen Musik sind aber weder die einzigen noch die allein selig machenden ;-) Übrigens zeigt ein Blick auf das Zitat oben, dass und wie man sich in verkürzten Darstellungen verstricken kann: Mozarts Musik erblickte das Tageslicht und feierte große Erfolge vor der französischen Revolution - franz.Rev. 1789-99, Mozart 1756-91; die "Republik" samt Guillotine 1792-94 konnte Mozart mortuis causae nicht kennen lernen... spaßeshalber ein Tante Wiki Zitat zu Mozarts Verhältnissen:
Nach heutigen Maßstäben war Mozart ein Großverdiener, dennoch war er, bedingt durch seinen Lebenswandel, oft in finanziellen Nöten. Für ein Engagement als Pianist erhielt er nach eigenen Angaben „wenigstens 1000 Gulden“ (zum Vergleich: Seiner Magd bezahlte er einen Gulden pro Monat). Zusammen mit seinen Klavierstunden, für die er jeweils zwei Gulden berechnete, und seinen Einkünften aus den Konzerten und Auftritten verfügte er über ein Jahreseinkommen von rund 10.000 Gulden, was nach heutiger Kaufkraft etwa 125.000 Euro entspricht.
insofern wäre zu bedenken, ob die übertriebene und einseitige "Abgrenzung" als Hauptzweck so ganz und gar eindeutig ist ;-):drink:
 
Heutzutage ist Musik durchaus ein Mittel der sozialen Abgrenzung wie auch der zur Schau gestellten Gruppenzugehörigkeit. Das fängt doch schon mit den verschiedenen Jugendkulturen an, die z.B. über Hip-Hop, Rock, Gothic, Elektro, Punk usw. eine bestimmte Szenezugehörigkeit schaffen.
 
Heutzutage ist Musik durchaus ein Mittel der sozialen Abgrenzung wie auch der zur Schau gestellten Gruppenzugehörigkeit.
Wobei die Abgrenzung wohl eher ein tertiärer Effekt ist; maßgeblich ist das Gefühl (der Wunsch), dazuzugehören.

So ist ja auch im Beitrag, in dem der Zweck der Kunstmusik in der Abgrenzung gesehen wird, eher der Wunsch, dazuzugehören dargestellt: ein Besuch im Pianohaus, und es klappt mit der Einladung der filia bei Architektens, juhu...

Adel und Klerus hatten andere Methoden, sich abzugrenzen, denen war schietegal, ob der Bauer beim Menuett mittanzen kann.

Cee
 
Die allererste Abgrenzung entstand damals m.E. durch das zur Verfuegung stehende Geld: Wer es hatte, konnte sich Noten, ein Orchester und vielleicht auch einen Konzertmeister leisten. Wer es nicht hatte, war auf die Erinnerung, ein paar wenige Instrumente und die Stimme angewiesen. Und die Musik, die dabei herauskommt, ist dementsprechend verschieden.

Heute koennen sich (fast) alle ein Handy leisten, es steht somit - unabhaengig von den finanziellen Mitteln - die gesamte Musikwelt zur Verfuegung. Warum dann die Kunstmusik so ein Schattendasein fuehrt, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht weil sich mit der Erfindung der Tontraeger die Industrie einen grossen Markt erschliessen wollte/musste und sich als Zielgruppe das Volk und seine Volksweisen ausergoren hatte?
 
Wissen und Kultur stehen heutzutage jedermann/jederfrau dank Internet kostenlos und vor allem bequem zur Verfügung. Aber das heißt nicht, daß diese Möglichkeiten auch genutzt werden. Ich erlebe es oft genug (nicht nur bei Kindern, sondern auch - und besonders - bei Erwachsenen), wie gleichgültig es ihnen ist, was da an Spielanweisungen und Zeichen z.B. in den Noten steht. Man/frau könnte ja mal bei Tante Wiki recherchieren, aber es muß ja nicht - getreu dem alten Sponti-Spruch:
WISSEN IST MACHT!!! Nix wissen macht auch nichts.
Wenn Bildung wieder ein kostbares und damit erstrebenswertes Gut wäre, würde sie wohl auch wieder mehr geschätzt,

vermutet cb
 
Warum dann die Kunstmusik so ein Schattendasein fuehrt, ist mir nicht ganz klar.
Weil sie nur Leuten mit Anspruch interessiert, Leuten, die Zeit haben und nutzen zuzuhören und entsprechend Qualität erwarten. Industriell produzierte Musik, ob nun durch Stars aus der Retorte repräsentiert oder nicht, spricht umgekehrt die Masse an, für die Musik eher ein Füllmaterial ist, Füllung für etwas, das mal war (vielleicht nur geträumt), Anklang ans Gewohnte, an die eigene Jugend, Abwehr einer unberechenbaren Welt, Kuschelkissen für die Ohren, Statement der Zugehörigkeit zu welcher Markensubkultur auch immer. "Qualität" bemisst sich hier nicht nach Seltenheit, sondern nach Entsprechung eines kleinsten gemeinsamen Nenners.

Die Musikhörende Masse, so meine These, will keine Musik hören. Sie hört sie, weil es sich so gehört, sie es gewohnt ist und anderes im Kopf hat als Gewohnheiten zu hinterfragen. Und will sich die Ohren stopfen, damit sie das Gesülz des langweiligen Sitznachbarn in der U-Bahn nicht mitkriegt oder so. Man kann sie mit trivialem Zeug abspeisen, ohne das sie es merkt. Aber bevor man mir hier Arroganz unterstellt: Ich bin ja auch nicht anders in Lebensbereichen außerhalb meines Fokus. Zum Beispiel esse ich hin und wieder Tiefkühlpizza, Zeug also, dass ein Feinschmecker selbst unter Androhung der Folter seiner Angehörigen gar nicht runterkriegte.

Daher ist schon nicht ganz falsch, Kunstmusik über Ausgrenzung zu definieren. Je stärker sie »die Masse« ausgrenzt, schlicht durch ihr ungewohntes Wesen, ihren Schwierigkeitsgrad in der Aneignung, um so mehr vermag sie einzelne zu überraschen, die gerade das Besondere suchen im Einheitsbrei, die sich vielleicht eben so abgrenzen wollen gegenüber der "Masse". In einer Zeit des Individualismus ist die Entfaltung, die Gestaltung des Selbst, somit das eigene Abgrenzeln ja Lebensaufgabe. Abgrenzeln ... jetzt neu, nur echt mit dem L.

Wobei speziell die klassische Musikkultur stärker auf konservative Konventionen setzt. Die Ausgrenzung geschieht hier eher passiv, man geht gerade nicht mit der Zeit, man »macht halt nicht jeden Scheiß mit«. Die anderen Sparten der Kunstmusik, Avantgarde und Experimentelle Musik, Jazz und andere originale Weltmusik, Sound art und anderes in der Aufzählung unterschlagene, suchen aktiver nach neuen Pfaden, trauen sich aus der Komfortzone. So hat die klassische Musikkultur, weiter unterteilbar in profan und kirchlich, diese Komfortzone mit der industriellen Musik gemeinsam. Sie speist sich aus einem (fast unerschöpflichen) Literaturfundus, der zum Großteil immer gleich bleibt, weil die Komponisten schon tot sind und ausgiebig verklärt werden können, ohne dass man sich des Personenkultes schuldig macht. Und wer noch nicht tot ist, steht unter Argusaugen oder vielmehr -ohren der Kritiker und sollte nicht zu viele der liebgewonnenen Konventionen über Bord werfen, aber auch »Neues« liefern.

Das ist wohl in den Augen der Experten wieder alles Mist, was ich geschrieben habe. Es handelt sich nicht um angelesenes Wissen, sondern um meine unbedarfte »Laiensicht«, warum die Kunstmusik ein Schattendasein fristet. Wiedewiedewitt. Aber ihr sollt mich ja eh nicht liken, hab hier also Narrenfreiheit bis die Moderation auf den Plan tritt. Nur, verdammt, der Bogen zurück zu Glass ist schon ziemlich weit. Es blei-be da-a-bei *sing*: Solange ich das nicht nach Gehör nachspielen kann, ist es für mich nicht zu trivial.
 
Wobei die Abgrenzung wohl eher ein tertiärer Effekt ist; maßgeblich ist das Gefühl (der Wunsch), dazuzugehören.

So ist ja auch im Beitrag, in dem der Zweck der Kunstmusik in der Abgrenzung gesehen wird, eher der Wunsch, dazuzugehören dargestellt: ein Besuch im Pianohaus, und es klappt mit der Einladung der filia bei Architektens, juhu...
:-D
Nee, nee, nachdem fast unser halber Freundeskreis bereits aus Architekten besteht, hätten wir da eher lieber etwas Abwechslung gehabt...

Ich fand es eher von der anderen Seite interessant: scheinbar war ein Kontakt zwischen den Kindern plötzlich erwünscht, wenn man sich im Pianohaus trifft.
Nachdem es in unserem Akademikerfreundeskreis inzwischen KEIN einziges Kind mehr gibt, dass nicht Klavier oder ein orchestertaugliches Instrument lernt, baut sich da natürlich schon eine gewisse Hürde auf z.B. zu den rumänischen Schulfreundinnen meiner Tochter.
Und ich frage mich, wie man einen breiten Zugang zur klassischen Musik für alle Kindern denn fördern könnte.
Klar könnten die sich auch klassische Musik via YT anhören, aber wie wahrscheinlich ist das, wenn sie damit nie via Instrumentalunterricht in Kontakt kamen?

Und wenn ich manche Diskussionen hier im Forum verfolge (Flügel vs Klavier vs. Digi vs. Keyboard, Apps vs. Richtiger Unterricht, hochwertige Instrumentalmusik vs. TEY/Glass) dann tragen die sicher auch nicht zum Abbau dieser Hürden bei. Und das scheint auch nicht das Ziel zu sein.

Warum dann die Kunstmusik so ein Schattendasein fuehrt, ist mir nicht ganz klar

Eben darum.

Ich hab auch gar nichts gegen den musikalischen Anspruch, der mir auch einleuchtet, aber ich habe mich halt gefragt, ob diese kontinuierlichen Attacken auf alle Musik (wie die von Glass), die eine Brücke zwischen Popgedudel und echter Kunstmusik sein könnte, nicht einen auch heute noch bestehenden Wunsch nach Abgrenzung zeigt. Die Messlatte wird einfach so lange weiter nach oben verschoben bis sie für Menschen, die keinen privilegierten Zugang (via Instrumentalunterricht) erhalten haben, immer schwieriger erreichbar wird.



Das war für mich eine interessante Erkenntnis hier aus dem Forum, die ich naiverweise VOR meinem Mitlesen hier alles zwischen TEY, Flowkey und Bach für ein fließendes Kontinuum klassischer Musikbildung zwar mit steigendem Anspruch aber ohne diese harte Grenze (Kunst vs. Mist) gehalten habe...

Ich ahnungslose Musikbanausin aus dem Volke ... :009:

Und jetzt noch zum Abschluss, um wieder den Bogen zu Glass zu schlagen: ich mag manches von ihm und finde, das ist eine moderne Art der Kunstmusik, die Hörer durchaus von Pop zu Bach leiten könnte.
 
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