Bindebogen / Phrasierungsbogen

S

Solo

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Hallo an alle,

um es vorweg zu sagen: nein, ich habe keinen Klavierlehrer, den ich fragen könnte ;)

Die Unterschiede zwischen Binde- u. Phrasierungsbogen sind mir trotz einiger Recherche immer noch nicht ganz klar. Ist es so, dass der Bindebogen ein paar Noten miteinander verbindet, die man dann in einem exakten Legato spielt? Und der Phrasierungsbogen fasst mehrere Takte zu einer Einheit zusammen?

Mal angenommen, es sind 4 Noten mit einem Bindebogen versehen, danach kommen gleich wieder 4 Noten unter einem neuen Bindebogen --> unterbreche ich dazwischen das Legato, d.h. hebe ich die Finger sozusagen kurz von den Tasten hoch, um dann neu anzuschlagen?


Grüße von Solo
 
Oh, kann mir niemand helfen?

Vielleicht ist meine Frage zu lapidar, aber ich weiß wirklich nicht weiter.
 
Hi Solo,

nur als kleiner Denkanstoß:

der Bindebogen verbindet gleiche Noten quasi mathematisch zu einer einer neuen entsprechend längeren Note.
Das kann zum Beispiel sein, wenn eine Note über einen Taktstrich hinweg gehalten wird.

Der Phrasierungsbogen deutet an, dass eine Phrase adäquat gebunden gespielt wird, so dass sie als Phrase erkennbar wird.
Dort sind in der Regel unterschiedliche Töne im Spiel.

Also erst mal schauen, ob gleiche Noten gebunden werden sollen.
Dann so lange halten, wie die Addition der Zählzeiten ergibt.
Sonst Phrase.

Hoffe, du kommst jetzt alleine weiter.:p:p

Lieber Gruß NewOldie
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
der Bindebogen verbindet gleiche Noten quasi mathematisch zu einer einer neuen entsprechend längeren Note.
Das kann zum Beispiel sein, wenn eine Note über einen Taktstrich hinweg gehalten wird.

Ich denke, Solo meint hier eher den Legatobogen der eine Gruppe von Noten verbindet, die Legato gespielt werden sollen. Allerdings gibt es da auch Bögen die mit Staccato oder Portato markierte Noten enthalten - wird das dann unter Bindebögen zusammengefasst, oder ist Bindebogen überhaupt ein Überbegriff? Keine Ahnung.

Leicht ist die Unterschiedung dort, wo beides vorkommt. Der Phrasierungbogen spannt sich dann über die mit "Bindebögen" gekennzeichneten Noten.

Der Phrasierungsbogen kennzeichnet eine Phrase, in der Sprache wäre das Äquivalent ein Satz, der dementsprechend betont und gestaltet werden muss (Tempo, Dynamik, Pausen etc.) um den musikalischen Zusammenhang erkennbar zu machen. Wenn man musikalische Phrasen aus dem Notentext heraus (noch) nicht erkennen kann, ist es eine große Hilfe, die Melodie zu singen und zu sehen wie man sie mit der Stimme gestalten würde.

Bin aber selbst noch Anfänger, aber vielleicht melden sich doch noch kompetentere Leute zu Wort.

LG, PP
 
Mal angenommen, es sind 4 Noten mit einem Bindebogen versehen, danach kommen gleich wieder 4 Noten unter einem neuen Bindebogen --> unterbreche ich dazwischen das Legato, d.h. hebe ich die Finger sozusagen kurz von den Tasten hoch, um dann neu anzuschlagen?

Ich denke es wäre gut, wenn du einen Ausschnitt der Noten posten könntest, dann fällt eine Antwort sicher leichter. In dem Beispiel welches ich nun im Kopf habe (klassische Sonatine) spiele ich solche Notengruppen mit leichter Betonung auf die erste Note und die letzte Note etwas kürzer - meine KL hatte bisher nichts gegen diese Spielweise einzuwenden, habe sie aber auch nie explizit nach Bögen und deren Realisierung gefragt.

LG, PP
 
Hallo Solo,
als ich deine Frage eben gelesen haben, dachte ich mir, och das ist ja schnell und einfach beantwortet.... aber von wegen. Ich versuchs trotzdem mal, einfach um zu sehen, ob ich es selbst verstanden habe :D.
Bei Überlegungen zur Phrasierung denkt man eher an Sinnabschnitte eines Stückes, also das, was man als Hörer als kleine in sich verbundene Einheit wahrnimmt (nicht zu verwechseln mit Motiv). Diese Sinnabschnitte herauszuhören und in ihrem Verlauf genau kennenzulernen ist schon sehr wichtig, weil das im Vortrag ganz grausig klingen kann, wenn man kein Bewußtsein, kein Gehör für den sozusagen inhaltlichen Verlauf des Stücks hat. Viele Entscheidungen der Agogik hängen m.E. vom Verständnis der Phrasierung ab. Nicht nur der einzelnen Phrasen, sondern eben deren Zusammenwirken und Ablauf in der Gesamtstruktur. Wenn der Komponist ein Netter war und in der richtigen Zeit lebte, dann hat er seine Vorstellung der Phrasierung inform dieser Bögen notiert. Wenn er zu früh geboren wurde, zu Zeiten wo das Musikverstehen noch selbstverständlicher vorausgesetzt wurde, dann gabs keine "Gebrauchsanweisung". Aber vielleicht haben sich in diesem Fall nachträglich einige Editoren ans Werk gemacht und in spätere Ausgaben Bögen ergänzt (manchmal nicht ganz ohne Kollateralschäden). Herauszufinden bei Unklarheit, ob es sich um einen Phrasierungsbogen handelt, geht am besten durch genaues Hinhören. Wenn man die Noten unter dem Bogen als Sinneinheit wahrnimmt (unter Berücksichtigung des ganzen Stückes/Abschnitts), dann wird es wohl eine Phrase sein. Wenn nicht, dann nicht. Vielleicht könnte man ja mal anregen, unterschiedliche Linien zu ziehen. Phrase= Zick-Zack, Legato=Schlangenlinie :D
Beim Legatobogen denke ich eher an eine Artikulations"vorschrift". Das heißt, die Noten unter dem Bogen bekommen im Vergleich zum Vorauslaufenden und Nachfolgenden artikulationsbedingt einen anderen Klangcharakter. Am besten fokussiert man sich nicht nur auf die Noten unter dem jeweiligen Bogen, sondern orientiert sich in der Gesamtschau, um den Klang, die Artikulation zu beurteilen. Der Legatobogen kennzeichnet somit eher den Klang, der an der vorgeschriebenen Stelle durch entsprechende Artikulation erwünscht ist. Anders als der Phrasierungsbogen entfaltete er seine Wirksamkeit mehr auf der Klangebene als auf der Strukturebene. Obwohl natürlich beides einander bedingt und sowieso nicht getrennt werden kann.
Wenn, wie in deinem Beispiel 4 Noten jeweils unter einem Legatobogen stehen, dann würde ich an kleine Klang"päckchen" denken, die durch kurzes Neuansetzen zur Geltung kommen, in sich aber gebunden sind, wahrscheinlich in nicht zu langsamem Tempo.

LG, Sesam
 
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der Bindebogen verbindet gleiche Noten quasi mathematisch zu einer einer neuen entsprechend längeren Note.
Das kann zum Beispiel sein, wenn eine Note über einen Taktstrich hinweg gehalten wird.

New Oldie, so wie du es beschreibst, darunter verstehe ich einen Haltebogen. Unter einem Bindebogen findet man schon Noten unterschiedlicher Höhe.


Danke auch dir, PionoPuppy, für die Antwort. Ja, ich meine den Legatobogen. Der Vergleich "Satz / Phrasierungsbogen" ist vielleicht gar nicht schlecht.


Sesam, du hast dir viele Gedanken gemacht - danke.
Wenn man Phrasierung als Sinnabschnitt versteht, was denkst du, wie lang, in Takten gemessen, kann dieser Abschnitt sein.
Auf jeden Fall hängen Agogik, Artikulation und Phrasen eng zusammen, deshalb ja meine Fragen, wobei ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, ob man unterhalb eines Phrasierungsbogens ein striktes Legato spielen sollte oder ob es dort einen eigenen Interpretationsraum gibt.
Das Erkennen eines nicht eingezeichneten Phrasierungsbogens in der Notation ist dann wieder eine andere Schwierigkeit, mit der ich gerne kämpfe.
Bezüglich Legatobögen glaube ich, dass es mitunter nicht einfach sein wird, verschiedene Klangcharaktere herauszuarbeiten, so wie du es beschrieben hast, besonders wenn ein Bindebogen nach dem anderen kommt.




Es bleibt also ein komplizierteres Thema, als auf den ersten Blich sichtbar.
Nur her mit noch anderen Denkanstößen.
 
Hallo Solo,

Wenn man Phrasierung als Sinnabschnitt versteht, was denkst du, wie lang, in Takten gemessen, kann dieser Abschnitt sein.

Mal länger, mal kürzer. Die Frage find` ich nicht von Belang. Kommt halt drauf an, was der Komponist zu sagen hat. Nicht wie viel :D

Auf jeden Fall hängen Agogik, Artikulation und Phrasen eng zusammen, deshalb ja meine Fragen, wobei ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, ob man unterhalb eines Phrasierungsbogens ein striktes Legato spielen sollte oder ob es dort einen eigenen Interpretationsraum gibt.

Hm, meinst du nun Legatobogen oder Phrasierungsbogen. Die Annahme unter einem Phrasierungsbogen "striktes legato" zu spielen, versteh` ich nicht. Wie kommst du denn da drauf?

Bezüglich Legatobögen glaube ich, dass es mitunter nicht einfach sein wird, verschiedene Klangcharaktere herauszuarbeiten, so wie du es beschrieben hast, besonders wenn ein Bindebogen nach dem anderen kommt.

Naja, aber das ist ja grad das Schöne und Herausfordernde beim Üben. Sonst wäre es damit getan, die Noten in der richtigen Reihenfolge im richtigen Rhythmus zu spielen. Außerdem gehts nicht drum, bei jedem Legatobogen irgendwie einen anderen Klangcharakter hervorzuspielen, da hast du mich missverstanden bzw. hab ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nur, dass sich der Legatobogen und die demzufolge erwünschte Artilukation im Zweifelsfall aus dem Kontext erklärt.
Eine andere Erklärung des Bindebogens ist die Orientierung an Streichinstrumenten. Das Kriterium wäre dann der Bogenwechsel, bzw. welche Noten auf einen Bogen genommen werden. Dies kann man auf der Klaviatur nur bedingt nachahmen, aber in der klanglichen Vorstellung eines Streichinstrumentes gibt es Aufschluss über die Spielart.

Es bleibt also ein komplizierteres Thema, als auf den ersten Blich sichtbar.
Nur her mit noch anderen Denkanstößen.

Das seh` ich auch so. Zumindest, wenn man sich näher darauf einlässt. Hast du Notenbeispiele?

LG, Sesam
 
Lieber Solo,

Sesam hat Recht - zu diesem Thema könnte man ganze Bücher schreiben (gibt's auch :p ). Grundsätzlich wäre es sehr sinnvoll, hier ein entsprechendes Notenbeispiel einzustellen! Denn so kann ich nur Allgemeinplätze von mir geben, wenn ich nicht einen ellenlangen Roman schreiben will :p .

Ich nehme an und hoffe, dass die Bögen, von denen du sprichst, auch vom Komponisten selbst sind (Urtext?) und nicht vom Herausgeber?

Zu deiner ersten Frage:

Wenn man Phrasierung als Sinnabschnitt versteht, was denkst du, wie lang, in Takten gemessen, kann dieser Abschnitt sein.

Sehr, sehr allgemein formuliert sind es oft vier, acht, zwölf oder sechzehn Takte, vor allem in der Klassik (Mozart, Haydn, Beethoven).

Vielleicht ist folgender link hilfreich:

http://www.satzlehre.de/themen/periode.pdf


Oft ist ein Legato-Bogen kürzer als ein Phrasierungsbogen, aber keineswegs immer, manchmal kann man sie nur schwer voneinander unterscheiden.

Auf jeden Fall hängen Agogik, Artikulation und Phrasen eng zusammen, deshalb ja meine Fragen, wobei ich mir immer noch nicht ganz sicher bin, ob man unterhalb eines Phrasierungsbogens ein striktes Legato spielen sollte oder ob es dort einen eigenen Interpretationsraum gibt.

Es kommt auf das Stück an, auf die Epoche, aus der es stammt. Wenn sonst da nichts steht bzgl. Artikulation, könnte man eher legato vermuten.

Das Erkennen eines nicht eingezeichneten Phrasierungsbogens in der Notation ist dann wieder eine andere Schwierigkeit, mit der ich gerne kämpfe.
Bezüglich Legatobögen glaube ich, dass es mitunter nicht einfach sein wird, verschiedene Klangcharaktere herauszuarbeiten, so wie du es beschrieben hast, besonders wenn ein Bindebogen nach dem anderen kommt.


Meinst du, dass du Schwierigkeiten hast, Phrasen zu erkennen? Dann versuche zunächst mal, Ähnliches zu entdecken (gleiche/ähnliche Anfänge...), oft wiederholt sich ein Thema oder wird variiert. Auch hier ist es am besten, ein Beispiel einzustellen.

Grundsätzlich kannst du dich mal als Sänger vorstellen. :D Denn wenn eine Phrase zu Ende geht, wird geatmet und Luft für die neue Phrase geholt (manchmal atmen Sänger aus Luftnot auch zwischendurch *lach* ). So quasi atmend gestalten auch wir Pianisten die Phrasen (sollten wir jedenfalls :p). Oft wird am Ende einer Phrase abphrasiert, d.h. die Phrase im Ausatmen leise beendet. Aber keineswegs immer. So ergibt sich aus verschiedenen Phrasen ein architektonisches Klanggebilde, eine bestimmte klangliche Entwicklung.

Man kann sich also Phrasierung wie die Interpunktion eines Textes vorstellen, Punkte, Kommata........, die den Text gliedern und ihm eine Struktur geben.


Wie man das Ende eines legato-Bogens gestaltet, kann sehr unterschiedlich sein und richtet sich nach dem musikalischen Kontext. Man kann auch hier mal schauen, wie es andere Instrumente machen. Der Streicher wechselt den Strich des Bogens (Auf-, Abstrich), der Bläser unterbricht den Luftstrom mit seiner Zunge.... - dabei kann die winzige Unterbrechung des Klangs mehr oder weniger groß sein. Ich kann also nach einem legato-Bogen absetzen und eine mehr oder weniger große Pause machen, ich kann durch intensiven Tastenkontakt sehr differenziert austarieren, wie diese Trennung klingen soll, ich kann aber auch nur durch die Lautstärke u.a. eine Trennung deutlich machen.

Das ist alles sehr grob und verallgemeinernd beschrieben und gefällt mir daher wenig. Wenn du keinen Lehrer hast, setz dich mit den Noten von Kompositionen von z.B. Beethoven (auch gern Orchesterwerke...) gemütlich in einen Sessel und hör dir eine Aufnahme an ( bitte nicht von dem Stück, was du gerade spielst). Immer wieder, bis sich Strukturen herauskristallisieren, bis du hörst und erkennst, wie unterschiedlich legato-Bögen vor allem in ihrem Ende klingen können ................... .

Liebe Grüße

chiarina
 
Lieber Sesam, liebe Chiarina,

leider konnte ich mich noch nicht bei euch beiden für die ausführlichen, hilfreichen Antworten bedanken, da bei mir ein kleines berufliches Chaos ausgebrochen ist und mich vom Klavier und PC fernhielt.

Ihr habt mir wirklich ein ganzen Stück weitergeholfen. Und wenn ich wieder etwas mehr Luft habe, werde ich mich intensiver mit der Thematik beschäftigen.

Auf jeden Fall reift gerade mein Entschluß, ab Herbst die ein oder andere Klavierstunde zu nehmen, denn ich merke, dass ich allein nicht recht weiter komme, denn es tun sich immer so viele Fragen auf. Einen guten Klavierlehrer in annehmbarer Entfernung zu finden wird sicher noch mal ein ziemlicher Akt, da ich sehr ländlich wohne.


Es grüßt Solo
 
Hallo, ich habe genau die gleiche Frage wie oben.

Mal angenommen, es sind 4 Noten mit einem Bindebogen versehen, danach kommen gleich wieder 4 Noten unter einem neuen Bindebogen --> unterbreche ich dazwischen das Legato, d.h. hebe ich die Finger sozusagen kurz von den Tasten hoch, um dann neu anzuschlagen?

ich bin ziemlich verwirrt. Ich habe ein neue russische Klavierlehrerin und sie hat es mir genau so erklärt dass ich es so spielen muss. Also die Finger weg von den Tasten (Hand nach oben) , nach jedem Bindebogen. Ich stelle mal dieses Beispiel von dem Stück rein: . G.jpg

Also bei manchen Stellen ist es ja klar,(wenn wirklich die Phrase zu Ende ist zum Beispiel und es einfach passt) aber dass man es wirklich überall da, wo ich es markiert habe, macht, dass verwirrt mich . ich habe mir sehr viele Videos auf youtube angesehen und es sind meiner Meinung nach einige wirklich gute Pianisten dabei und die machen das auch nicht. Zum Beispiel die erste Linie oben in der linken Hand. Muss man da nach jedem Takt so einen "Absatz" machen? Oder in der zweiten Linie in der rechten und linken Hand? Also sie meinte wirklich, die Hand muss da immer nach oben gehen, man muss jedesmal "atmen". Wenn ich jetzt den die ersten Takte zum Beispiel in der zweiten Linie rechte Hand "sprechen "müsste, dann würde ich auch nicht soviel Luft holen dazwischen.
Hier zum Beispiel ein Video wo es nicht so ist:
View: https://youtu.be/5KdwerbGDH0

Ich habe erst vorgestern angefangen, dass Stück zu lernen.
 

Wichtig ist der Klang, wie man das anstellt, da mag es Unterschiede geben.
Mit einem Blasinstrument ist das einfach, da bläst man 6 Töne durch und stößt bei der nächsten 6er Gruppe neu an. Beim Klavier wird nun ja eh jede Taste für sich neu angeschlagen... Beim Legato fließt das ohne Pause ineinander über, beim neu ansetzen eines neuen Bogens muss zum alten Bogen eine kleine Pause entstehen. In hohem Tempo ist das nicht unbedingt die Zeit, die Hände wirklich hoch zu heben.

Angesichts des Niveaus des Notenstücks eine seltsame Frage.
 
So sieht man es bei den restlichen Videos von diesem Stück auf youtube auch. die sind aber eben alle nicht richtig gespielt. Genau wie du sagst sollten diese kleinen Pausen da an den Stellen sein, wenn es sich dadurch auch "stockender " anhört.

Hier sind wirklich eine Menge Missverständnisse im Spiel. Zum einen gelten diese kleinen Pausen am Bogenende ausschließlich für Artikulationsbögen - und solche gehen kaum über mehr als 2 oder 3 Noten. Hier handelt es sich ganz offensichtlich und ohne jeden Zweifel um Legato-Bögen. Diese haben sich zum einen historisch aus Bogensatz-Anweisungen der Streicher entwickelt. Ob man auf einem Streichinstrument am Bogenende absetzt oder den Bogenwechsel so gut wie möglich kaschiert, ist aber kontextabhängig und kann nicht in einer allgemeingültigen Regel formuliert werden. Zum anderen gibt es bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein eine Schreibkonvention, nach der Bögen nicht über Taktgrenzen hinweg notiert werden. Das bedeutet eben nicht, dass es längere Legato-Abschnitte nicht gab - man muss in solchen Fällen einfach so spielen, als stünde dort ein durchgehender Bogen. Das zu erkennen, ist - wie so oft - nicht immer leicht und erfordert Erfahrung mit dem jeweiligen Stil. Allgemeinverbindliche Regeln gibt es dazu nicht, auch wenn sich gerade Anfänger immer gerne auf so etwas berufen.

Genau das ist das typische an Glinka und es wird von vielen "missachtet".
Entschuldige meine harsche Ausdrucksweise, aber das ist totaler Quatsch. Glinka hat drei Jahre lang in Italien das Opern-Handwerk studiert, u.a. bei Bellini und Donizetti. In diesem Nocturne wird - und darüber gibt es keine vernünftigen Zweifel - ein Belcanto-Vortrag auf dem Klavier imitiert. Die hier zu findenden Begleitfiguren werden im Orchester nicht von einem Instrument gespielt, sondern von mindestens zweien: Celli und Bässe spielen die Bassnoten (die jeweils erste Note im Takt), aber nicht als Achtel, sondern mindestens als Viertel. Oft auch als pizzicato, dass dann über den ganzen Takt liegen bleibt. Die Achtelbewegung des zweiten Begleitinstruments (meist Bratschen/zweite Geigen, manchmal auch Fagott, Klarinette oder sogar Harfe) beginnt jeweils mit einer Achtelpause - deshalb ergibt sich keinerlei Notwendigkeit, die letzte Achtel im Takt zu kürzen. Ganz im Gegenteil, der Bogen/Atem wird hier weich weggenommen, so, dass der Klang nicht abrupt endet.

Macht man auf dem Klavier hörbare Lücken zwischen den Takten, erhält man nicht irgendwas Glinka-typisches (was man allenfalls inhaltlich-formal manifestieren kann, aber gewiss nicht an seinem sehr konventionellen Klaviersatz), sondern eine Karikatur des Belcanto.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sie meinte aber, dass man es so spielen sollte, wie es da steht und es seine Bedeutung hat, wenn Glinka da einen Bindebogen neu ansetzt.
Man soll das spielen, was der Komponist offensichtlich gemeint hat. Das Neuansetzen der Bögen nach jedem Takt hat aber hier nicht die Bedeutung des Absetzens, schon gar nicht in einer so formelhaften Begleitfigur. Es ist - wie ich schon schrieb - eine gängige Notationskonvention in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht mehr und nicht weniger. Da irgendetwas anderes hinein zu interpretieren, ist falsch.

Es wäre eine Art zögern, fast "stottern", die Angst abgewiesen zu werden, er will was sagen, zögert.. dann doch nicht. Enttäuschung und viel Pessimismus. Diese Stück ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe mit schlechtem Ausgang, vielleicht sogar der Tod am Ende.
Nichts gegen eine rege Fantasie, aber der programmatische Titel "La séparation" deutet zweifellos auf etwas anderes hin - nämlich auf eine Abschiedsarie, hier ganz offensichtlich im typischen Portamento-Stil. Da ist hektisches Absetzen in der Begleitfigur völlig unangemessen.

Es tut mir leid, aber deine Klavierlehrerin irrt an dieser Stelle.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du musst dich nicht rechtfertigen. Mir ist vollkommen egal, was du letztlich mit diesem Stück machst - ich muss es ja nicht anhören.

Ich habe mich nur über die ganzen Missverständnisse gewundert, die es offenbar über die verschiedenartigen Bedeutungen von Bögen gibt (offensichtlich gibt es ja sogar KL, die damit ihre Schwierigkeiten haben!) und wollte ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Man kann - und da irrt auch @hasenbein's Lieblings-Klavierlehrerin :blöd: - eben nicht allein aus dem Notenbild schließen, welche Bedeutung ein Bogen hat und wie er zu spielen ist. Man muss auch die Notationskonventionen der Zeit, des Komponisten und seines Umfeldes sowie den musikalischen Kontext kennen und verstanden haben, um mit dem Notentext sinnvoll umzugehen. Es gibt hier keine allgemeinverbindlichen Faustregeln - ohne fundiertes Hintergrundwissen kommt man nicht allzu weit. Ein Klavierlehrer müsste das eigentlich wissen und vermitteln können. Aber offensichtlich liegt hier einiges im Argen.

immerhin war sie Jahrelang auf einem russischen Konservatorium und ist mit Glinka vertraut wie Franzosen mit Chopin
Glinka zwar als Begründer eines russischen Nationalstils - aber allein aufgrund seiner Opern und ganz gewiss nicht wegen seiner Klaviermusik, die gänzlich dem Pariser Salonstil verhaftet bleibt. Ich wüsste nicht, welches Geheimwissen man darüber an einem russischen Konservatorium erfahren könnte.
 
Ich halte Legato, also gebunden zu spielen, für die Basis guten Klavierspielens. Dazu kommt kurz darauf staccato als zweite Anschlagsart

So stand es auch in der Klavierschule meiner Kindheit.

Inzwischen wage ich mich an Material wie Mozarts Klaviersonaten (vorsichtig), und in der Wiener Urtextausgabe schreibt Robert D. Levin, dass nur wo Mozart Bögen einfügt, Legato gespielt werden soll. Ansonsten: Non-Legato. So war zumindest wohl die historische Praxis in Barock und Klassik. Seitdem mir das bewusst ist, höre ich es auch bei Aufnahmen. Ich glaube, die russische Schule hat das richtig.
Martin lernt :-)!
 
Artikulation meint ja die Verbindung zwischen den Tönen. Es ist doch sehr logisch, dass diese Verbindung sehr vielfältig, sogar so vielfältig wie möglich sein muss, um die sehr unterschiedlichen musikalischen Strukturen, Klänge und Entwicklungen in der Klaviermusik darzustellen. Auf nur zwei Töne bezogen kann zwischen ihnen z.B. eine mehr oder minder große Pause erklingen, es kann eine mehr oder weniger dichte Verbindung existieren (es gibt sehr viele Möglichkeiten des legato) und es gibt ebenso viele Möglichkeiten dazwischen.

Sie alle haben damit zu tun, wie man einen Ton beginnt und wie man ihn endet! Ich kann z.B. die Taste langsam hochkommen lassen, was ein weiches, ausklingendes Ende eines Tones zur Folge hat (was sich wiederum auf den nächsten Ton bzw. auf die Verbindung zum nächsten Ton auswirkt), ich kann auch die Taste sehr schnell hochkommen lassen, was den Ton abrupter aufhören lässt. Und vieles dazwischen. Ich kann einen Ton so beginnen, dass er schnell leise wird und ich kann einen Ton so beginnen, dass er die Energie aufrecht erhält. U.v.a.

Es ist sehr gut, was @mick geschrieben hat! Ich habe vor Jahren weiter oben auch einen Beitrag geschrieben mit einem Vergleich zu Sängern, Streichern, Bläsern. Man kann auch die Sprache als Vergleich nehmen. Man kann zwischen zwei Silben, Wörtern oder Buchstaben Pausen sehr unterschiedlicher Länge machen. Die dichteste Verbindung in der Sprache ist sicherlich eine Aneinanderreihung von Vokalen, z.B. Auauauauau oder eieiei. Wenn man nun einen Konsonant zwischen zwei Vokale bringt, entsteht eine mehr oder minder kleine Unterbrechung. Diese hängt von der Art des Konsonanten ab: ein "p" unterbricht mehr als ein "n".

So sollten wir auch musizieren. Liebe coucou, das, was deine Lehrerin vorschlägt, ist abgesehen von allem, was @mick schreibt, auch noch sehr, sehr gleichförmig und widerspricht einem lebendigen Vortrag des Belcanto.

Früher wurde oft gelehrt "Nach einem Bogen setzt man ab". Es sollte also immer eine mehr oder weniger kleine Pause erklingen. Man kann das "Atemholen" eines Sängers zwischen Phrasen aber auch anders darstellen. Wie oben erwähnt kann man den letzten Ton einer Phrase sehr unterschiedlich beenden, indem man die Taste mehr oder weniger langsam hochkommen lässt. Ähnlich den erwähnten Konsonanten. Auch mit dem Pedal kann man feinfühlig agieren und Verbindungen unterschiedlich klingen lassen. Man kann sogar nur durch die Dynamik Bögen und Phrasen darstellen, indem man den letzten Ton einer Phrase beispielsweise leiser spielt und den ersten Ton der nächsten Phrase lauter.

Ein wunderbares 5-Minuten-Video von Aimard habe ich schon mal verlinkt:


View: https://www.facebook.com/BRSO/videos/2136128950011410/
.

Dazu kommt noch, dass man Bögen nicht immer mit "Hand nach oben" beendet, so wie du es beschrieben hast. Denn das hat Auswirkungen für die Art der Bewegung vorher und nachher. Diese oft elliptischen Bewegungen müssen sich dann in der Richtung und Art und Weise nur danach richten, dass man angeblich beim Ende des Bogens hoch gehen muss mit der Hand.

Die Bewegung muss aber auch das umsetzen, was vorher und nachher erklingen soll und das kann ganz andere Bewegungen erfordern. Hier z.B. würde ich in der linken Hand beim Basston den Arm nach vorn bewegen und dann in einer Ellipse im Uhrzeigersinn. Es geht auch anders, aber als Lehrer sollte man Rücksicht darauf nehmen, welche Bewegungen dem Schüler am bequemsten sind und womit die Begleitfigur am schönsten klingt (Klangteppich). Danach richtet sich dann auch die Artikulation und Gestaltung der Verbindungen zwischen Bögen und Tönen. Immer mit der Hand hoch zu gehen ist ein zu stereotypes Vorgehen, dass nicht flexibel auf die vorhandenen musikalischen Gegebenheiten reagiert.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Ach so, also gibt es natürlich so viele Artikulationsarten wie möglich, legato, leggiero, leggierissimo, portato, tenuto, non legato, staccato, staccatissimo etc. in allen möglichen Ausprägungen. :)
 
Danke, tolle Beiträge von mick, Stilblüte und chiarina! (und Aimard).
Ich finde es sehr spannend, den für eine gewünschte Phrasierung passenden Bewegungsablauf zu suchen/finden/gelehrt zu bekommen. Ich denke ich habe da noch ein schönes Beispiel:
Eine Stelle, bei der ich lange gerätselt habe, wie man das sinnvoll spielen kann:
Schubert D780 2
IMG_20201009_175726_compress94.jpg
Wäre der Bogen in der linken Hand über drei Noten und ohne Staccato, wie man es ja häufig hat, machte ich mit dem Handgelenk eine Drehbewegung gegen den Uhrzeigersinn. Also Handgelenk ginge mit dem ersten Triolenachtel nach unten, das wird dadurch etwas lauter und eine Spur länger als die anderen beiden.
Die notierte Phrasierung wurde für mich erst spielbar, als mein KL mir die Möglichkeit offenbarte, die Drehrichtung in der andersherum auszuführen. Dann springt man von der ersten Achtel etwas ab und die zweite Achtel kann aus der Bewegung heraus etwas lauter und länger werden. Sehr schön mit der Melodie in Takt 20.
 
An den persönlichen Lebensumstände eines Künstlers ein Programm für sein Werk festmachen zu wollen - noch dazu, wenn es sich bei jenem Werk um eine eher unbedeutende Gelegenheitskomposition handelt, die vermutlich innerhalb weniger Stunden (wenn überhaupt) entstanden ist - halte ich für ziemlich gewagt. Ein professioneller Komponist kann sich von seiner eigenen Befindlichkeit soweit befreien, dass er sowohl äußerst fröhliche als auch tieftraurige Musik zu schreiben imstande ist.

Falls nicht - wie erklärt sich dann die operettenhaft-fröhliche Ouvertüre zu Ruslan und Ljudmila, die in derselben Zeit entstanden ist wie dieses Nocturne?
 
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