Domenico Scarlatti - zur Spielweise seiner Musik

...und wenn ich nicht so'n deprimierend kenntnisloser Anfänger am Klavier wäre, ich würde Farhad Abbassian-Milani einfach per Facebook kontaktieren. Da scheint er recht rege unterwegs zu sein.
 
@mick
Die Terrassendynamik resultiert aus der musikalischen Grundidee des Concerto grosso, zumindest bei Bach. Und wenn man sich die Satzstruktur z. B. des Präludiums der zweiten Englischen Suite ansieht, sind dort eindeutig Tutti- und Soloparts zu identifizieren. Naturgemäß klingen Solisten selbst im Fortespiel leiser als ein Tutti-Orchester. Aber natürlich gibt es innerhalb der Solo- und Tuttiparts Binnendynamik.

Unabhängig davon: Bei Scarlatti-Sonaten ist die Orientierung sm Concerto grosso nicht sonderlich stark erkennbar.
 
Tja, wären doch bloß die "f"- und "p"-Bezeichnungen schon 100 Jahre früher erfunden worden! :005:
 
Tja, wären doch bloß die "f"- und "p"-Bezeichnungen schon 100 Jahre früher erfunden worden! :005:
Na ja, im Italienischen Konzert gibt es von Bach originale piano und forte Bezeichnungen. Die stehen zwar vordergründig für Manualwechsel und sind sicher nicht 1:1 auf das Klavier übertragbar. Aber groesseren dynamischen Möglichkeiten auf einem Tasteninstrument hätte er sich bestimmt nicht widersetzt. Sein grosses Interesse an den Silbermannschen Fortepianos ist ja bekannt.
 
Propagiert wird die Terrassendynamik aber ganz allgemein für jede Art von Barockmusik - und immer mit der Begründung, dass ein Cembalo ja nur fixe Lautstärken "kann".

Wenn ich recht verstehe, @mick, gibst Du hier gerade wieder, was in dem Buch von Farhad Abbassian-Milani steht und kritisierst es (zurecht natürlich).

Die Vorstellung einer "Terrassendynamik" widerspricht nämlich auch auf dem Cembalo der barocken Ästhetik und wer diese gar allgemein für jede Art von Barockmusik propagiert, der hat entweder die Erkenntnisse der letzten 60 Jahre verschlafen oder ignoriert sie willentlich. Natürlich gibt es Spezialfälle wie Concerto Grosso, "Echo-Fantasien" usw. – aber auch dort gibt es keinen Anlass, aus dem Vorhandensein vordergründigerer dynamischer Effekte auf die Abwesenheit subtilerer dynamischer Abstufungen zu schließen.

Man hört sofort, wenn ein Cembalist nicht auch eine (völlig natürliche, sangliche) Auffassung von Dynamik mit in seine musikalische Vorstellung einfliessen lässt - das Spiel klingt dann besonders "hölzern", so wie aus der Anfangszeit des "Revivals" (damals noch verschlimmert durch die furchtbaren Instrumente). Das passiert wohl den meisten Pianisten bei den ersten Gehversuchen am Cembalo, weil die Mittel eben andere und die Ergebnisse subtilerer Natur sind.

Dabei denkt man am Instrument nicht, "ich muss jetzt ein forte simulieren, indem ich vorher eine kleine Zäsur mache" oder "hier ein piano, indem ich den vorgehenden Ton in ein Überlegato nehme und dann besonders weich und gut vorbereitet die Saite zupfe", denn die verfügbaren Gestaltungsmittel werden nicht durch technische, sondern durch musikalische Vorstellung aktiviert, wie das am Klavier und wohl jedem anderen Instrument der Fall ist. Am deutlichsten wird das vielleicht in der hochbarocken französischen Cembalomusik, in der der sinnlich empfundene Klang oft fast schon als eigentliche Wurzel der Komposition verstanden werden kann.

Auf dem modernen Klavier ist durch die größere dynamische Bandbreite sicher auch die Gefahr größer, in geschmacklose und stilistisch unangemessene Übertreibungen zu verfallen und dadurch auf ungünstige Weise von der Musik abzulenken. Aber das andere Extrem einer starren "Terrassendynamik" ist mindestens genau so schlimm.

P.S. Ich habe gerade gesehen, dass im Gegensatz zur deutschen Wikipedia die italienische "schon" weiter ist:
"La dinamica a terrazze è una peculiarità stilistica che fino agli ultimi decenni del XX secolo era considerata tipica della musica barocca. [...] In realtà quest'interpretazione della dinamica nella musica barocca deriva da un moderno fraintendimento..."
 
Wenn ich recht verstehe, @mick, gibst Du hier gerade wieder, was in dem Buch von Farhad Abbassian-Milani steht und kritisierst es (zurecht natürlich).

Nein, ich beziehe mich auf den Beitrag von @mberghoefer - das mit der Terrassendynamik steht offensichlich in der Ausgabe der Sonaten von Gyorgy Balla.

In dem Buch von Farhad Abbassian-Milani steht - wenn ich beim kurzen Überfliegen nichts übersehen habe - überhaupt nichts zur Aufführungspraxis. Da geht es um formale Aspekte der Essercizi, also der frühen Sonaten.

Was die dynamischen Aspekte bei Bach angeht, gibt es ohnehin etliche Missverständnisse. Bei zweimanualigen Werken meint f nichts weiter als erstes Manual, p eben zweites Manual. In der Regel ist zwar das erste Manual etwas lauter, weil es ein Register mehr hat und man außerdem das zweite Manual ankoppeln kann, aber so riesig ist der Unterschied auf dem Cembalo auch nicht. Es ist eher ein Unterschied der Klangfarbe als der Dynamik. Auf dem Flügel kann man einen solchen Wechsel der Klangfarbe u.a. mit dem linken Pedal und/oder einer leichteren Artikulation erzeugen. Manche Pianisten spielen aber stereotyp ein ausdrucksloses Pianissimo an solchen Stellen - beispielsweise im Italienischen Konzert oder in der Französischen Ouvertüre. Das finde ich sehr merkwürdig und unpassend.
 
„Farhad Abbassian-Milani :
Berliner Musik Studien; 9
Zusammenhänge zwischen Satz und Spiel in den Essercizi (1738) des Domenico Scarlatti“

Hi @mberghoefer + all ,

die Arbeit von F. Abbassian-Milani ist weit herumgekommen.

Also oberflächlich gesehen findet sich die o.a. Dissertation (verf. 1994 an der TU Berlin), die dann später in der Reihe „Berliner Musik-Studien“, 9, „richtig“ veröffentlicht wurde, z.B. in:

UB Würzburg – sehe nichts was gegen Ausleihe spricht
BSB München – bestellbar
Biblio d. TU Berlin – verfügbar
UB Humboldt-Uni Berlin: Verfügbar
UB der FU Berlin - verfügbar
Bibliothek der UdK Berlin - verfügbar
DNB Frankfurt + Leipzig
SBB Berlin – Theke fragen, Standort unbekannt ( Baumaßnahmen )
HS Musik Hanns Eisler, Berlin – keine Ahnung ;-)
Frankfurt, Bibl. Der HS f. Musik und Darst. Kunst – keine Fernleihe, evtl. verfügbar
UB Mainz – Ausleihe und ( Teil - ) Kopie

und weiteren, die ich als Screenshot - Zitat mache:


wobei Freiburg Nr.1 „Präsenzbestand“, aber UB => ausleihbar,
Heidelberg Mus.wiss. Seminar „Präsenzbestand“,
Karlsruhe „keine Fernleihe“,
Saarland Univ. „Präsenzbestand“
Trossingen „Präsenzbestand“
Tübingen „Präsenzbestand“
Weimar „Präsenzbstand, evtl. nachfragen wg. Ausleihe.“

ferner in Österreich: Wien
( Univ. Mus. und darst. Kunst ),
Uni Wien
Uni Salzburg

und Schweiz ( Uni Basel und Uni Bern, und ZB Zürich ).

LG, Olli:super:

PS.: Und das ist nur Raum Deutschland, Österr., Schweiz, ohne Berücksichtigung von Zeitschriften bzw. ohne besondere Berücksichtigung von Reihenschriften und kleinen OPACS usw.: Wahrscheinlich gibts die Arbeit also auch im weiteren europ. und außereurop. Ausland, könnte ich mir vorstellen.
 
Auffällig ist bei Scarlatti, dass seine Musik (mindestens) drei verschiedene Seiten hat:

Da ist zunächst das, was @mick als Verwandtschaft mit der italienischen Violinmusik bezeichnet hat (z.B. Vivaldi), einiges hat große Ähnlichkeit mit Bachs Polyphonie, und es gibt viele Stellen, die den späteren Stil von Haydn und Mozart anklingen lassen. Alles Inspirationsquellen für die Interpretation.

Die spanische Volksmusik schimmert auch manchmal durch, da wäre dann ja Gitarrenmusik die Referenz. Allerdings ist dieser Charakter nach meiner Hörerfahrung bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie die anderen drei Eigenschaften.
 

Ist bei solchen dynamischen Bezeichnungen grundsätzlich von einem zweimanualigen Cembalo auszugehen? Am Clavichord wären dynamische Abstufungen ja ebenfalls möglich.

Bei Bach ist in dem Fall immer ein zweimanualiges Instrument gemeint (sofern es sich um ein Solowerk handelt).

In Ensemblemusik (beispielsweise in den Violinkonzerten oder Solo-Arien) markiert er - als Entsprechung - mit p einfach stur die Teile, in denen der Solist spielt bzw. singt und mit f die Ripieno-Stellen. Das sind mehr Besetzungsangaben als tatsächliche dynamische Anweisungen, die minutiös zu befolgen wären.
 

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