Klavierspielen und Meditation

@pianovirus ...das greg. Repertoire hat eine sehr lange Geschichte, ähnlich lang wie das römische Imperium ;-):-D und ich glaube nicht, dass solche Zeiträume in Gefahr sind, als statisch betrachtet zu werden
 
und die in ihren Mitteln absichtlich sehr limitierte, regulierte Vertonung hat, wie @Ambros_Langleb es erwähnt hat, vornehmlich intellektuell-pädagogischen und weniger mystisch-meditativen Charakter.
Das bedeutet nicht, dass man daran - an der mittelalterlichen Kirchenmusik - keinen Gefallen finden könne oder gar solle. Aber gerechterweise sollte man diesen kulturgeschichtlichen Zeugnissen nicht die unpassende Brille heutiger Perspektiven oder gar Moden überstülpen.

Es ist (wirklich!) nicht böse gemeint, aber wenn Ihr an diesen Aussagen (1) "absichtlich sehr limitierte, regulierte Vertonung", (2) "vornehmlich intellektuell-pädagogischen und weniger mystisch-meditativen Charakters" festhalten möchtet, dann offenbart das nur (ad 1) komplette Unkenntnis des gregorianischen Repertoires und (ad 2) ein völliges Unverständnis des Wesens und der historischen Entstehung des Chorals.

Mir scheint vielmehr, manche Herren tun sich schwer, eine (wie ich schon einmal sagte) dezidiert "un-vernünftige" Betrachtungsweise der Heiligen Schrift als solche zu verstehen und versuchen ihrerseits (bewusst oder unbewusst), dieser die unpassende Brille einer "modernen" vernünftig-aufklärerischen Perspektive überzustülpen, durch welche man dann in fast schon groteskem Unverständnis des Gesangs und seiner Entstehungsgeschichte hier ein "kulturgeschichtliches Zeugnis" vermeintlich intellektuell-pädagogischen Charakters erkennen will. ;-)

Immerhin hat es etwas Gutes, dass ich hier freundlich aber doch energisch widersprechen muss, habe ich doch gerade entdeckt, dass das Standardwerk von Agustoni & Göschl nach 680 neumengespickten Seiten ein wunderbares kurzes Kapitel enthält mit dem Titel:

"Elemente der Meditation im Gregorianischen Choral: Gedanken zur religiös-geistlichen Grundlegung der Choralinterpretation".

Ich würde das gerne hier abschreiben, aber dazu fehlt mir die Zeit. Daher nur ein paar Zitate und von mir paraphrasierte Abschnitte aus der Feder von zwei der anerkanntesten Autoritäten auf dem Gebiet des Chorals:

"Die Rede ist von der unbestreitbaren religiösen Tiefe der Gesänge und der ihnen eigenen Kraft, in die Tiefe zu wirken und zur Mitte zu führen. Mit anderen Worten: Die Rede ist von jenen Elementen des greg. Chorals, die seine Bedeutung als hochstehende Form der Meditation begründen. "

Agustoni & Göschl sehen die zeitlose Hauptlegitimation des greg. Chorals darin, dass er den richtigen und meditativen Umgang mit dem Wort der Hl. Schrift, ganz im Sinne der ruminatio, lehrt sowie die Elemente der Kontemplation, die zu allen Zeiten ein unveränderliches Merkmal der gesamten Kirche war – und bleiben muss.

Die greg. Meditation ist nicht im Sinne ungegenständlicher bzw. unthematischer Meditation zu verstehen, sondern Meditation über das Wort Gottes, wie es sich in der Hl. Schrift (AT + NT) konkretisiert hat (sie betonen noch einmal, dass das greg. Kernrepertoire fast ausschließlich (bis auf Antiphonen zu Heiligenfesten) aus Texten der Hl. Schrift entnommen oder im Inhalt eng nachempfunden ist).

A&G betonen die Existenz und gegensätzliche Bedingtheit sowohl gegenständlicher als auch ungegenständlicher Meditation im Christentum.

Dann zeichnen sie noch einmal kurz die historischen Spuren der gregorianischen Meditation aus dem alten Mönchtum des 4. und 5. Jh. nach. Stichworte: Meditatio als Grundbegriff des Umgangs mit der Hl. Schrift, halblautes Murmeln – oft und oft – "ruminatio" (Ref.: Ruppert: Meditatio-ruminatio, zu einem grundbegriff christlicher Meditation; Erbe & Auftrag 53, 1977, S. 83-93).

Dann, Warnung vor Missverständnis! -> Die greg. Gesänge selbst durchzieht zwar eine meditative Grundstimmung. Das darf aber nicht heißen, dass man im Gesang auf Dynamik und Intensität des Ausdrucks verzichtet. Im Gegenteil: So wie Meditation keinen Verlust an Vitalität, sondern eher deren Intensivierung bedeutet, so kennt auch der greg. Choral – trotz oder gerade wegen der ihm eigenen meditativen Grundstimmung – Momente dichtesten Ausdrucks, Momente großer Eindringlichkeit und Prägnanz, Momente der Steigerung, den Ausdruck von Trauer und Klage sowie auch grenzenlosen Jubels.

Das Kreisen um einen Kerngedanken, auch um Schlüsselwörter eines Textes, rückt diese so sehr in den Mittelpunkt, dass der betende Sänger von ihm erfasst wird und sich an ihn loslassen, weggeben, verlieren kann.

Dann kommen wieder Notenbeispiele, hier z.B. eines zur melismatischen Auszierung als eines der Mittel der Hingabe an das Wort; das Alleluia des Ostersonntags (ich verlinke die Aufnahme nur als Notenbeispiel, nicht um der Interpretation willen):



Das melismatische Singen erblüht aus dem Wort, überschreitet dieses aber – hinein in die Liebe (Augustinus: "Cantare... negotium esse solet amantium").

Im melismatischen Singen ist die Stufe der Einübung in die meditative Grundhaltung des Sich-Loslassens längst überwunden. Es ist Ausdruck dafür, worin das Ziel jeden Gebetes und jeder Meditation besteht: die Kontemplation, d.h. die reine Hingabe, liebendes Verweilen bei Gott, Vereinigung mit Gott, Auskosten der Gemeinschaft mit Gott, aber auch geduldiges, wortloses Ausharren vor ihm im Leiden.

Kontemplation bedarf keiner Worte mehr, wenn sie auch immer wortbezogen bleibt. Melismatisches Singen, das nicht selten in ein Singen ganz ohne Worte einmündet, wie im Jubilus des Alleluia, ist deshalb die der Kontemplation am meisten konnaturale Form liturgischen Singens.
 
Zuletzt bearbeitet:
diese Musik habe ich mir phasenweise in meinem Leben, je nach Gemütszustand, reingezogen (und bin dabei abgehoben). Ich vermute, daß die Entstehung relativ kurz nach den ersten gregorianischen Gesängen war.
watch
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich vermute, daß die Entstehung relativ kurz nach den ersten gregorianischen Gesängen war.

Nein, aber es ist trotzdem wunderbare Musik!

Das gregorianische Kernrepertoire (Graduale und Antiphonale) war zur Zeit Hildegards schon seit Jahrhunderten kodifiziert und über Europa verbreitet. Die ersten gregorianischen Gesänge sind dabei noch viel viel älter; wie gesagt, die Offiziumspsalmodie wurde von Ambrosius vor 400 in Mailand eingeführt; in solcher Zeit oder kurz danach müssten die Anfänge verortet werden aus welchen sich dann langsam das Einzigartige und Charakterische des gregorianischen Chorals herausbildet.

Man muss sich immer wieder die großen Zeitspannen klarmachen, im Vergleich zur Periode Barock-Klassik-Romantik-Moderne...

Schon 100 Jahre vor Hildegards Geburt erschienen die ersten Sammlungen mehrstimmiger Musik (Winchester Troper) und während sie in einem eigenen, wunderbaren, "post-gregorianischen" Stil komponiert, schreibt Leonin schon seine ersten zwei- und dreistimmigen Organa.

Edit: Wie Mick schon sagte... :)
 
ich hab's nun auch recherchiert aber trotz alledem, war die Musikentwicklung in diesen Zeitspannen offensichtlich nicht so rasant wie in den letzten 200 Jahren oder wie seht ihr das?
 
ich hab's nun auch recherchiert aber trotz alledem, war die Musikentwicklung in diesen Zeitspannen offensichtlich nicht so rasant wie in den letzten 200 Jahren oder wie seht ihr das?

Das ist eine interessante Frage, die man sicher unterschiedlich beantworten kann, je nachdem, worauf genau man schaut in der Betrachtung der Musikentwicklung.

Zwischen den Anfängen der musikalischen Renaissance um 1400 und deren Übergang in die Barockzeit um 1600 liegen stilistisch auch Welten, wie auch zwischen der frühen Mehrstimmigkeit (Leonin, Perotin) und der Avantgardemusik des späten Mittelalters (Ars subtilior) oder eben der "klassischen" Gregorianik und Hildegard-Stil.

Trotzdem würde ich das schon auch so sehen wie Du. Über die Gründe kann man lustvoll spekulieren, was sicher berufenere Personen getan haben, aber ich brainstorme hier mal ein bisschen.... ;)

Erst einmal mussten viele innermusikalische Mittel entwickelt werden: Die Entwicklung der Notation von adiastematischen Neumen, welche Melodieverläufe nur grob wiedergeben (den Sprachrhythmus aber sehr detailliert) hin zu unserer auch heute noch verwendeten Notenschrift (Guido von Arezzo, um 1000).

Dann ist die rhythmische Neumennotation nicht geeignet, um den Rhythmus polyphoner Musik festzuhalten, so dass es auch hier wieder mehrere Entwicklungsstufen über die Modal- und später Mensuralnotation bis zu unserer heutigen "klassischen" taktbasierten Notationsweise brauchte.

Die Verbreitung von Musik war in dieser Zeit aufwändig, teuer und natürlich langsamer. Es ist sehr spannend, die teilweise völlig unterschiedlichen Neumenschreibweisen ein- und desselben gregorianischen Gesangs verschiedener europäischer Klöster zu sehen (im modernen "Graduale Triplex" sind ja zu jedem Gesang zwei davon über bzw. der Quadratnotation abgedruckt) die an vielen Stellen mit ganz unterschiedlichen Mitteln dasselbe ausdrücken, sich dann aber an anderen Stellen wieder unterscheiden, sei es durch unterschiedliche lokale Traditionen, durch zeitlichen Abstand oder auch einfach mal durch einen Fehler.

Die Harmonik betreffend waren Entwicklungen der Stimmsysteme notwendig. In der pythagoräischen Stimmung des Mittelalters war die Terz noch kein konsonantes Intervall, diese ästhetische Änderung und damit auch die Grundlage unserer heutigen Dur-/Moll-Harmonik kam erst mit dem Durchbruch der mitteltönigen Stimmung in der beginnenden Renaissance um 1400 auf.

So richtig modulieren konnte man so immer noch nicht und so wurde in dieser Zeit viel experimentiert, bis dann mit der Freude an immer komplexerer Harmonik "wohltemperierte" Stimmungen aufkamen, die das Spielen in und Modulieren nach allen Tonarten möglich machten und dann auch enharmonische Verwechslungen erlauben.

Damit waren dann spätestens zu J.S. Bachs Geburt alle wesentlichen musiktheoretischen Ingredienzen verfügbar, die uns abgesehen von Spezialfällen bis in die heutige Zeit getragen haben.

Diese Entwicklungen sollte man nicht einseitig als "Fortschritte" aus einer unterentwickelten Vergangenheit sehen, denn mit jeder solchen Entwicklung gingen andere Dinge verloren. Die große sprachrhythmische Feinheit der Neumennotation musste auf dem Weg zur Polyphonie wegfallen, die gezielte Ausnutzung der Tonartencharakteristiken verblasste auf dem Weg zur gleichschwebenden Stimmung, die beschwingte Leichtigkeit der Klassiker geht mit einer – im Vergleich zu früheren Zeiten – verkümmerten Kultivierung der Polyphonie einher usw.

Spätestens ab 1750 wurde dann auch die Entwicklung im Instrumentenbau immer rasanter und die musikalische Ästhetik wandelte sich sehr schnell durch Aufkommen bürgerlichen Musikbetriebes, durch die mit der franz. Revolution einhergehende Säkularisierung usw.

Und so wird die Musik immer mehr zum Spiegel allgemeiner sich beschleunigender gesellschaftlicher Trends und künstlerischer Strömungen, die sich auch zunehmend einer "zentralen" ästhetischen Lenkung entziehen, während dies früher noch durch den Geschmack adligen Auftraggeber und bis 1600 noch maßgeblich und bis Bachs Tod oder bis zur franz. Revolution noch stark durch die Kirche geschah. Die hitzigen musikästhetischen Diskussionen, die in unzähligen Schriften überliefert sind, die Reibung zwischen dem, was die Kirche – gutbegründet – für angemessen hielt und einem sicher schon immer vorhandenen künstlerischen Freiheitsdrang und die Notwendigkeit der ästhetischen aber eben auch theologischen Rechtfertigung der eingesetzten Mittel waren m.E. ein großer Glücksfall auch für die Musik selbst.

Nach 1750 tritt anstelle all dessen die Rechtfertigung "am Markt" der freien Künstler, also zunehmend am Massengeschmack und ab dem 20. Jh. daneben noch an einem um sich selbst kreisenden akademischen Musikbetrieb.

Wie oben schon gesagt, das kann man sicher auch völlig anders sehen, je nach Blickwinkel.....
 
Zuletzt bearbeitet:
(hier ein kleiner Überblick der Offiziumspsalmodie)

Wie ist dann erst der "umfassende" Überblick? :004:
Ich empfinde tiefe Rührung angesichts solcher Kompendien. Den Inhalt (bzw. den Gegenstand) haben Menschen mal sehr ernst genommen. Es ist ein bedeutendes Kulturgut (und zu meiner Schande muss ich gestehen, mich erst auf Deine Anregung hin damit beschäftigt zu haben – danke für den Input!)

Kontemplation bedarf keiner Worte mehr, wenn sie auch immer wortbezogen bleibt. Melismatisches Singen, das nicht selten in ein Singen ganz ohne Worte einmündet, wie im Jubilus des Alleluia, ist deshalb die der Kontemplation am meisten konnaturale Form liturgischen Singens.

Inbrunst / Innigkeit finden ab einem bestimmten Niveau der Einlassung keine Worte mehr. Reine "Klänge" (Urform von Worten) entsprechen dem, was man externalisiert, aber wofür es keine Begriffe gibt. Ähnliche Denkungsart gibt es schon im Platonismus, von dem die frühe Kirche beeinflusst wurde: Das Wort / der Begriff ist nur die halbe Miete auf dem Weg zur platonischen "Idee". Die Gottesergriffenheit ist mit Worten / Begriffen nur ganz unvollkommen (und damit in der direkten Gottesschau beleidigend) auszudrücken. Wenn schon "Text als Grundlage", dann muss es ein heiliger Text sein (Psalm o.ä.), dessen im Vergleich zur Gottheit unvollkommene Begrifflichkeit wenigstens von oberster Stelle abgesegnet ist.

Die Musik hat dabei eine reine "Ancilla"-Funktion.


war die Musikentwicklung in diesen Zeitspannen offensichtlich nicht so rasant wie in den letzten 200 Jahren

Keine einzige Entwicklung aller Lebenszusammenhänge war je so rasant wie in den letzten 250 Jahren (die bereits genannte Jahreszahl ~ 1750 trifft es gut, wie immer nur für die "westliche Welt", nota bene).

Strömungen, die sich auch zunehmend einer "zentralen" ästhetischen Lenkung entziehen
(Hervorhebung von mir)

So ist es. Individuen emanzipierten sich mit jeder neuen Generation mehr von der erdrückenden Lenkung von oben ("Kirche", Rom, Papst und dessen Emissäre). Es gibt eine Fülle von Faktoren, die dazu beitrugen, dass die Menschen langsam lernten, dass es mindestens zwei Seiten von "Wahrheit" gibt: "Buchdruck" (= Information, Diskussion), Reformation, die Not der Kleinen Eiszeit, einige verheerende Kriege, das komplette Versagen der angeblich gottesbegnadeten Obrigkeit, Erfindungen / Entdeckungen / Berechnungen, die Emanzipation des Fleißes von willkürlich gezogenen Standesgrenzen ... zwischen (pi mal Daumen) 1500 und 1750 wurden viele unterschiedliche Bäumchen gepflanzt, die ab ca. 1750 erntereif waren. 1755 wurde Lissabon durch ein fieses Erdbeben an Allerheiligen zerstört. Das war die symbolische Schockwelle, die die erste Ernte der frühneuzeitlichen Bäumchen von den Ästen fegte und überall neue Bäumchen aussäte. Der Boden war vorbereitet. :super:

Die alten Mächte zuckten noch eine Zeitlang, hatten aber keine Legitimation mehr.
 
--A--
Es ist (wirklich!) nicht böse gemeint, aber wenn Ihr an diesen Aussagen (1) "absichtlich sehr limitierte, regulierte Vertonung", (2) "vornehmlich intellektuell-pädagogischen und weniger mystisch-meditativen Charakters" festhalten möchtet, dann offenbart das nur (ad 1) komplette Unkenntnis des gregorianischen Repertoires und (ad 2) ein völliges Unverständnis des Wesens und der historischen Entstehung des Chorals.
--B--
Mir scheint vielmehr, manche Herren tun sich schwer, eine (wie ich schon einmal sagte) dezidiert "un-vernünftige" Betrachtungsweise der Heiligen Schrift als solche zu verstehen und versuchen ihrerseits (bewusst oder unbewusst), dieser die unpassende Brille einer "modernen" vernünftig-aufklärerischen Perspektive überzustülpen, durch welche man dann in fast schon groteskem Unverständnis des Gesangs und seiner Entstehungsgeschichte hier ein "kulturgeschichtliches Zeugnis" vermeintlich intellektuell-pädagogischen Charakters erkennen will.
:-D:-D:-D (du gehörst gottlob (ui, welch´ ein Wort) nicht zu denen, die bei konträren Perspektiven zu weinen anheben) ...na ja, ob die wohlmeinende, unkritisch-ahistorische Brille, die nichts abseits des ästhetischen Wohlgefallens wahrnehmen will, beim verstehen hilfreicher ist?
Du blendest den historischen Kontext bei diesem Thema aus - oh dutzidutzi behagt er dir nicht? Stört dich, dass die lieben Gregorianik-Gesangsmönche mit ihrem "meditativen" ad-gloriam-dei-Singsang :-D:heilig::-D anfangs mit Arianern, später mit "Bilderstreitern", kurz darauf mit Bogomilen, Albingensern etc ganz und gar nicht freundlich verfuhren? ...oh buhuhu, der Arianer Theoderich und der Byzantiner Iustinian verdonnerten diese (in ihren Anfangszeiten) dazu, dass sie Synagogen wieder aufbauen mussten, die sie (ad gloriam die) kaputt gemacht hatten.
Stop - bevor du mich nun für eine Art Deschner hältst: so einseitig du die rein ästhetische musikalische Seite (aus deiner modernen ästhetischen Sicht!) propagierst, so einseitig habe ich oben "humorig-zynisch" die historische dagegen gehalten.
Freilich gehören beide zusammen! Das Verständnis der Entstehungszeit gehört zum Verständnis des kulturhistorischen Gegenstands dazu. Die "un-vernünftige" Betrachtungsweise einseitig hat keinen Erkenntnisgewinn.
 
so einseitig du die rein ästhetische musikalische Seite (aus deiner modernen ästhetischen Sicht!) propagierst, so einseitig habe ich oben "humorig-zynisch" die historische dagegen gehalten.
Freilich gehören beide zusammen! Das Verständnis der Entstehungszeit gehört zum Verständnis des kulturhistorischen Gegenstands dazu.

Unbedingt.

Aber gerade deshalb darf (und sollte) man sich bei der Betrachtung historischer Prozesse nicht der Akzeptanz verschließen, dass Menschen vor tausend Jahren (noch dazu spezielle, hier: Kirchenleute / Mönche) radikal anders "tickten" als wir heutigen Skeptiker, die auf Jahrhunderte der Aufklärung aufbauen können.

Die höchst individuelle Gottesschau der lieben Gregorianik-Gesangsmönche mit ihrem "meditativen" ad-gloriam-dei-Singsang schließt Scheußlich- und Grausamkeiten gegen die Outgroup keineswegs aus, im Gegenteil! Abhängigkeit, Einschüchterung, Drohung und Gewalt sind immer probate Mittel zum Machterwerb und -erhalt. Der "wahre Glaube" ist immer derjenige, der "Ungläubige" am erfolgreichsten niederhält.

Du findest aktuell (21. !!!! Jh.) noch Exemplare der Gattung Mensch, die es mit ihrem besonders ausgefeilten Glaubenswahn bestens vereinbaren können, weltweit und tagtäglich die übelsten Perversionen und Verbrechen zu begehen.

Ich meine aber nicht, dass moderne Religionskritik unter Einbezug der allfällig historisch belegbaren Grausamkeiten geeignet ist, erhellende Aspekte zum Thema "Meditation" beizutragen. :005: Eigentlich kamen wir auf die Mönche ja nur, weil es in der abendländischen Kultur keine echte Meditations-Tradition gibt außer dem "inbrünstigen Gebet". Meditation ist "bei uns" eine Technik zu einem bestimmten Zweck.
 
Das Verständnis der Entstehungszeit gehört zum Verständnis des kulturhistorischen Gegenstands dazu. Die "un-vernünftige" Betrachtungsweise einseitig hat keinen Erkenntnisgewinn.


Eigentliches Verstehen speist sich aus dem die Einzel(um)stände überschauenden und übersteigenden Aufblick im erfüllten Umgriff der Wahrheit.

Vernunft ist eine Leiter, eine Aufstiegshilfe, über das bloße vermeinsame Erkennen hinweg.


64549edaf455cccf1e5d0dd79010d899.jpg



Es wird ja sehr dankenswerter Weise äußerst solide fundiert von einem kirchenmusikverständigen Teilnehmer hier im Faden sachlich und ausgleichend vorgetragen, was für viele Musiker bedenkenswert und zur erweiterten Allgemeinbildung durchaus nützlich ist.

Umsomehr vermag der besonnene Leser seinen Augen kaum zu trauen, sieht er doch die immer wieder auflodernden spöttisch züngelnden Flämmeleinchen der zynischen teil-aufgeklärten Vernunft wider die jahrtausende alten Fundamente menschlicher Wirklichkeit.

Wer auch immer von brennendem Zorn und unbändigem Widerstreit gegen die Grundlagen seiner Existenz getrieben als "bekennender" Verneiner aufspricht, wird jedenfalls mit menschlichen Mitteln der geistigen Sorge kaum zu erhellen sein, obgleich gerade jenem hilfreicher vermittelnder Zuspruch reichlich zuteil werden soll,
denn Hoffnung besteht ja grundsätzlich immer :-)
 

Aber gerade deshalb darf (und sollte) man sich bei der Betrachtung historischer Prozesse nicht der Akzeptanz verschließen, dass Menschen vor tausend Jahren (noch dazu spezielle, hier: Kirchenleute / Mönche) radikal anders "tickten" als wir heutigen Skeptiker, die auf Jahrhunderte der Aufklärung aufbauen können.
dir @Barratt ist klar, dass diese Akzeptanz des "anders Tickens" ohne neutrale Betrachtung der Zeitumstände etc. gar nicht möglich ist.
Übrigens ist genau das für mich das interessante am weitgespannten Themenkomplex spätantike bis hochmittelalterliche Kirchenmusik, und zwar um diese zu verstehen - die ahistorische Wohlfühlvariante (hach wie schööön & erhaben, so archaisch-heimelig, irgendwie meditativ blabla) ist mir fremd (klar gibt es sowas: man kann Orffs Carmina burana mögen, ohne zu wissen, wann und warum der das komponiert hatte...)

retour zur langen Geschichte der Gregorianik: ohne jeden Zweifel sind die Texte, ohne die es keinen einzigen Choral gibt (das klerikale Mittelalter kannte keine absolute Musik bzw wollte dergleichen nicht), explizit mit einer Wirkabsicht sowohl verfasst (Textexegese der kanonischen Schriften etc etc) als auch später zusammengestellt/ausgewählt - die religiöse Versenkung hatte gefälligst in den richtigen Glaubensinhalt hinein stattzufinden! Insofern ist die Wirkabsicht dezidiert und explizit "pädagogisch". Wer das ausblendet, versteht´s halt nicht. ---- bevor @pianovirus jetzt buhu macht: das hindert den Gegenstand "Gregorianik" nicht, sehr ästhetisch zu sein (ist doch klar: der Kölner Dom ist ein architektonisches Kunstwerk ersten Ranges - aber darin soll weder Mahomed, noch Buddha angehimmelt werden) ;-):heilig::-D
 
Folgerichtig gewendet meint Klavierspielen und Meditation

ASKESE und Meditation,
denn ein ernstlich beständig Übender ein "Asket(es)".

Wie steht es also mit dem Klavierspieler als A s k e t?
 
Folgerichtig gewendet meint Klavierspielen und Meditation

ASKESE und Meditation
Folgerichtig gewendet meint Klavierspielen und Meditation DARMENTLEERUNG und Meditation

...du siehst, dass die Ersetzungsprobe (ein linguist. Kunstgriff) die Absurdität des zitierten Satzes vorführt. Noch ein Beispiel:
Folgerichtig gewendet meint Klavierspielen und Meditation MARTYRIUM und Meditation
 
:-D:-D:-D (du gehörst gottlob (ui, welch´ ein Wort) nicht zu denen, die bei konträren Perspektiven zu weinen anheben) ...na ja, ob die wohlmeinende, unkritisch-ahistorische Brille, die nichts abseits des ästhetischen Wohlgefallens wahrnehmen will, beim verstehen hilfreicher ist?
Du blendest den historischen Kontext bei diesem Thema aus - oh dutzidutzi behagt er dir nicht? Stört dich, dass die lieben Gregorianik-Gesangsmönche mit ihrem "meditativen" ad-gloriam-dei-Singsang :-D:heilig::-D anfangs mit Arianern, später mit "Bilderstreitern", kurz darauf mit Bogomilen, Albingensern etc ganz und gar nicht freundlich verfuhren? ...oh buhuhu, der Arianer Theoderich und der Byzantiner Iustinian verdonnerten diese (in ihren Anfangszeiten) dazu, dass sie Synagogen wieder aufbauen mussten, die sie (ad gloriam die) kaputt gemacht hatten.
Stop - bevor du mich nun für eine Art Deschner hältst: so einseitig du die rein ästhetische musikalische Seite (aus deiner modernen ästhetischen Sicht!) propagierst, so einseitig habe ich oben "humorig-zynisch" die historische dagegen gehalten.
Freilich gehören beide zusammen! Das Verständnis der Entstehungszeit gehört zum Verständnis des kulturhistorischen Gegenstands dazu. Die "un-vernünftige" Betrachtungsweise einseitig hat keinen Erkenntnisgewinn.

Also lieber rolf, Du wirfst in Deinen Beiträgen in diesem Faden leider vieles wild – um nicht zu sagen: wirr – durcheinander:

Du erwähnst stichwortartig einige kirchengeschichtlich sehr interessante Themen, die jedoch rein gar nichts mit dem gregorianischen Gesang und seiner Spiritualität als gesungene Meditation zu tun haben.

Zum Verständnis des Wesens und der historischen Grundlagen dieser Spiritualität habe ich Dir in #44 ausführlich aus einem Standardwerk zitiert.

Die skurrile These (zunächst mutmaßend vertreten von @Ambros_Langleb und nun von Dir mehrfach hartnäckig am Leben gehalten), dass der gregorianische Gesang "weniger mystisch-meditativen als intellektuell-pädagogischen Charakter" habe, sollte damit eigentlich längst ad acta gelegt werden können.

Zitat von rolf:
ohne jeden Zweifel sind die Texte, ohne die es keinen einzigen Choral gibt (das klerikale Mittelalter kannte keine absolute Musik bzw wollte dergleichen nicht), explizit mit einer Wirkabsicht sowohl verfasst (Textexegese der kanonischen Schriften etc etc) als auch später zusammengestellt/ausgewählt

Die Texte sind wie gesagt zum allergrößten Teil der Bibel entnommen und somit nicht etwa als pädagogische "Lehrverse" oder dergleichen verfasst. Warum auch? Der Choral richtete sich ja nicht an Laien, die von irgendetwas belehrt werden sollten. Die Mönche im Kloster konnten natürlich den gesamten Psalter in- und auswendig, da sie ihn (wie auch heute noch) jede Woche vollständig durchsingen, viele Psalmen sogar mehrfach. Die historisch gewachsene Auswahl der Gesänge für die Messe hat natürlich theologische Gründe und dient auch der Selbstvergewisserung über zentrale Glaubensinhalte, das ist alles völlig selbstverständlich.

Ich will Dich ja gar nicht einnehmen vom Choral und seiner Spiritualität; aber ich meine, auch ein Agnostiker oder Atheist sollte – gerade wenn er sich auf die Aufklärung beruft – die Abstraktionsfähigkeit besitzen, sich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, der ihm zwar fremd erscheinen mag, diesen aber dennoch richtig einzuordnen, selbst wenn diese Einordnung konträr zu eigenen Lebensüberzeugungen stehen sollte. Ohne @Barratt für etwas vereinnahmen zu wollen, meine ich, dass ihr genau dies mühelos zu gelingen scheint, ohne sich dabei in irgendeiner Weise verbiegen zu müssen.

Da Du jedenfalls weiter darauf beharrst, ich würde eine "moderne ästhetische Sicht" propagieren, während ich Dir recht zeitaufwändig Belege für das Gegenteil mitgeteilt habe, muss ich vermuten, dass Du Dich mit den in #44 mitgeteilten Zitaten (1) entweder nicht beschäftigt oder (2) sie nicht verstanden hast oder (3) sie für nicht überzeugend hältst.

Im Falle von 1 kann ich auch nichts weiter tun, im Falle von 3 müsste ich aus weiteren Werken zitieren, was mir aber angesichts des Diskussionsverlaufes als verlorene Liebesmüh erscheint und im Falle von 2 sage ich, dass Nachfragen zum ehrlichen Verständnis jederzeit willkommen sind, ich aber hier schon aus Zeitgründen keine weiteren Anstrengungen unternehmen möchte, das Offensichtliche noch weiter zu untermauern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Texte sind wie gesagt zum allergrößten Teil der Bibel entnommen und somit nicht etwa als pädagogische "Lehrverse" oder dergleichen verfasst. Warum auch?
...bitte mach dich kundig über die Entstehungsgeschichte der kanonischen Schriften (als Kurzeinstieg würde schon genügen, nachzuschlagen, wie es um apokryphe Evangelien steht) - würdest du einsehen, dass vom 2. Jh. bis tief in die Spätantike die Glaubensinhalte und Lesarten (Deutungen) überhaupt erst konstruiert wurden, wäre schon viel gewonnen und wir würden nicht aneinander vorbeischreiben.
Wie gesagt: ohne den kulturhistor. Kontext wird´s öde einseitig... egal wie ästhetisch die mittelalterliche Kirchenmusik auch ist (ebenso die Sakralbauten), sie sind nur im Kontext ihrer Zeit wirklich zu verstehen. Das ist keine Kritik und keine Ablehnung, dasselbe gilt für alle kulturhist. Zeugnisse.
 
explizit mit einer Wirkabsicht sowohl verfasst (Textexegese der kanonischen Schriften etc etc) als auch später zusammengestellt/ausgewählt ... die religiöse Versenkung hatte gefälligst in den richtigen Glaubensinhalt hinein stattzufinden

Das ist doch sowieso klar. Logo findet eine Ent-Individualisierung statt. Das ist aber das Wesen der meditativen Versenkung. Wie man sie interpretiert bzw. welchen Zweck man ihr beimisst, hängt ab vom ideologischen Zusammenhang, in dem man sich bewegt. Buddhismus/Hinduismus sind ebenso willkürliche Ideologien wie die der "Kirche" und genauso auch die Suche nach einem angenommenen "wahren Selbst" außerhalb oder innerhalb des wahrgenommenen Selbsts.

Es ist doch eine Binse, dass spätestens die nachnicänische Theologie sich für sehr viele Jahrhunderte de mal en pis entwickelte. Trotzdem, alles was Wirkung entfaltet, selbst der ultimative Unfug, ist ein historisches Phänomen. Das beschreibt man sine ira et studio. Wertungen aus heutiger Perspektive sind ahistorisch.

Bei der Beschreibung von Phänomenen sollte man sich so weit möglich der Bewertung enthalten... oder es ganz unterlassen. Die Menschheitsgeschichte ist durchdrungen von Unvernunft. Der Gegenstand historischer (und auch soziologischer, psychologischer etc.) Forschung ist so unvernünftig wie Menschen, sowohl als Individuen als auch als Gruppen, nun mal sind.

Selbst wenn man die Meinung vertritt, bei Religionen handele es sich um Macht- und Verblödungsinstrumente: Sobald man sich damit beschäftigt, muss man sich ein Stück weit einlassen in die jeweilige Gedankenwelt. Sonst bleibt es bei dem Erkenntniswert Null, weil man schon zuvor der Ansicht war, dass es sich um Spinner handelt. Wer es nicht mit Spinnern zu tun bekommen möchte, möge sich mit Mathematik beschäftigen, nicht mit Geschichte. Da wimmelt es von mehr oder weniger Bekloppten (also Leuten wie Du und ich), die für sich in Anspruch nahmen und nehmen, genau das Richtige zu denken und zu tun. :005:
 
wenn Ihr an diesen Aussagen (1) "absichtlich sehr limitierte, regulierte Vertonung", (2) "vornehmlich intellektuell-pädagogischen und weniger mystisch-meditativen Charakters" festhalten möchtet, dann offenbart das nur (ad 1) komplette Unkenntnis des gregorianischen Repertoires und (ad 2) ein völliges Unverständnis des Wesens und der historischen Entstehung des Chorals.
[...] in fast schon groteskem Unverständnis des Gesangs und seiner Entstehungsgeschichte hier ein "kulturgeschichtliches Zeugnis" vermeintlich intellektuell-pädagogischen Charakters erkennen will.

Ich muss mich darauf beschränken, angesichts dieser ebenso Kenntnisreichtum wie eine erstaunliche Bereitschaft zur Verwendung des diskursiven Vorschlaghammers verratenden Invektive auf das notwendige einzugehen, nämlich auf die drei Defizite, die dieser und dein vorhergehender Beitrag aufweisen:

(1) Willkürliche Einschränkung des Objektbereichs, (2) Mangelnde Klärung eines zentralen Begriffs, nämlich der Meditation, (3) Vermengung der Pragmatik des historischen Gegenstands mit dessen Rezeption.

(1) Du sagst selbst, dass »Gregorianik« ein weiter Begriff ist, erklärst dann aber Gattungen wie die Sequenz, die unzweifelhaft zu ihr gehören, als sekundär und rückst, offenbar deinen Interessen am nächsten stehende, Formen der textlosen »meditative« Musik ins Zentrum. Nun, »die Gregorianik« steht jedenfalls in der Kontinuität der spätantiken christlichen Hymnik (und die wiederum formengeschichtlich in der Tradition der paganen). Und da gilt ohne jeden Zweifel der Primat des Textes vor der Musik (wie der Merkvers besagt, den ich aus dem mittellateinischen Proseminar behalten habe Poeta composuit rationen rhytmicam / Tityrus imposuit melodiam musicam, »der Dichter verfasst seine ryhthmischen Verse, und dann macht Tityros die Melodie dazu«). Es ist also die textlose Variante, die eher an der Peripherie steht, und alle Überlegung muss vom musikalisch gestützen Text ausgehen.

(2) Der Begriff der Meditation spielt bei dir eine zentrale Rolle, aber du hast nicht geklärt, was du darunter verstehst. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass es sich verbietet, ein modernes populäres Verständnis von Meditation im Sinne eines jede Kognition ausschaltenden Sichversenkens auf die »Gregorianik« zu übertragen. Näher kommen wir der Sache sicher mit dem von dir erwähnten Begriff der ruminatio, allerdings in seiner spätantik-frühmittelalterlichen Verwendung und nicht in einer, wie er derzeit in der kath. Religionspädagogik üblich zu sein scheint. *) Ruminatio ist eine von Augustin geprägte Metapher, welche die Reflexion über bereits Gehörtes meint, im Sinne eines gedanklichen Kreisens um einen Gegenstand (In Psalmos 38.46.1 cum autem audita in memoriam reuocat, et cogitatione dulcissima recolit, fiat similis ruminanti, »wenn man sich bereits Gehörtes ins Gedächtnis zurückruft und in angenehmer Reflexion noch einmal durchgeht, wird man einem Wiederkäuer ähnlich«; es gibt viele weitere solcher Stellen); an einer Stelle setzt er es mit meditari »nachdenken« gleich (ibid. 149.36 qui autem in lege domini meditatur die et nocte, tanquam ruminat, »wer aber Tag und Nacht mit dem Nachdenken über Gottes Gesetz zubringt, käut es gleichsam wieder«). Mit dem obengenannten religiospädagogischen Verständnis von Rumination *) hat die Augustins die Subjektivität ohne Bezug auf ein Gegenüber gemeinsam, aber keineswegs die weitgehende Ausblendung der Kognition - vielmehr meint er einen »ungeregelten« intellektuellen Prozess, d.h. einen, der nicht schulmäßigen definitorischen oder argumentative Verfahren wie den Baum dem Porphryios oder der rhetorische Topos- oder Statuslehre unterworfen ist.

In diesem Sinne sind viele gregorianischen Text aber nicht meditativ (s.u.). Wenn du zum Beweis ihres meditativen Charakters neuzeitliches religionspädagogisches und -psychologisches Schrifttum heranziehst, beschreibst du nicht den historischen Gegenstand, sondern eine seiner neuzeitlichen Verwendungen, die nicht notwendigerweise etwas über die ursprüngliche Pragmatik dieser explizit nicht subjektiven, sondern intersubjektiven Texte besagt. (Nebenbei, in Vezelay sagte mir mal eine Kollegin, wie beeindruckt sie vom meditativen Charakter der Liturgie gewesen sei; auf Nachfrage stellte sich als eine der Hauptursachen heraus, dass sie die lateinischen Texte schlicht und einfach nicht verstanden und sich daher ganz der Musik hingegeben hatte; das dürfte eine häufige Quelle des - zugleich produktiven - Missverständnisses sein).

(3) Intersubjektivität und Interpersonalität sind ein wesentlicher Grundzug der Texte. Ich erlaube mir, trotz deinem Einspruch, das am Beispiel der Sequenz zu erläutern. Soweit sie Hymnus ist, bedingt das natürlich ihre Orientierung auf Gott, und das Gotteslob bedient sich der antiken Formensprache. Notkers Sancti spiritus (AH 64,1) etwa hat eine traditionelle Tu-Aretalogie: 6a. Prophetas tu insirasti / ut praeconia Christi / praecinuissent inclita, || 6b. Apostolos comfortasti / uti tropheum Christi / per totum mundum veherent. Als Gemeinde- bzw Kongregationsgesang hat sie andererseits einen dezidiert direktiven Sprechaktcharakter. Das betrifft nicht nur die üblichen Aufforderungen zum Einstimmen in das Gotteslob (concinat orbis ubique totus, »der ganze Erdkreis soll in den Gesang einstimmen« heißt es zum Eingang von Notkers erster Sequenz und Gratias nunc et in secula omnipotenti redemptoi canamus, »Dank wollen wir jetzt und auf alle Zeit unserme allmächtigen Erlöser singen«, am Schluß). Es betrifft vielmehr auch explizite Anweisungen zur Befolgung des Dogmas. In Wipos Ostersequenz lesen wir etwa credendum est magis soli / Mariae veraci / quam Iudaeorum turbae fallaci, »man muss eher alleine dem wahrhaften Zeugnis Mariens glauben als der betrügerischen Menge der Juden«.

Sollen wir wirklich darauf pochen, dass derlei Text nicht intellektuell und didaktisch geprägt, sondern »meditativ« sind? Das wäre doch wohl - jetzt muss ich mir bei dir die Worte leihen - fast schon grotesk. Im übrigen -

Die skurrile These (zunächst mutmaßend vertreten von @Ambros_Langleb

- magst du das vor dem Hintergrund deines explizit "un-vernünftigen" und ahistorischen Zugangs zur Sache, den ich absolut respektiere, gerne skurill finden. Allerdings "mutmaße" ich nichts, sondern gebe hier meine Sicht der Dinge wieder, die, mutmaßlich im Gegensatz zu deiner, aus einem, wenn auch lange zurückliegenden, so doch abgeschlossenen Studium der Mittellateinischen Philologie erwächst.



*) Es beginnt damit, die Bibel nicht mit den Augen, sondern mit den Lippen zu lesen, sie sich also selber halblaut vorzusprechen. Die akustische Lektüre weckt die Sinne, erhöht die Aufmerksamkeit. Augen, Mund und Gehör werden aktiv. Lesen wird dann wie auch das Singen eine Aktion des ganzen Körpers, der den Geist ergreift und in Anspruch nimmt. So „spricht“ Gottes Wort tatsächlich zu mir und liegt nicht nur vor mir. Vielmehr spricht es mich an – ein Vers oder nur ein einziges Wort. Das gilt es zu behalten, damit umzugehen, es sich aus der Erinnerung auf die Zunge zu rufen, um es wieder zu kauen, zu genießen.

(https://www.kirche-und-leben.de/artikel/bitte-kraeftig-zubeissen/)
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir können zweierlei unterscheiden: voll konzentriert bei einer Sache sein, oder bewußt wahrzunehmen was geschieht..
Das ist richtig! Konzentration heißt auch bestimmte Dinge auszublenden und nicht bewusst wahrzunehmen, dass der Nachbar zum Beispiel gerade sägt.
Meditation hat eigentlich keinen weltlichen „Zweck“, sie wird zwar in den Alltag integriert und hat dann Auswirkungen (falsch angegangen auch durchaus sehr Negative!), aber ursprünglich wird sie nicht zum Verbessern von Diesem oder Jenem benutzt.
Das ist unser (westlicher?) Optimierungsdrang. Noch eine Technik, noch ein Trend. „Westlich“ mit Fragezeichen, denn in asiatischen Ländern wird sie inzwischen bewußt zur Optimierung von Leistungen genutzt.
Ja, ich glaube auch, dass es dem westlichen Denken etwas fremd ist etwas zu tun ohne ein Ziel zu verfolgen. Ich glaube im "Westen" meditieren die meisten nicht einfach so, sondern wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. (z.B. ruhiger oder gelassener im Kopf werden etc.)
Ist es im "Osten" aber nicht auch ein Ziel durch Meditation Erleuchtung zu gelangen?
Ich (als westlicher Denker) tue mir bei dem Gedanken schwer, dass man etwas tut ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.
Ist das wirklich so? :denken: Es muss sich ja schrecklich anfühlen, wenn man nicht bei der Sache bleiben kann. :angst:
(...) Lernt man denn nicht schon im Kindesalter, die Gedanken eben nicht abschweifen zu lassen? :konfus: Ich kann nur arbeiten, wenn ich ganz und gar fokussiert bin.
Für mich ist es eigentlich nicht schrecklich, wenn ich abschweife. Es ist eher mein Umfeld, das dann etwas irritiert ist und eine Reaktion oder Antwort von mir erwartet, aber ich mich gerade etwas weggeträumt habe. In der Schule dachten bestimmt manche Lehrer dass ich dumm sei. Ich habe zwar (mit leerem Blick) auf die Tafel geschaut, aber wenn ich dann etwas gefragt wurde, wusste ich oft die Antwort nicht. Eigentlich stört es mich persönlich nicht, aber es kann im Alltag oder im Berufsleben nicht immer von Vorteil sein. Dies ist bei mir hauptsächlich dann der Fall, wenn mich etwas nicht interessiert hat oder ich geistig ausgestiegen bin. Fand ich etwas spannend, dann war ich zum Teil stundenlang bei der Sache ohne, dass ich das anstrengend fand. Ich würde zu gern mal in andere Köpfe reinschauen wie die funktionieren.
Für ein Master-Abschluss hat es jedenfalls bei mir gereicht. :001:

LG
bechode
 

Zurück
Top Bottom