Nun ruhen alle Wälder, BWV 756

pianovirus

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Diese schöne kleine Fughette über Paul Gerhardts geistliches Abendlied (1647) wird traditionell J.S. Bach zugeschrieben, auch wenn dessen Autorschaft eher unwahrscheinlich ist. Meine Lieblingsstrophen:

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
es schläft die ganze Welt;
ihr aber, meine Sinnen,
auf, auf, ihr sollt beginnen,
was eurem Schöpfer wohlgefällt.

Nun geht, ihr matten Glieder,
geht hin und legt euch nieder,
der Betten ihr begehrt.
Es kommen Stund und Zeiten,
da man euch wird bereiten
zur Ruh ein Bettlein in der Erd.



Die Abendstimmungen habe ich auf Streifzügen in Schwarzwald, Vogesen, Basler Jura und im Kaiserstuhl eingefangen.
 
Das "schöne" finde ich hier ein wenig euphemistisch. Ich kannte dieses Stück nicht, aber ich glaube nie und nimmer, dass das von Bach sein kann. Die merkwürdigen Terzverdoppelungen im dreistimmigen Satz, die unlogische Doppeldominante nach der streng diatonischen Sequenz am Ende des ersten Ritornells und die anschließende Quintparalle (obwohl "rein-vermindert", hier ein furchtbarer Missgriff) lassen eher auf irgendeinen thüringischen Kleinmeister schließen. Ich glaube, selbst seinen jüngeren Schülern hätte Bach das so nicht durchgehen lassen.

Das ist schön gespielt und gut artikuliert (wenn auch für meinen Geschmack arg langsam), aber das Stück ist die Mühe meiner Meinung nach nicht wert. Ich denke, du kannst aus dem Stegreif etwas besseres in dem Stil improvisieren!
 
Danke, Mick. Ich kann mir, wie oben geschrieben, auch nicht vorstellen, dass es von J.S. Bach ist. Dein Urteil erscheint mir aber doch etwas zu hart, bzw. die Begründungen überzeugen mich nicht direkt.

Man muss sich m.E. erst einmal fragen: Was ist das für ein Stil? Ganz sicher kein in allen Details durchdachtes Choralvorspiel nach Art der großen Bachschen Orgelchoräle — und auch nicht etwas dergleichen "in klein", etwa im Stil des Orgelbüchleins.

Ich denke stilistisch vielmehr in Richtung von Sammlungen wie die "Choräle welche bey währendem Gottesdienst zum Präambulieren gebraucht werden können" von Johann Christoph Bach (1642-1703; er selbst alles andere als ein "thüringischer Kleinmeister", sondern von JS und auch CPE hochgeschätzt) – also kleinformatige aufgeschriebene Sonntagsimprovisationen. Ähnlich wie auch hier weicht die strenge Kontrapunktik meist schnell einer einfach "gegriffenen" Setzweise und gewisse einfache Improvisationsmuster kehren häufig wieder.

Die merkwürdigen Terzverdoppelungen im dreistimmigen Satz

Wenn Du eine Oktavverdoppelung des Basstons im Sextakkord meinst (wie man in Generalbass- statt Funktionsharmoniksprechweise sagen würde), davor hat man im frühen 18. Jh. nicht zurückgeschreckt (selbst wenn die Verdoppelung im Sopran liegt). Im vierstimmigen Satz ist das bei Sextakkorden doch sehr häufig der Fall (das weißt Du ja sicher); im dreistimmigen Satz ist dieser dann eben unvollständig. Ich weiß nun nicht, ob darüber etwas speziell für den dreistimmigen Satz geschrieben wurde, aber ähnliche dreistimmige Muster kann ich auch bei J.Chr. Bach sehen.

, die unlogische Doppeldominante nach der streng diatonischen Sequenz am Ende des ersten Ritornells

Naja, so ganz elegant finde ich das auch nicht. Es ist eben eine schlichte und schnelle improvisatorische Art, nach D-Dur zu modulieren. J.S. hätte das nicht gemacht, aber der Organist einer kleinen Stadt ist damit zufrieden und die Gemeinde auch ;)

die anschließende Quintparalle (obwohl "rein-vermindert", hier ein furchtbarer Missgriff)

"Rein-vermindert, ungehindert" hieß es doch zur damaligen Zeit, meine ich. Und noch CPE Bach schreibt ohne Einschränkungen (im Versuch): "Im Heruntergehen (was ja hier der Fall ist) kann in allen Stimmen auf eine reine Quinte eine falsche folgen".

Trotz meiner Einwände: Bitte nicht falsch verstehen. Ich möchte dieses kleine Choralvorspiel nicht als Meisterwerk der Tonkunst darstellen und gegen Deine Kritik verteidigen. Ich meine aber, dass man ihm ein wenig unrecht tut, wenn man außer acht lässt, dass eine aufgeschriebene Improvisation für die gottesdienstliche Praxis anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als etwa ein ähnlich kleines Stück aus dem Orgelbüchlein.
 
Ich weiß nun nicht, ob darüber etwas speziell für den dreistimmigen Satz geschrieben wurde, aber ähnliche dreistimmige Muster kann ich auch bei J.Chr. Bach sehen.
Wenn sich die Terzverdoppelung aus der Stimmführung ergibt, ist das auch im dreistimmigen Satz nicht problematisch. Passiert ja beispielsweise in T. 6 und stört dort nicht. In der Sequenz grätscht aber ohne jede Not eine Wechselnote im Bass in die Auflösung des Vorhaltes der Mittelstimme hinein. Das halte ich für ausgesprochen ungeschickt.

"Rein-vermindert, ungehindert" hieß es doch zur damaligen Zeit, meine ich. Und noch CPE Bach schreibt ohne Einschränkungen (im Versuch): "Im Heruntergehen (was ja hier der Fall ist) kann in allen Stimmen auf eine reine Quinte eine falsche folgen".
Das ist grundsätzlich richtig, aber wenn die Quinte in den Außenstimmen liegt und die Mittelstimme ebenfalls parallel dazu läuft, dann ist es irgendwann zu viel des Guten. Bach hätte in so einem Fall wohl zumindest einen Bassvorhalt verwendet (also in Takt 12 beispielsweise anstelle der vier Achtel cis-H-cis-A wie folgt notiert: angebundenes Achtel d, zwei Sechzehntel cis-H, zwei Achtel cis-A). Diese Vorhaltsfloskel wäre typisch für Bach; sie kommt in seinem Werk häufig vor.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Mick, das sind interessante Bemerkungen. Ja, bei diesen beiden Stellen kann ich Deine Kritik schon nachvollziehen... ;-)
 
Auf welcher Orgel hast du gespielt? Klingt historisierend.
 

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