Sexuelle Belästigung bei Bewerbung

Normal ist für mich, im engsten Freundeskreis davon zu berichten (auch nicht so leicht, weiß ich aus eigener Erfahrung, aber doch wesentlich leichter als Polizei oder Öffis). Normal ist es, wenn dann ein oder mehrere aus diesem Freundeskreis sich um den Kerl kümmern, und zwar so, dass er nie wieder auf so ne Idee oder in so eine Machtposition kommt.

Gerade im engsten Familien- oder Freundeskreis fällt es Mädchen oder Frauen, die Opfer eines sexuellen Übergriffes sind, schwer darüber zu sprechen. Dabei geht es um zutiefst und erschütternde Scham, die sie empfinden. Oft schweigen die Opfer ein Leben lang, weil sie sich schämen.

Wie beschwert so ein Leben im weiteren ist, können die meisten hier vielleicht ansatzweise nachfühlen.

Das sind jedenfalls Erfahrungen, die ich im beruflichen, aber auch privaten Umfeld habe. Auf diesem Gebiet betreue ich aktuell die Mutter einer 13-jährigen , die vor Gericht aussagen muss. Sie möchte auf keinen Fall, dass ihre Eltern bei ihrer Aussage anwesend sind.

Ein Grund , warum Opfer sich nicht wehren, ist unter anderem Angst, furchterregende Angst. In solch einer Situation zu sein können sich die meisten hier wahrscheinlich nicht ansatzweise vorstellen.
 
Eine Frau erflirtet sich Vorteile - ein mächtiger Mann erpresst sich Vorteile; das Eine ist normaler Umgang, das Andere ist eine Straftat.
Das bringt es auf den Punkt.

Erstaunlich ist, dass in USA ein Präsident die Macht inne hat, der Frauen vorwiegend als Sexualobjekte oder Kleiderständer sieht. Gerade aus diesem Land schwappt dieser neu entfachte Puritanismus zu uns nach Europa. Schwer zu sagen, wo das endet.
 
Zuletzt bearbeitet:
aus diesem Land schwappt dieser neu entfachte Puritanismus zu uns nach Europa.
Der neu entfachte Puritanismus? Worin besteht denn der? Dass man ein super aussehendes Model aus Slowenien heiratet und nach dessen Mutterschaft öffentlich verkündet, dass einen Frauen, die schon einmal entbunden haben, sexuell nicht mehr interessieren?

CW
 
In solch einer Situation zu sein können sich die meisten hier wahrscheinlich nicht ansatzweise vorstellen.
Ich leider schon. Ich weiß, was da im Kopf geschieht, auf was für abstruse Gedanken (alleine die ganzen Selbstvorwürfe) man kommt, wie schamvoll das ist, kenne die von Chiarina erwähnte Schockstarre... Aber es hilft ja nix. Wenn man seine beschwerliche Situation verbessern will, geht das nur durch Konfrontation mit der Situation. Anders ist das nicht möglich. Deshalb bringt es auch gar nichts und ist der falsche Weg, immer und immer wieder Verständnis dafür auszudrücken, dass die Leute schweigen oder erst nach Jahren den Mund aufmachen. Nein! Man muss jeden Menschen dazu ermuntern, nicht zu schweigen und das Schwein sofort und auf der Stelle anzuprangern, Verständnis hin oder her. Jede einzelne Minute später als sofort tut dem Opfer weiter weh, schützt den Täter und hat mitunter weitere Opfer zur Folge.
 
Ich leider schon. Ich weiß, was da im Kopf geschieht, auf was für abstruse Gedanken (alleine die ganzen Selbstvorwürfe) man kommt, wie schamvoll das ist, kenne die von Chiarina erwähnte Schockstarre... Aber es hilft ja nix. Wenn man seine beschwerliche Situation verbessern will, geht das nur durch Konfrontation mit der Situation. Anders ist das nicht möglich. Deshalb bringt es auch gar nichts und ist der falsche Weg, immer und immer wieder Verständnis dafür auszudrücken, dass die Leute schweigen oder erst nach Jahren den Mund aufmachen. Nein! Man muss jeden Menschen dazu ermuntern, nicht zu schweigen und das Schwein sofort und auf der Stelle anzuprangern, Verständnis hin oder her. Jede einzelne Minute später als sofort tut dem Opfer weiter weh, schützt den Täter und hat mitunter weitere Opfer zur Folge.

Lieber Peter,

das ist eine Fehleinschätzung! Es gibt Opfer, die richten sich irgendwie ein im Leben mit ihren Traumatisierungen. Jeglicher Druck oder Beharren bei massiv verdrängenden oder dissoziierenden Patienten auf Verarbeitungsnotwendigkeit kann schweren Schaden anrichten, bis hin zum Suicid.

Selbstverständlich muss Gesprächsbereitschaft signalisiert werden, aber das gehört in die Hände erfahrener Therapeuten.
 
Ich schreibe aus Das beherrschte Geschlecht von Sandra Konrad ab. Das Buch habe ich kürzlich gelesen und kann es sehr empfehlen. Sie schreibt zu dem Thema u.a.
Wer glaubt, dass der juristische Schutz für Vergewaltigungsopfer in Deutschland weitaus besser aussieht, irrt. Auch in Deutschland werden von 100 sexuellen Gewalttaten nur etwa 5 bei der Polizei angezeigt. Bei jährlich etwa 8000 angezeigten Vergewaltigungen liegt die Dunkelziffer also bei etwa 160 000 Vergewaltigungen im Jahr. Scham und Angst vor öffentlicher Stigmatisierung halten Frauen davon ab, die Gewalt anzuzeigen.
Tatsächlich gestand sogar der ehemalige Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge im Jahr 2013 in der Talksendung "Anne Will" ein, er würde seiner Tochter davon abraten, nach einer Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. Karge weiß, was auf Vergewaltigungsopfer zukommt: eine Tortur aus unangenehmen Fragen und Vernehmungen. Er sprach davon, dass die Opfer auf dem Revier und später im Gerichtssaal "noch einmal richtig in die Mangel genommen" werden würden: "Ihre Sexualpraktiken werden öffentlich breitgetreten. Alleine das Gefühl, dass man ihnen nicht glaubt, überfordert die Kräfte und Nerven vieler Frauen." Sowohl der demütigende Umgang mit weiblichen Gewaltopfern als auch die Tatsache, dass Vergewaltigungen weltweit eine der niedrigsten Verurteilungsraten von allen Verbrechen haben, sind skandalös. In Deutschland enden im Schnitt nur 13 von 100 angezeigten Vergewaltigungen mit einer Verurteilung des Täters.
 
Ich muss da noch mal nachfragen. Heißt dieser Satz, dass du einen Übergriff, eine Ver-Gewalt-igung mit einem Tango vergleichst?
Letztlich ist das nur die Übertragung der Konstellation, dass immer mindestens zwei Parteien vonnöten sind, in die englische Sprache: Die eine wird durch die Ausübung von Macht zum Täter, die andere durch Zulassen dieser Machtausübung der Gegenseite zum Opfer. Führen und Folgen gibt es auch beim Paartanz Tango. Dazu musste ich lediglich in Deiner Frage das Wort Gewalt durch Macht ersetzen.

Jede einzelne Minute später als sofort tut dem Opfer weiter weh, schützt den Täter und hat mitunter weitere Opfer zur Folge.
Zur Problematik gehört dazu, dass der Täter sich schützt, indem er darauf achtet, dass unabhängige Zeugenaussagen der Gegenseite fehlen und dem Opfer niemand glaubt. Des weiteren haben vermutlich viele Täter ein Gespür für etwaige Schwächen auf der Gegenseite, so dass stabile und belastbare Persönlichkeiten mit intaktem persönlichem Umfeld weniger stark gefährdet sind, in einer Opferrolle zu landen.

LG von Rheinkultur
 
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Nach einem traumatischen Erlebnis, wie einer Vergewaltigung, kann es zu einer reflexartigen Verdrängung kommen. Das ist ein Abwehrmechanismus, um das eigene Ich vor einer Wirklichkeit zu schützen, der es nicht begegnen kann.

Eine „stabile und belastbare Persönlichkeit mit intaktem persönlichem Umfeld“, wird das Erlebte vielleicht besser verarbeiten können und sich noch eher Hilfe suchen, als eine schwache Person oder ein Kind.


Das Kind befindet sich weiterhin in einem Abhängigkeitsverhältnis und will von ihr geliebt werden und sie ebenso lieben.
Es ist also nichts geschehen und die Verdrängung ermöglicht eine gewisse Angstfreiheit.

Es können Jahre oder Jahrzehnte vergehen, bis sich das Erlebte wieder ins Bewusstsein drängt.
Das ist sehr belastend und es kann sogar zur zeitweisen Verstummung kommen.

In solch einer Situation zu sein können sich die meisten hier wahrscheinlich nicht ansatzweise vorstellen.

Ich leider auch.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich auch. Schon von klein auf. Als Erwachsene zwei mal. Doch beim zweiten Mal konnte ich mir helfen. Ich habe den zwar auch nicht angezeigt, ich hätte da auch keine Chance gehabt. Aber ich habe mein Umfeld gebeten mich vor diesem Menschen zu schützen, dadurch wurde er aus dem gemeinsamen Raum verdrängt. Seit dem lebe ich quasi in einer anderen Welt, ich erkläre mir das dadurch, dass ich die Opferaura abschütteln konnte. Männer die gerne übergriffig werden spüren das und lassen mich in Ruhe. Früher wurde ich quasi ständig auf unangenehme Art angesprochen, seit dem fast gar nicht mehr. Inzwischen muss ich aufpassen, dass ich nicht vergesse wie es vorher war.
 
P.S. ich finde es ganz toll, dass immer mehr Menschen dazu stehen, dass ihnen so etwas passiert ist. Denn das ist zur Zeit der einzige Weg den ich sehe, dass solche Verbrechen in Zukunft weniger werden. Wenn sich herumspricht, dass eine Gewalterfahrung keine Schande ist.
 

Früher gab es eine ganz andere Rechtslage, eine andere Sensibilität und lauter Hasenbeinige an den Stellen, die davon ausgehen, Frauen provozierten Übergriffe und fänden sie eigentlich OK (sonst würden sie ja vollverschleiert in einem schwarzen Zelt herumlaufen bzw. die eigenen 4 Wände nicht verlassen, wie es in vielen Weltregionen noch heute gilt).

Bis vor noch nicht allzu langer Zeit musste die Betroffene noch nachweisen, dass sie heftige Gegenwehr zeigte (und somit ausgeschlagene Zähne, Fausthiebe ins Gesicht u.ä. riskierte), damit in den Augen der "Juristen" überhaupt eine Vergewaltigung stattfand. Wenige Jahre ist diese Gesetzesänderung erst her! Ich fand den Ausschnitt aus dem Buch sehr zutreffen, von @beo zitiert: Anzeige schön und gut, aber welchen öffentlichen Rattenschwanz zieht das nach sich (die blöde Kuh will den Ruf und die Karriere des Täters ruinieren, sie lügt, sie will sich rächen, sie will sich interessant machen blabla).

Ich bezweifle außerdem, dass es Mädchen/Frauen gibt, die lebenslang niemals Gegenstand einer männlichen Machtdemonstration (aka "sexueller" Übergriff) werden. Ab wann zeigt man an? Was muss passieren, damit man den ganzen Ärger und Huddel mit Anzeige & Co. auf sich nimmt? Das Grapschen im Gedränge anonymer Personen – zeigt man das an, wie macht man den anonymen Grapscher gegenüber der Polizei überhaupt greifbar? Was muss frau notgedrungen hinnehmen, ehe sie anzeigt? Ist die Grenze erst dann erreicht, wenn sie körperlichen Schaden nehmen?

Normal ist für mich, dass die Frau dem Kerl eine knallt, wenn er ungewollt übergriffig wird. Hilft das nicht, Tritt in die Eier, (um Hilfe) schreien wie am Spieß, weinen, flehen.... das sind für mich stinknormale, sogar instinktive Wehrmechanismen.

:001: Das klingt für alle erst mal logisch. Schade, dass solche Situationen keinem logischen Plan folgen. Die Anzeige bekommt dann die In-die-Eier-Tretende, nämlich wegen Körperverletzung, Verleumdung & Co. Suuuper.

Immer und immer wieder gibt es die Frage von Außenstehenden – es ist eher ein Vorwurf als eine Frage: "Warum hat sie sich denn nicht gewehrt?" (die blöde Kuh, selbst dran schuld ... ein bisschen Spaß hat es ihr offenbar doch gemacht ... sie hat das provoziert und den armen Kerl in eine Falle gelockt)

Die Betroffenen schildern eine Schockstarre, sie haben Mühe zu realisieren, was gerade abgeht, fühlen sich gelähmt und verabschieden sich sogar zeitweilig aus der Realität, sind benommen, ohne konkrete Erinnerung, wie nach einem "Schlag auf den Kopf". Das Gehirn ist so schnell nicht in der Lage, das Ungeheuerliche zu verarbeiten, und schaltet automatisch auf Standby.

Ein Grund , warum Opfer sich nicht wehren, ist unter anderem Angst, furchterregende Angst. In solch einer Situation zu sein können sich die meisten hier wahrscheinlich nicht ansatzweise vorstellen.

Die Situation eines Machtübergriffs passt glücklicherweise nicht ins Welt- und Menschenbild. Die Attacke ist nicht nur ein Angriff gegen die persönliche Integrität, sondern auch auf die Vorstellung, "wie die Welt ist". Sie ist absurd, surreal, angsteinflößend und bedrohlich zugleich. Es erfolgt eine paradoxe Reaktion (freeze statt fight/flight, Passivität statt Gegenaggression oder Flucht), ganz viele Opfer berichten davon.

Aber es hilft ja nix. Wenn man seine beschwerliche Situation verbessern will, geht das nur durch Konfrontation mit der Situation. Anders ist das nicht möglich. Deshalb bringt es auch gar nichts und ist der falsche Weg, immer und immer wieder Verständnis dafür auszudrücken, dass die Leute schweigen oder erst nach Jahren den Mund aufmachen. Nein! Man muss jeden Menschen dazu ermuntern, nicht zu schweigen und das Schwein sofort und auf der Stelle anzuprangern, Verständnis hin oder her. Jede einzelne Minute später als sofort tut dem Opfer weiter weh, schützt den Täter und hat mitunter weitere Opfer zur Folge.

Hier und jetzt, gemütlich am Läppi sitzend, mit einem schönen heißen Kaffee neben mir, würde ich auch sofort sagen: Ja klar doch! Volles Geschütz! :bomb:

Falls bei dem Übergriff die Frau nicht grün und blau geschlagen wird (was sie durch Passivität zu verhindern versucht), ist das aber alles eine Grauzone. Eine Freundin von mir hat mir mal eine Vergewaltigung geschildert, bei der ich als locker-flockige Außenstehende und Nichtbetroffene nicht verstehe, warum sie so passiert ist, wie sie passierte. Sie hätte vor keinem Gericht der Welt auch nur eine Zulassung des Verfahrens bekommen. Die Schockstarre ist ein paradoxes Verhalten, das die Betroffenen im Nachhinein selbst nicht erklären können, sie können noch nicht einmal präzise sagen, was sie gedacht haben.

Nur eines können sie sicher sagen: Sie haben sich ganz sicher nicht deshalb nicht gewehrt, weil es ihnen "doch irgendwie gefallen" hat. :013:
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Endeffekt muss jedes Opfer auf sein inneres Bauchgefühl hören und prinzipiell würde ich sagen, dass man keinen Menschen zu irgendetwas drängen sollte. Auf der anderen Seite kann ich die Sichtweise und Haltung von @Peter verstehen.

Bei mir wurde der Missbrauch nicht angezeigt. Es waren die 80iger, man war zu wenig aufgeklärt und ausgebildet. Was nicht der einzige, aber eben „ein Grund“ gewesen sein könnte, warum letztenendes „gar nichts“ getan wurde. Wenn ich mir anschaue, wie heute mit dem Thema umgegangen wird, merke ich schon, zumindest auf Fachebene, dass sich einiges getan hat, man um Aufklärung bemüht ist und sich psychologisch auch besser mit dem Thema auskennt.

In der Charite in Berlin wurde zB auch ein Programm für Menschen gestartet, die in irgendeiner Form „sexuell auffällig“ sind. Ich finde es gut, dass man auch den umgekehrten Weg geht, also sich anschaut, wie es überhaupt passieren kann, dass Missbrauch (egal in welcher Form… ob es nun eine Vergewaltigung ist oder ein Übergriff, der länger stattfindet, bei Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Menschen) geschieht, wie die innerseelischen Abläufe genau ausschauen und wie man Menschen, die zB unter Pädophilie leiden, helfen kann, ihre Neigung gar nicht erst auszuleben. Dadurch schützt man auch potentielle „neue“ Opfer.

Mir hat das zB bei der Bewältigung meiner Geschichte sehr geholfen. Mich und mein Trauma, aber auch die Geschichte „des Täters“ zu verstehen. Dadurch konnte ich mich etwas von der Verzweiflung, der Angst, der Wut - und letztenendes auch ein Stück weit von ihm - befreien.

Was bei mir leider nicht passiert ist: es kam zu keiner Anzeige. Sogar das Jugendamt hat meiner Familie dazu geraten, nichts zu tun. Es würde „zu wenig“ Beweise geben. Die Verletzungen seien zu wenig „direkt“. Man würde mir sehr viele unangenehme Fragen stellen. „Ihr Kind wird daran zugrunde gehen.“

Man hat mich also aus Bereich xy rausgenommen und Herr xy durfte ein Jahr lang keine Kinder mehr betreuen. Als dieses Jahr vorbei war, hab ich ihn wieder mit Kindern gesehen. Die Stadt ist klein und auch sonst bin ich ihm immer wieder über den Weg gelaufen. Das waren die schlimmsten Momente, die man sich vorstellen kann.

Und das ist etwas, dass ich mir, obwohl ich damals zwischen 9 und 12 Jahre alt war und für nichts etwas konnte, NIE verzeihen werde. Ich weiß, dass ich keine Schuld habe, aber ein Teil in mir macht sich noch heute dafür verantwortlich, dass ich es zugelassen habe, dass NICHTS passiert und xy wieder Kinder betreuen darf.

Rückblickend betrachtet wäre es mir lieber gewesen, von einem Gericht „in die Mangel“ genommen zu werden, also zumindest den Versuch (!) gestartet zu haben, etwas ZU TUN und Kinder vor diesem Herren zu schützen. So wurde ICH weggenommen, es wurde alles totgeschwiegen, selbst in meiner Familie, und XY durfte wieder Kinder betreuen, Kinder, die dann noch kleiner waren als ich.

Deswegen würde ich immer den Rat geben, etwas zu TUN. Unsere Gesellschaft verschweigt und verdrängt dieses Thema so sehr, dass es pathologisch ist (siehe Kirche zB). Man muss reden, aussprechen, ehrlich sein, auch mal auf den Boden knallen, das tut weh, ja, und man weiß nicht, was danach kommt, aber verschweigen und nichts tun ist keine Option. Wenn man schweigt, verarbeitet man nicht und wenn man nicht verarbeitet, geht man daran kaputt oder schafft neue Wunden bei anderen Menschen, die nicht hätten sein müssen.

Ich habe Therapie gemacht, habe darüber gesprochen und ja, schreibe deswegen auch diesen Beitrag, um aus dieser hilflosen Rolle auszubrechen, und etwas zu TUN, und wenn es nur das kleine bisschen an Inhalt ist, dass ich zu erzählen weiß. Ein Teil in mir wird aber auf immer kaputt und zerstört bleiben.

Die hier oft erwähnte Schockstarre kenne ich und auch den inneren Konflikt, den man austrägt, weil die ganze innere Welt plötzlich auf den Kopf steht. "Du bist wie eine Tochter für mich", hat xy mehr als einmal gesagt. Das ist ja oft auch das brutale, an Missbrauch. Wenn man den Täter liebt und gern hat und dann plötzlich Dinge passieren, die alle Grenzen auflösen.

Es ist schwierig, zu reden, egal ob bei kindlichem Missbrauch, oder an der Hochschule, da stelle ich es mir ähnlich schwierig vor, weil so viele andere Themen noch mitlaufen.

Es ist wichtig, es auszusprechen und seiner Geschichte ein Gesicht zu geben.
 
Was bei mir leider nicht passiert ist: es kam zu keiner Anzeige. Sogar das Jugendamt hat meiner Familie dazu geraten, nichts zu tun. Es würde „zu wenig“ Beweise geben. Die Verletzungen seien zu wenig „direkt“. Man würde mir sehr viele unangenehme Fragen stellen. „Ihr Kind wird daran zugrunde gehen.“

Man hat mich also aus Bereich xy rausgenommen und Herr xy durfte ein Jahr lang keine Kinder mehr betreuen. Als dieses Jahr vorbei war, hab ich ihn wieder mit Kindern gesehen. Die Stadt ist klein und auch sonst bin ich ihm immer wieder über den Weg gelaufen. Das waren die schlimmsten Momente, die man sich vorstellen kann.

Und das ist etwas, dass ich mir, obwohl ich damals zwischen 9 und 12 Jahre alt war und für nichts etwas konnte, NIE verzeihen werde. Ich weiß, dass ich keine Schuld habe, aber ein Teil in mir macht sich noch heute dafür verantwortlich, dass ich es zugelassen habe, dass NICHTS passiert und xy wieder Kinder betreuen darf.

Genau so läuft es doch. Die Grauzone wird von den Tätern ausgenutzt. Oft gibt es keine "Beweise" (gebrochenes Jochbein, blaues Auge, Zahnverlust, Kratzer, Bisse etc.) und auch keine Zeugen, also werden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (oder ernten vor Gericht Bewährungsstrafen oder Freisprüche, wie jetzt gerade im Fall einer öffentlichen Gruppenvergewaltigung – suuuuper, die Botschaft, so demontiert der Rechtsstaat sich selbst).

Stattdessen machen die Opfer sich selbst die Vorwürfe: Dass es überhaupt passiert ist, dass sie sich nicht erfolgreich gewehrt haben, dass ihnen niemand glaubt, dass sie Schuldumkehr erfahren, dass es keine Konsequenzen für den Täter geben wird (Stichwort "Beweise").

Genau das ist das Perfide an diesem Deliktfeld.

Da man auch gleichzeitig nicht wollen kann, dass Männer zu Unrecht bezichtigt werden, ist Prävention so wichtig. Kinder müssen wirklich so früh wie möglich darüber aufgeklärt werden, was ihnen passieren kann und wie sie in solchen Situationen reagieren "dürfen" (dann blöken "Besorgte Eltern" natürlich gegen Frühsexualisierung). Eltern müssen sensibilisiert werden und generell das komplette gesellschaftliche Umfeld.

Frauen ... müssen leider einfach vorsichtig/vorgewarnt bleiben, um nicht doppelt Opfer zu werden: des Übergriffigen und ihrer eigenen Schockstarre. Vorbereitung durch Rollenspiele wäre gut, Weiterbildung in Verteidigungsstrategien, Krav Maga oder so etwas. Trainer berichten immer wieder, Angehörige unserer Zivilisation, Frauen insbesondere, hätten Gewalt so dermaßen nachhaltig aus ihrem Verhaltensrepertoire eliminiert, dass selbst in einer Angriffssituation Gewalt (defensiv!) keine Option darstellt. Was eigentlich SEHR positiv ist und eine immense zivilisatorische Errungenschaft, funktioniert leider nur, wenn alle sich gewaltfrei verhalten. Widrigenfalls wird der andressierte Gewaltverzicht sofort zum Nachteil.

Es hat sich glücklicherweise viel verändert in den letzten zwei Jahrzehnten.

Leider gibt es landläufig immer noch die Reflexreaktionen "sie hat es provoziert, sie lügt, sie übertreibt und überhaupt, was stellt sie sich so an". Liest man überall in den Kommentarbereichen von Usern mit männlichem Nickname. Im religiösen und familiären Umfeld kommt noch dreiste Vertuschung hinzu (darf nicht sein = kann nicht sein, und wer was sagt, ist Nestbeschmutzer / Verräter = der eigentliche Schurke).
 
Die offizellen Schätzung für Falschanklagen liegt bei 3-10 Prozent. Rechnen wir mal großzügig mit 10% dann gibt es in Deutschland 800 Falschanklagen im Jahr. Dem Gegenüber stehen 160 000 Vergewaltigungen. Das sind 5 Promille. Wenn man sich dagegen anguckt wie viel Platz das Thema in der Debatte einnimmt, dann ist das schon ziemlich absurd.
 
Die eine Seite übertreibt, die andere Seite untertreibt.
Ich glaub kein Stück an 160.000 Vergewaltigungen im Jahr. Ich glaub aber auch nicht an 8000.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und ist schlimm genug.

Die Sondersituation dieser Taten ist, dass sie überproportional oft in einem Umfeld stattfindet, wo Aussage gegen Aussage steht. Es gibt meist weder Zeugen noch wirklich eindeutig zuordenbare Tatspuren (bei nachvollziehbar verschämt verspäteten Anzeigen nicht mal mehr diese).

Was soll der Statt tun? Im Zweifel bei Vergewaltigungen gegen den Angeklagten statt wie üblich andersherum? Bestrafen auf Verdacht hin und um gesellschaftlichen Bestrafungswillen umzusetzen - aka Mob-Justiz?

Ich finde es auch furchtbar, dass solche Täter davonkommen - aber es ist in dem jusritischen Umfeld vermutlich wirklich nicht so einfach - zumal ich in meinem Leben genug schräge Persönlichkeiten auf beiden Seiten der Geschlechter erlebt habe - im Schrägheitsniveau ist Gleichberechtigung schon längst eingezogen, selbst wenn manche immer nur den bösen Mann im Blick haben. Falschaussagen und Übertreibungen sind eben leider auch möglich und absolut verbreitet, siehe viele Sorgerechtsfälle, wo manch ein Mann ein trauriges Lied über die Justiz pfeifen kann. Das zu prüfen ist nicht einfach.
 
@Issa , vollstes Verständnis! Meine Aussagen bezogen sich auf die Situation in der Klassik-Szene und den Umgang von Studenten damit. Bei Kindern.... ach, ich kann gar nicht darüber nachdenken.
Deine Freundin hätte ich sein können. Was da genau passiert ist kann ich bis heute nicht richtig erklären und meine Schockstarre hielt ca. 6 Wochen. Die schlimmsten Wochen meines Lebens, voller Angst, Scham, Suicidgedanken...
Ich bereue bis heute jede einzelne Minute, die ich gezögert habe und halte weiter daran fest, dass das Verständnis für das Schweigen nicht hilft.
Deswegen würde ich immer den Rat geben, etwas zu TUN. Unsere Gesellschaft verschweigt und verdrängt dieses Thema so sehr, dass es pathologisch ist (siehe Kirche zB). Man muss reden, aussprechen, ehrlich sein, auch mal auf den Boden knallen, das tut weh, ja, und man weiß nicht, was danach kommt, aber verschweigen und nichts tun ist keine Option. Wenn man schweigt, verarbeitet man nicht und wenn man nicht verarbeitet, geht man daran kaputt oder schafft neue Wunden bei anderen Menschen, die nicht hätten sein müssen.
:super:

Das Blöde ist, dass die Gesellschaft überhaupt nicht weiß, wie sie damit richtig umgehen soll. Einerseits ist sie durch Medien völlig übersensibilisiert, was zum Teil absurde Auswüchse annimmt (Anzeige, weil Bruder und Schwester (beide unter 10) zusammen in einer Badewanne sitzen oder überhaupt der natürliche Umgang mit Nacktheit wie zu DDR-Zeiten....heute undenkbar), andererseits kommt es immer wieder dazu, dass nachweisfrei erkannter Missbrauch nicht konsequent geahndet und künftig vermieden wird.
 
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Eine Gruppe von Frauen, zu der auch ich gehöre, werden häufig vergessen. Das sind diejenigen, die ihre Vergewaltigung erfolgreich verhindert haben. Für mich war das wie ein Krieg. Das Problem war ich musste kämpfen und das Kriegsgebiet war mein eigener Körper. Ich musste meinen Körper ausblenden um handlungsfähig zu bleiben. Die Auseinandersetzung habe ich gewonnen, die Gewalt gegen mich erfolgreich abgewehrt. Mental war ich stärker und habe seinen Schwachpunkt, seine Ängste ausgenutzt. Ich habe meine Vergewaltigung als erwachsene Frau verhindern können. Seelische Verletzungen blieben, eine Anzeige war nicht sinnvoll, denn da ich gewonnen habe gab es so gut wie keine Beweise. Ich hatte so gut wie keine sichtbaren körperlichen Verletzungen. Die Hämatome im Brustbereich lagen zu tief im Gewebe. Er konnte schlagen. Vor Gericht hätte ich nicht die geringste Chance gehabt.
 

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