Körperbewegungen beim Klavierspielen

Das Handwerkliche in der Kunst umfasst weit mehr als die technische Seite. Auch ein sehr großer Teil des musikalischen Könnens gehört dazu.
 
Das Handwerkliche in der Kunst umfasst weit mehr als die technische Seite. Auch ein sehr großer Teil des musikalischen Könnens gehört dazu.
Genau genommen (aber das geht schon ein wenig in Richtung Haarspalterei) kommt es bei einer Aufnahme nur darauf an, dass der geneigte Zuhörer keine besonderen Mängel darin erkennt, will heissen: dass man einerseits nicht das Gefühl hat, der Betreffende sollte das Instrument besser beherrschen (die technische Seite), oder zum zweiten, der Betreffende spielt unmusikalisch (das Musikalische).
 
Ein aufmerksamer, geschulter Klassik-Hörer fühlt, ob ein Musiker eine tiefe Beziehung zum aufgeführten Werk hat und ob er künstlerisch etwas zu sagen hat, ob er eine individuelle Sicht auf ein Musikstück hat und diese auch hörbar machen kann. Kurz: er merkt intuitiv, in welchem Maße eine Interpretation stimmig und glaubwürdig ist.

Aber das heißt noch lange nicht, dass der Klassik-Hörer detailliert das Warum und Wie benennen kann, das hinter einer solchen Interpretation steckt.
Ehrlich gesagt, mir genügt - so platt das wieder klingt - wenn der Musiker eine tiefe Beziehung zur Musik selbst zeigt. Eine tiefere Beziehung zum Stück, was auch immer das bedeuten mag (Werktreue, Entstehungsgeschichte?) kann, soweit es mich angeht, hinten anstehen, wenn ersteres gegeben ist.

Vielleicht ein Beispiel: Du erinnerst Dich vielleicht noch an die Chopin-Etüde Op. 10/4 von Kissin in diesem einen Konzert. Du nanntest das damals eine "Hinrichtung" ... offenbar hat Kissin da Dinge gemacht, die nicht so ganz im Sinne Chopins oder des Lehrbuchs waren. Aber im Sinne der Musik, und das Publikum im Saal hat es (aufgrund der klanglich-musikalischen Glanzleistung der ganzen Sache) förmlich von den Stühlen gerissen.

Bei Lang Lang gab's auch mal etwas ähnliches - mitten im Stück ein Zwischenapplaus zum Höhepunkt des Stückes.

Dabei sind Zwischenapplause bestenfalls in Talkshows üblich - in Klassikkonzerten wartet man bekanntlich, bis die Musiker mit ihrem Vortrag zu Ende sind bzw. zur Konzertpause.

Das zeigt - mir - dass das übliche Klassikpublikum keineswegs tumb, dumm oder unerfahren ist, was das Erkennen von Musikalität angeht. Und dass viele Klassikfreunde Kissins Leistung nicht als eine "Hinrichtung", sondern offenbar als eine herausragende Glanzeistung empfunden haben. Ob nun bewußt, oder intuitiv, in allen ihren Einzelheiten und Details oder nur im groben Ganzen, spielt kaum eine Rolle.
Der Glaube, den Amateur unterscheidet nur die mangelhafte Fingerfertigkeit vom Profi, ist ein scheinbar unausrottbarer, aber vollkommen lächerlicher Irrglaube.
Natürlich kann nicht jeder Amateur ein Horowitz oder Gould sein. Allerdings sind das die Profis in der Regel auch nicht. Und allzu leichtfertig die - oft genug vorhandene - Musikalität von Amateuren in Abrede zustellen, würde zumindest manchen Amateuren nicht gerecht werden, meiner Meinung nach.

Und obwohl du selbst der "Interpret" warst, bist du nicht in der Lage, die teilweise gravierenden Mängel deiner Einspielung zu erkennen und in Worte zu fassen.
Mängel im Sinne des Musikakademie-Lehrbuches vielleicht ja. Aber dass keine echten musikalischen Mängel darin waren, darauf habe ich versucht, sehr genau zu achten.
 
Das zeigt - mir - dass das übliche Klassikpublikum keineswegs tumb, dumm oder unerfahren ist, was das Erkennen von Musikalität angeht. Und dass viele Klassikfreunde Kissins Leistung nicht als eine "Hinrichtung", sondern offenbar als eine herausragende Glanzeistung empfunden haben. Ob nun bewußt, oder intuitiv, in allen ihren Einzelheiten und Details oder nur im groben Ganzen, spielt kaum eine Rolle.
Bei solchen überzogenen Nummern steht allerdings nicht die Musik, sondern die Zirzensik der Darbietung im Vordergrund. Kann man in einer Zugabe zwar machen, ich mag es trotzdem nicht. und Kissin hat das überhaupt nicht nötig, der kann mühelos mit musikalischen Mitteln überzeugen. Inzwischen macht er sowas allerdings auch nicht mehr.

Und allzu leichtfertig die - oft genug vorhandene - Musikalität von Amateuren in Abrede zustellen, würde zumindest manchen Amateuren nicht gerecht werden, meiner Meinung nach.
Ich stelle gar nichts in Abrede. Wir verstehen unter Musikalität nur etwas ganz anderes. Für dich ist es irgendwas Undefinierbares, was einem zufliegt oder auch nicht. Für mich ist Musikalität etwas, das sich aus einem reflektierten Verständnis von Musik entwickelt und das sich selbst Genies zu großen Teilen hart erarbeiten müssen.

Aber dass keine echten musikalischen Mängel darin waren, darauf habe ich versucht, sehr genau zu achten.
So ist das eben mit Versuchen: nicht jeder gelingt.
 
Bei solchen überzogenen Nummern steht allerdings nicht die Musik, sondern die Zirzensik der Darbietung im Vordergrund.
Sehe ich wie gesagt - und wie Du Dir sicher denken kannst - in diesem Fall ja ganz anders, aber gut. Bei Lang Lang ging die musikalische Genialität übrigens in eine ganz andere Richtung: eine vom ersten Ton an durchüberlegte bzw. geplante allmähliche Steigerung der musikalischen Spannung, die sich dann in einer genialen Art und Weise im Höhepunkt des Stückes entlud - viele der Hörer haben das ganz offensichtlich sehr genau wahrgenommen, woraufhin mitten in das Stück hinein ein kleiner Applaus kam.
Ich stelle gar nichts in Abrede. Wir verstehen unter Musikalität nur etwas ganz anderes. Für dich ist es irgendwas Undefinierbares, was einem zufliegt oder auch nicht. Für mich ist Musikalität etwas, das sich aus einem reflektierten Verständnis von Musik entwickelt und das sich selbst Genies zu großen Teilen hart erarbeiten müssen.
"Musikalität" ist für mich keineswegs irgendetwas einfaches, simples, sondern im Gegenteil in Summe etwas ziemlich komplexes. Aber man kann auf diese oder jene Weise etwas dafür tun.

Mir kam beim Nachdenken der Vergleich mit einer Sprache. Wenn Musik eine Sprache ist, dann "spricht" Horowitz durch seine Interpretationen und seine Musik, genauso Gould, Kissin, Lang Lang, Arrau, Lisita, Perlemuter, Wang, Cziffra, Kocsis und wie sie alle heissen.

Und dann gibt es diejenigen, die in dieser "Sprache" beeindruckende Texte, Gedichte, Romane und Kurzgeschichten schrieben (die großen Komponisten).

Man muss eigentlich insgesamt nur versuchen, die "Sprache der Musik" zu verstehen.
 
Man muss eigentlich insgesamt nur versuchen, die "Sprache der Musik" zu verstehen.
Um im Bilde zu weilen: stellt sich nun aber die Frage, wie weit sprachliches Verstehen auf Mit-sprach-können im Vor-, Gleich- und Nach- Vollzug angewiesen ist.

Wieviel musikalisches Mit-wissen/Mit-können ist zum Musik(sprach)verständnis notwendig?

PS: Verstehen setzt ja irgendwie ein vorständiges Stehen im Bestand voraus, oder?!
 
Das meiste verstehe ich nicht, was Du sagen wolltest (vielleicht magst Du es näher erläutern)

Aber die Analogie Sprache-Musik hat natürlich ihre Grenzen. Zum einen haben sprachliche Gewandtheit und Musikalität nichts miteinander zu tun.

Zum anderen transportiert ein geschriebener Text eine ganz bestimmte, spezifische Information, die sich durch den Vortrag nicht wesentlich ändert.

Bei der Musik ist das anders. Je nach Vortrag (Spielweise/Interpretation) kann ein Musiker einem Stück einen teils ganz anderen Charakter, und eine andere Aussage geben.

Das geht bei Sprache nicht.
 
Selbstverständlich geht das bei Sprache auch. Warst du jemals auf einer Schauspielprobe?
Okay, bei der Schauspielerei geht das in begrenztem Umfang schon. Aber versuche einmal, einem Text wie diesem:
Zitat von Wikipedia/"Wasserhahn":
Ursprünglich war ein Wasser-„Hahn“ ein Kükenhahn. Die Bezeichnung „Hahn“ entstand im 18. Jahrhundert, als es in Mode kam, das Betätigungsteil der Ventile in Küche und Bad in Tierformen zu gestalten. Die beliebteste Zierform war die des Hahnes, woraus im Laufe der Zeit der Begriff des Wasserhahns geprägt wurde.

In einigen Teilen Deutschlands (Köln, Münster, Saarland, Sauerland, Wittgensteiner Land, Ruhrgebiet, Bergisches Land) nennt man den Wasserhahn auch Wasserkran. In der Schweiz existiert die Bezeichnung Wasserhahnen, in Österreich Wasserpipe.[1]
nur durch die Art des Vorlesens einen anderen Sinngehalt zu geben, oder Informationen hinzuzufügen, oder zu entfernen. Es wird kaum gelingen.
 

Es ist reichlich albern, einen rein deskriptiven Sachtext mit Musik zu vergleichen.
Auch mit einem Gedicht etc. wird das Ergebnis kaum anders ausfallen.

Wie gesagt - die Analogie Sprache-Musik hat ihre Grenzen.

Was beide vielleicht gemein haben:

Es gab Leute, die schrieben viel gute Literatur, und andere, die erreichten weniger Qualität und Quantität auf diesem Gebiet.

Und die einen können ein Gedicht verständlich und angenehm vortragen, auch in einer Fremdsprache, und andere vielleicht weniger.
 
Schön ist auch:

„Was willst du schon wieder?“

„Was, willst du schon wieder?“

Betonungen können auch Beziehungen retten.
 
Je nach Temperament kann der Pianist den Zuhörern zeigen, wie anstrenged das Spielen ist. Nach Schiller:
"Von der Stirne heiß
rennen muss der Schweiß,
soll das Werk den Meister loben..."

Bei schönen Stellen glücklich lächeln, die Augen schließen und zur Saaldecke schielen -
"...doch der Segen kommt von oben".

Oder man kann es wie Horowitz halten und nur die Finger über die Tasten gleiten lassen.

Auch Dirigenten können ja hopsen und begeistert aus der Haut fahren oder nur mit knappen Gesten das Orchester leiten. Die Musik klingt in beiden Fällen gleich.
 
Was bei mir ein bisschen Fremdscham auslöst ist sowas:

 

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