Körperbewegungen beim Klavierspielen

T

Tastimo

Guest
Es gibt dazu zwar bereits einen Faden von 2010, dort wird das Thema aber eher deskriptiv abgehandelt.

Meine Frage an euch geht in eine funktionale Richtung:

Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Meinungen zum Bewegen des Körpers beim Klavierspielen. Die eine besagt, dass Körperbewegungen den musikalischen Fluss unterstützen, die andere geht davon aus, dass Energie, die in Körperbewegungen geleitet wird, eben nicht beim Klang ankommt.
Mir ist klar, dass es immer eine Frage des richtigen Maßes ist und dass Bewegungen, die sich aus dem Spielen heraus natürlicherweise ergeben, gut und gewünscht sind.

Wie aber sieht es mit Bewegungen aus, die forciert sind? Also Bewegungen, die nicht Folge des Klangwillens sind, sondern den ganzen Körper, fast wie beim Tanzen, mitnehmen?
Beispiele:
- Tremolo-Passagen, deren rhythmische Stabilität man wie ein Rock-Musiker durch „Head-Banging“ unterstützt?
- rhythmisches Bewegen des Fußes beim
Spielen
- Extrembeispiel: Keith Jarrett, der teilweise im Stehen spielt und fast tanzt.
 
Ich bin der Meinung, dass man zum Spielen ein sehr geschultes Körperbewusstsein braucht. Das haben viele Menschen nicht bzw. entwickeln es erst über Jahre.

Wenn dieses Körperbewusstsein schließlich vorhanden ist, kann man den Körper tun lassen, was er tut - eher still sitzen, oder eher bewegen. Dann kann man nämlich genau hinfühlen, ob er das aus einer (störenden) Gewohnheit tut, ob das eine Kompensation oder Bewegung aus Anspannung ist, oder nicht. Und entsprechend Ungünstiges lassen oder verändern, und Günstiges kultivieren.
 
Grundsätzlich gilt: Körperbewegungen sollten stets so beschaffen sein, dass sie so zweckmäßig wie möglich sind, um den Klangwillen zu realisieren. Außerdem (Rückkopplungs-Schleife) sollte der Körper so offen und frei beweglich sein, dass die entstehende Schallwelle wiederum Auswirkungen auf die Beschaffenheit der Bewegung hat (Bewegung -> Klang darf keine "Einbahnstraße" sein!).

Zudem ist zu ergänzen, dass Bewegungen nie "ruckartig" sein sollten und stets "umkehrbar" (das heißt, nie mit nicht mehr kontrollierbarem "Schwung" oder "plumpsend", sondern so, dass man an jedem Punkt der Bewegung die Richtung wechseln könnte, wenn man wollte) sowie durchgehend sein sollten (das heißt, zu keinem Zeitpunkt "stoppt" irgendetwas kurz).

Bewegungen, die nicht zur Klangerzeugung beitragen, sind insofern mindestens überflüssig, oft der obengenannten Zweckmäßigkeit sogar abträglich.

Headbangende Rocker oder Keith Jarrett oder Glenn Gould sind Musiker, die TROTZDEM sehr geil spielen, nicht DESWEGEN. Da insbesondere junge Leute leicht der Verführung erliegen, sich Gehampel anzugewöhnen, weil a) das Gehampel sich für den Spieler so ANFÜHLT, als könne er auf diese Weise emotionaler und ausdrucksvoller spielen (oder als brauche er gar das Gehampel, um ausreichend "aus dem Quark zu kommen") und b) Gehampel beim vorwiegend optisch orientierten Publikum gut ankommt, kann man als KL immer wieder nur appellieren "DON'T!" und mit dem Schüler üben, die Emotion in die Schallwelle zu legen, so dass er das Bedürfnis nach Gehampel schlicht verliert.
 
... man kann probieren, eine schnelle schwierige pianissimo Passage zu spielen und dabei vehement mit dem Kopf wackeln, den Füßen zu trampeln und auf dem Klavierstuhl hopsen - niemand ist damit überfordert, aus diesem Experiment Schlüsse zu ziehen ;-):-D
 
Zuletzt bearbeitet:
... man kann probieren, eine schnelle schwierige pianissimo Passage zu spielen und dabei vehement mit dem Kopf wackeln, den Füßen zu trampeln und auf dem Klavierstuhl Hosen - niemand ist damit überfordert, aus diesem Experiment Schlüsse zu ziehen ;-):-D
Man kann sich Rolfs Beiträge durchlesen, überlegen, wie viele zielführend und sinnvoll sind und wie viele nur ironisches Profilierungsgehabe sind - niemand ist überfordert, aus diesem Experiment Schlüsse zu ziehen!
 
bzgl Tremoli im Liebestod: da gibt es welche im ppp, da gibt es welche die sich mächtig zum f steigern, da gibt es welche am Ende im fff
die Achtel (.H.) im Kopfsatz der Pathétique sind meist piano (nur wenige Takte am Ende der Exposition und der Reprise schreiben forte vor)
 
@rolf
Stimmt, ich streiche in meinem Beitrag das „forte“ und ersetze es durch „markant“.

Aber bei den Wagner/Liszt-Stücken ist ja auf jeden Fall eine Art „Klangwolke“ wichtig, wo man so schnell wie möglich tremolieren soll, oder? Bei Beethoven (Pathetique) ist das Tremolo ja als Achtel im alla-breve notiert.
 
ob streng rhythmisiert oder "mit so vielen Tönen wie möglich" (Liszts Fußnote, Liebestod), für beides gilt, was @hasenbein treffend beschrieben hat:
Zudem ist zu ergänzen, dass Bewegungen nie "ruckartig" sein sollten und stets "umkehrbar" (das heißt, nie mit nicht mehr kontrollierbarem "Schwung" oder "plumpsend", sondern so, dass man an jedem Punkt der Bewegung die Richtung wechseln könnte, wenn man wollte) sowie durchgehend sein sollten (das heißt, zu keinem Zeitpunkt "stoppt" irgendetwas kurz).

Bewegungen, die nicht zur Klangerzeugung beitragen, sind insofern mindestens überflüssig, oft der obengenannten Zweckmäßigkeit sogar abträglich.
 

R. Kratzert, aus dem Buch "Technik des Klavierspiels":
Ich zitiere : Beim Üben folgende Regeln beachten:
"Lassen sie sich innerhalb der jeweils musikalisch gegebenen Zeit für jede Bewegungsvorgang so viel Zeit wie möglich, d.h. reagieren sie immer nur so spät wie möglich und so früh wie nötig!"
 
Auch wenn Rolf ja bekanntermaßen Kratzert-Fan ist und ich auch vieles wirklich gut finde in seinem Buch, so finde ich diese "Regel" unsinnig.

Es gibt überhaupt nicht den geringsten Grund dafür, so eine Regel aufzustellen.

Was ich oben schrieb - durchgehende Bewegung ohne "Stopps", ohne Ruckartiges, umkehrbar - reicht völlig. Irgendwelche Beschleunigungen oder Abbremsungen ergeben sich dann schon aus den konkreten Anforderungen der Stelle.

Die oben zitierte "Regel" hingegen ermutigt den Wenig-Ahnung-Habenden zu "Start-Stopp"-mäßigem Spiel, insbesondere beim langsameren Üben. Schlecht.
 
Zudem ist zu ergänzen, dass Bewegungen nie "ruckartig" sein sollten und stets "umkehrbar" (das heißt, nie mit nicht mehr kontrollierbarem "Schwung" oder "plumpsend", sondern so, dass man an jedem Punkt der Bewegung die Richtung wechseln könnte, wenn man wollte) sowie durchgehend sein sollten (das heißt, zu keinem Zeitpunkt "stoppt" irgendetwas kurz).

...danke für diese Erklärung! Da ich beim Spielen leider immer noch zu Verkrampfungen neige (bzw. den "Muskeltonus" nicht runterbekomme, vor allen Dingen beim Spielen mit dem vierten und fünften Finger) und generell oft "ruckartig" spiele, bzw. mich bewege (Hand-Unterarm), hat mir vor allen Dingen dieser Gedanke ( > durchgehend, umgekehrbar, zu keinem Zeitpunkt "stoppt" irgendetwas) sehr geholfen.
 
Übrigens ist diese Sichtweise auch gut geeignet, bestimmte Grundsätze zu begründen, z.B. dass man nicht zu nah am Klavier sitzen sollte und den Oberarm stets als übergeordneten "Impulsgeber" und "Zusammenfasser" zu benutzen.

Denn wenn ich zu nah dransitze, dann besteht noch größere Gefahr, den Oberarm in senkrechter Stellung "stillzulegen" und die Spielbewegungen nur "ab Ellenbogen" auszuführen. Dadurch entsteht ein "Auf und Ab" - man bumst sozusagen gegen die Taste, wenn man "unten angekommen" ist, beträgt ganz kurz die Geschwindigkeit Null, und dann kehrt man die Bewegung nach oben hin um. Keine durchgehende Bewegung also! Nur mit Beteiligung des Oberarms (und zwar nicht im Sinne von "macht auch mit", sondern als "Chef"!) ist es möglich, die herzustellen - Aufgabe des KL ist, dies dem Schüler zu zeigen. Besonders deutlich wird das beim Spielen von Akkorden und Oktaven.
 
In #1 ging es um Bewegungen, die eher nichts mit zweckmäßiger Ausführung zu tun haben (dass diese mehr hindern als nützen, dürfte klar geworden sein; daran ändern manche extremen subjektiven Mätzchen derjenigen, die zusätzlich zu gekonnten Klavierspiel eine Hampelshow veranstalten können, nichts)

Das Kratzert Zitat hat erstmal nichts mit Gehampel zu tun; fraglich, welchen Nutzen es hier ohne seinen Kontext hat. Was Hasenbeins Oberarm betrifft, so ist dieser den Bodybuildern noch wichtiger als den Klavierspielern ;-) von der Fingerkuppe bis zum Oberkörper sind sieben*) Gelenke beteiligt, also allerhand Muskeln, Sehnen, Nerven. Chef der ganzen Chose ist nicht der Oberarm (man kann ihm befehlen, einen Finger zu bewegen: er wird versagen), sondern das hoffentlich intelligent besiedelte Gelände zwischen Augen und Ohren;-):-D (haust dort ein Esel, dann nützen allerbeste Finger und Superoberarm gar nichts)

Aber damit @hasenbein nicht weinen muss: es kann nicht schaden, diejenigen, die sich ungünstig bewegen, mal auf die Beteiligung des Oberarms und der Schulter aufmerksam zu machen.

Das richtige Sitzen (nicht zu nah, nicht zu hoch) ist conditio sine qua non - aber das umfasst viel mehr! Denn am Klavier sitzen ist kein Ruhezustand: wir haben weder Rücken- noch Armlehnen - sitzen ist ein permanentes balancieren, in Bewegung sein, zahllose Muskeln sind an balancierenden Ausgleichsbewegungen beteiligt. Tatsächlich ungünstig, wiewohl oft genug pianistisch nötig, ist es, beide Füße an den Pedalen zu haben: fürs balancierte sitzen wäre ergonomischer, wenn die Pedale weiter auseinander wären**) Wer auf einem Gymnastikball sitzt und beide Füße als Stützen nutzt, erkennt schnell, dass Füße dicht beieinander labiler ist. Und im Zusammenhang mit dem richtigen, permanent beweglichen Sitzen verweist Kratzert auf ausbalancierte Kopfhaltung (Nackenschmerzen etc rühren gerne daher)
=》 da ist also eine Menge Bewegung vorhanden, ohne dass überhaupt ein Ton angeschlagen ist!
Hebt man die Unterarme an, damit die Finger über die Tasten kommen, ändert sich der Körperschwerpunkt und zusätzliche weitere Muskelarbeit findet statt. Bewegt man via Armen die Hände über den Tasten hin und her, ändert sich weiterhin permanent der Körperschwerpunkt.
Da passiert also ziemlich viel.

Im Fall plötzlicher schneller Armbewegungen (Albeniz, Asturias) hat die gesamte für Bewegungen zuständige Muskulatur Hochkonjunktur: da ist es nicht mehr nur balancieren, sondern wegschnellen (strecken, beugen), Schwungmasse etc müssen "verarbeitet" werden.

...das alles macht man sich gewöhnlich nicht klar, wenn man über Bewegungen (nützliche und zusätzliche) beim Klavierspiel parliert...

Um all das ständig hochkomplex in Bewegung sein und Bewegungen steuern und timen längere Zeit durchhalten zu können, ist zweierlei nötig:
1. trainiert sein dafür (Anfänger haben eher erschöpfte Hände/Arme als Fortgeschrittene) (die Meissner Manufaktur lässt ihre Teller nicht von ungelernten Hilfsarbeitern, sondern von Fachkräften bemalen)
2. so viel Entspannung wie möglich integrieren (momentan nicht benötigte Muskeln lockern!! Z.B. keine Griffe in der Luft fixieren) sich also ständig so locker und geschmeidig bewegen wie nur möglich (dass das nicht jeder auf Anhieb kann, ist halt ärgerlich, aber man kanns peu a peu lernen - im Betrieb werden gut geölte optimierte Maschinen verwendet (idealerweise) und idealerweise versteht das Management was von seiner Arbeit)

...ich hab meine Freude an der scheinbar unsinnigen Analogie Körpermaschine/Fabrik und Denkgehäuse/Management. Wer Rückenweh oder lahme Arme vom klimpern hat, dessen Maschinenpark ist marode oder falsch eingestellt; wer zweckmäßige Bewegungen nicht hinkriegt, dessen Management besteht aus Versagern. ...wenn das Manegement beim Arbeiten zusätzlich Bälle jonglieren kann und wenn der Maschinenpark beim pünktliche optimierten werkeln zusätzlich Tango tanzen kann, ist das ok - wenn Produktion und Vertrieb reibungslos laufen.

____________
*) das abzählen ist immer ein anatomischer Spaß
**) Sitzhöcker, Beine / stabiles, labile Gleichgewicht - Physiksachen einfacher Natur kann jeder nachschauen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Teilnehmer/innen dieses Symposiums,

vielen Dank für die differenzierten Ausführungen.

Eine Frage meines Ausgangs-Posts ist jedoch noch nicht (zumindest nicht direkt) beantwortet:
Wie haltet ihr es mit dem Klopfen des Pulses durch den (linken) Fuß?
Für Anfänger eine beliebte Methode, um den Puls motorisch-spürend zu verinnerlichen, später eine in manchen Kreisen verpönte Angewohnheit.

Bei mir selbst merke ich, dass das gelegentlich automatisch passiert.

Und ich habe einen Musikhochschul-Professor für Klavier erlebt, der das ein ganzes Konzert lang (wenn auch nicht durchgehend) gemacht hat.
 

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