Virtuoses Klavierspiel nur durch Auswendiglernen??

playitagain

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Kann ein virtuoses Klavierspiel eines Stücks, nur durch Auswendiglernen der Noten realisiert werden?
Oder kann ein Stück durch Auswendiglernen generell besser realisiert werden als mit Noten lesen?

https://www.duden.de/rechtschreibung/virtuos

LG
 
Auswendiglernen beinhaltet schon Notenlesen.
 

Ich antworte trotzdem.

Kann ein virtuoses Klavierspiel eines Stücks, nur durch Auswendiglernen der Noten realisiert werden?

Nein.

Oder kann ein Stück durch Auswendiglernen generell besser realisiert werden als mit Noten lesen?

Ja.

Grüße
Häretiker
 
Die Tatsache, dass sehr gute Pianisten (S. Richter, A. Tharaud, ....) gute Konzerte mit Noten und Umblätterer spielen, dass selbst Trifonov, als er vor einiger Zeit in der Philharmonie zu Berlin moderne Konzerte (Strawinsky Schnittke) herausragend MIT Noten und Blätterer gespielt hat beweist wohl, dass Virtuosität oder generell gutes Klavierspiel nicht zwingend mit Auswendigspiel korreliert!
ABER: viele Pianisten fühlen eine stärkere Verbundenheit mit dem Stück, wenn es auswendig gekonnt wird. In manchen Ländern (Osteuropa, Asien) werden Pianisten, die von Noten spielen nicht ernst genommen, da herrscht ein starker Druck.
Zu den Spielregeln auf Wettbewerben gehört es, dass alles (außer eventuell das moderne Pflichtstück) auswendig gespielt wird.
Es gibt also viele Gründe auswendig zu spielen auch zu üben und eine gewisse Fertigkeit darin zu erlangen.
 
Es gibt übrigens auch Pianisten, die ihr Konzert damit beginnen, den Notenständer aus dem Flügel herausnehmen zu lassen, damit das Publikum merkt: „Oh, er/sie spielt auswendig!“

Dirigenten vom Format Karajans oder Bernsteins ließen extra vorm Auftritt einen Notenständer hinstellen, der dann demonstrativ vor Augen des Publikums weggetragen wurde.
Pianisten und Dirigenten sind eben auch nur Menschen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich habe meinen Beitrag aus dem anderen Faden kopiert und füge ihn hier nochmal ein, weil ich diese Gedanken gerne zur Diskussion stellen möchte. Allerdings würde ich es anders formulieren: Das „nur“ impliziert Ausschließlichkeit. Für mich stellt sich eher die Frage, ob Auswendigspiel Virtuosität fördert, also mit hinzukommt zu den Voraussetzungen virtuosen Spiels.

Und dazu von mir ein ganz klares Ja. Denn wer ein Stück auswendig spielen kann, hat es so verinnerlicht, dass er nicht mehr über technische Probleme nachdenken muss. Man sieht das Stück im Ganzen dann sozusagen aus der Vogelperspektive.

Aber ein Stück vor dem Üben auswendig zu lernen (Arcadi Volodos macht das so), wäre mir zu trocken. Ich übe aber ein Stück gerne rein mental, wenn ich es schon technisch beherrsche. Und das fördert auch die Virtuosität.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Denn wer ein Stück auswendig spielen kann, hat es so verinnerlicht, dass er nicht mehr über technische Probleme nachdenken muss. Man sieht das Stück im Ganzen dann sozusagen aus der Vogelperspektive.
Das ist nicht richtig @Tastimo
Wilhelm Backhaus, der was von der Sache verstand, hat berichtet, dass er sich immer wieder erneut mit den rein spieltechnischen Angelegenheiten der Etüde op.10,2 befasst hatte: Noten benötigte er dazu keine!
Auswendig bedeutet noch lange nicht, dass sich alle spieltechnischen Probleme in Wohlgefallen auflösen. Die Sprungsequenz im Mephistowalzer ist fürs musikalisch geschulte Gedächtnis banal, sie im Tempo hinkriegen leider nicht... und diese Stelle (sowie noch ein paar andere) übt jeder akribisch, der diesen "Walzer" vor den Leuten spielt, und zwar nicht wegen Gedächtnisfragen: wer das Stück kann, braucht die Noten nicht, aber immer wieder Training der heiklen Stellen.

Aber abgesehen davon geht's mir wie @Stilblüte : ich verstehe nicht, was hier die Frage ist. (und ich verstehe nicht, wozu man Blabla über "auswendig" benötigt)
 
Möglicherweise meint @playitagain folgendes:
Man setzt sich hochkonzentriert in einen Sessel, liest eine Partitur (kann beim lesen hören, wie es klingen soll, kann dabei spüren, wie es sich anfasst und wie man sich bewegen soll - das alles merkt man sich) und dann setzt man sich ans Instrument und - Heureka! - kanns vortragsreif spielen.

Ja, das gibt es und es ist kein sonderliches Wunder. Aber Anfängern und den meisten Hobbyspielern/Fortgeschrittenen kann man das nicht empfehlen, denn es setzt sehr viel musikalisch und spieltechnisch voraus! Wer über eine virtuose Spieltechnik und musikalisches Verszändnis verfügt, der "lernt" enorm schnell. Und wenn das, was es zu lernen gilt, sich in einem Bereich befindet, wo man mus.-techn. zuhause ist, dann braucht man das Instrument nur noch zum proben.
Schubert/Liszt Ständchen, Schumann/Liszt Widmung, Wagner/Liszt Parsifal, Beethoven op.27,2 und unlängst Mussorgski/Rachmaninov Gopak habe ich nie geübt, sondern gelesen und auswendig gespielt.

Nun gilt dasselbe aber auch für blitzschnelles lernen mit Noten: wer die Voraussetzungen mitbringt, der spielt auch schwierige Sachen nach paarmal Blattspiel vortragsreif ohne Noten.

Das macht keinen Unterschied (wenn die Voraussetzungen gegeben sind)
 
Das ist nicht richtig @Tastimo
Wilhelm Backhaus, der was von der Sache verstand, hat berichtet, dass er sich immer wieder erneut mit den rein spieltechnischen Angelegenheiten der Etüde op.10,2 befasst hatte: Noten benötigte er dazu keine!
Auswendig bedeutet noch lange nicht, dass sich alle spieltechnischen Probleme in Wohlgefallen auflösen. Die Sprungsequenz im Mephistowalzer ist fürs musikalisch geschulte Gedächtnis banal, sie im Tempo hinkriegen leider nicht... und diese Stelle (sowie noch ein paar andere) übt jeder akribisch, der diesen "Walzer" vor den Leuten spielt, und zwar nicht wegen Gedächtnisfragen: wer das Stück kann, braucht die Noten nicht, aber immer wieder Training der heiklen Stellen.

Aber abgesehen davon geht's mir wie @Stilblüte : ich verstehe nicht, was hier die Frage ist. (und ich verstehe nicht, wozu man Blabla über "auswendig" benötigt)
Ja. Auswendigspiel ersetzt nicht das Üben-Müssen.
Aber wer noch nach Noten spielt, wird gar nicht erst in das Stadium, das du beschrieben hast, kommen.
Hinzu kommt, dass Backhaus ja sicherlich mental geübt hat. Und da ist der Blick auf die Noten ebenfalls nicht nötig und sogar hinderlich.
Ich präzisiere noch mal (hatte ich im obigen Beitrag aber auch schon indirekt): Auswendigspiel hilft der Virtuosität.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Wenn mit der Frage gemeint sollte, ob man nur virtuos spielen kann, wenn man das betreffende Stück auswendig spielt, dann ist die Antwort "nein". :003:

Wenn umgekehrt gemeint sein sollte, dass man Virtuosität lernt, indem man auswendig spielt, ist die Antwort leider auch "nein". :003:

Mir ist sehr wichtig, dass ich auswendig spiele, weil ich dann nicht auf irgendwelche Noten starren muss, sondern mich ganz dem Hören und Fühlen samt "ab und zu auf die Tasten schauen" widmen kann. Ich fühle mich mehr mit dem Instrument und dem Stück verbunden und da stören mich die Noten.

Auf der anderen Seite gibt es auch Kammermusik mit virtuosem Klavierpart: die Cesar-Franck-Sonate für Geige und Klavier z.B.. Da hat man in der Regel die Noten vor der Nase und kann trotzdem spielen, hören, verstehen und virtuose Passagen spielen. :) Auch wenn man manche Teile vielleicht auswendig spielt bzw. auf die Tasten schaut. Literatur an zwei Klavieren ist oft auch sehr virtuos und wird ebenso oft mit Noten gespielt.

Beim Auswendig spielen von Sololiteratur muss man sich evtl. mehr absichern und Zeit dafür aufbringen. Aimard sagte mal, dass bei nicht auswendigem Spiel mehr Kapazitäten für andere, wichtige Inhalte vorhanden wären, obwohl gerade er auch ein Verfechter der frühen mentalen Erarbeitung ist.

Den musikalischen Inhalt verstehen und entsprechend zu üben sollte sowieso nicht von auswendigem Spiel abhängen, sondern ist Voraussetzung, um überhaupt ein Stück anhörbar zu interpretieren! Auch technische Schwierigkeiten lassen sich nicht durch auswendiges Spiel lösen, es ist nur hilfreich, weil man dann die Augen nutzen kann, um auf die Tasten zu schauen oder sie zu schließen ("blind" üben).

Sehr lustig fand ich neulich, als Tzimon Barto "La campanella" hervorragend im Konzert spielte und dabei fast die ganze Zeit auf die Noten schaute! :004: Er spielt ja sowieso immer mit Umblätterer. Wie auch Igor Levit bei der 1. Sonate von Schostakowitsch.

Liebe Grüße

chiarina
 

Wenn mit der Frage gemeint sollte, ob man nur virtuos spielen kann, wenn man das betreffende Stück auswendig spielt, dann ist die Antwort "nein". :003:

Wenn umgekehrt gemeint sein sollte, dass man Virtuosität lernt, indem man auswendig spielt, ist die Antwort leider auch "nein". :003:
Sorry, das ist irgendwie dasselbe. :007:
Sonst stimme ich Dir natürlich zu.
Aber es muss natürlich auch gefragt werden, wie man Virtuosität definieren will und sie erreicht (schwierig stelle ich mir vor, Hanon vom Blatt zu üben).:blöd:
 

Lieber Klavirus,

:003: - ich hoffte, der Unterschied wäre klar, der darin besteht, dass man im zweiten Fall technische Virtuosität durch Auswendiges Spiel erst erlangen könnte (s. auch rolf), im ersten Fall die Fähigkeiten schon da sind, aber man Auswendiges Spiel benötigt, um die Fähigkeiten zu realisieren.

Im ersten Fall kann man also bereits virtuos spielen, muss aber auswendig spielen, um evtl. auf die Tasten schauen zu können o.ä.. Im zweiten Fall kann man noch nicht virtuos spielen und erhofft sich von Auswendig spielen entsprechende technische Fähigkeiten. Da hilft aber sehr viel mehr die Beschäftigung mit musikalischem Inhalt, der Klangvorstellung und Umsetzung dieser mit Hilfe von Bewegungen, deren Ablauf korrigiert oder bewusst gemacht wird!

Auswendig spielen zu können ist hilfreich, weil man sich dann ganz auf diese Dinge konzentrieren zu können und nicht noch abhängig von einem Notentext ist. 10,2 auswendig zu können, hilft aber leider nicht, wenn man dort technische Probleme hat. Da muss man anders ansetzen.

Liebe Grüße

chiarina
 
@Stilblüte @rolf und @chiarina
Wie ich das meinte hat vlt @Tastimo gut erfasst als er schrieb

Jemand spielt mit Noten, stelle mir das so vor: Er/Sie liest die Noten vom Blatt und dann folgt die Bewegungsausführung. Ist das oft geübt, quasi wird das virtuos beherrscht, spielt er ja eigentlich motorische Programme nacheinander ab, die seinem Klangwillen entsprechen. Die Notenblätter sind dann ja wohl auch Sicherheit und geben die zeitlichen Startpunkte der motorische Programmen (oder Abläufe) vor.

So und nun spielt jemand auswendig (also ohne Noten vor sich) so müssen die Startimpulse für die motorische Programme von innen her, aus dem Gedächtnis, zum richtigen Zeitpunkt kommen.

Und jetzt frage ich mich eben welche Methode dazu vorteilhafter ist bzw. sein kann ein Stück virtuos vorzutragen: Ohne Noten vor sich, also komplett auswendig oder mit den Noten vor sich.
 
Jemand spielt mit Noten, stelle mir das so vor: Er/Sie liest die Noten vom Blatt und dann folgt die Bewegungsausführung. Ist das oft geübt, quasi wird das virtuos beherrscht, spielt er ja eigentlich motorische Programme nacheinander ab, die seinem Klangwillen entsprechen. Die Notenblätter sind dann ja wohl auch Sicherheit und geben die zeitlichen Startpunkte der motorische Programmen (oder Abläufe) vor.

So und nun spielt jemand auswendig (also ohne Noten vor sich) so müssen die Startimpulse für die motorische Programme von innen her, aus dem Gedächtnis, zum richtigen Zeitpunkt kommen.

!?!???!??!??

Die Impulse sollten immer von innen kommen. Das Blatt Noten ist nicht die Musik. Den Puls musst Du spüren.

Und jetzt frage ich mich eben welche Methode dazu vorteilhafter ist bzw. sein kann ein Stück virtuos vorzutragen: Ohne Noten vor sich, also komplett auswendig oder mit den Noten vor sich.

Vielleicht gibt es da keine Antwort, die für alle gültig ist.

In meinem Falle sind die Noten eine Stütze, eine Orientierungshilfe. Wenn ich - wie so oft - in einem Ensemble spiele, habe ich die Augen zwar auf die Noten gerichtet, aber die Aufmerksamkeit ist bei den Ohren, an den Mitspielern nämlich. Die Noten sind grobe Orientierung.

Und manche Sachen habe ich noch nie nach Noten gespielt, weil ich dazu keine gefunden habe.

Musik macht man mit den Ohren, nicht mit den Augen.

Grüße
Häretiker
 
10,2 auswendig zu können, hilft aber leider nicht, wenn man dort technische Probleme hat. Da muss man anders ansetzen.
Lustig, dass Du gerade 10,2 als Beispiel nennst. Meine KL hat kürzlich festgestellt, dass ich mich für das Spiel von Etüden unabhängiger von Notentext machen solle. Anhand von 10,2 übe ich mich jetzt im Memorieren.
 
Op. 10,2 ist ein wahnsinnig schweres Stück. Da hat wohl der Teufel Chopin die Hand geführt. Und ich höre im Mittelteil immer seine Lachsalven, wenn ich es spiele.
 
Aimard sagte mal, dass bei nicht auswendigem Spiel mehr Kapazitäten für andere, wichtige Inhalte vorhanden wären
das kann ich nicht nachvollziehen.
Umgekehrt wird bei mir ein Schuh draus: nach Noten zu spielen würde bei mir so viel Kapazität binden, dass ich nix mehr auf die Tasten brächte. Der Signalweg ist unzweifelhaft kürzer ohne die sensorische Aufgabe der Augen und die Umsetzung in der CPU in ein Aktionspotenzial.

Das Auswendig- Spielen mag für unterschiedliche Leute unterschiedliche Auswirkungen und Vorteile haben, bei mir ist es definitiv so, dass ich ein Stück überhaupt NUR dann spielen kann, wenn ich es auswendig kann.

Der Hartmut
 
Oder kann ein Stück durch Auswendiglernen generell besser realisiert werden als mit Noten lesen?
1. Wer gut nach Noten spielt, im Stück "aufgeht", wird sowieso nicht an den Noten kleben können, selbst wenn er sie auf dem Pult beläßt, denn es bedarf einer ungezwungenen Spielfreiheit zur Klanggestaltung, wo Noten letztlich nur die Krücke bleiben.

2. Hätte man ewig Zeit und riesige Merkkapazitäten, wäre Auswendigspiel die beste Wahl.

3. Auswendigspiel nimmt viel Angst , aber bringt sie bei manchen Spielern erst so richtig in Anschlag, die Vergessensangst.

4. Partitur ist Teil des Kunstwerks.
Anders als der auch schauspielende Musiker verbleibt der Pianist gestenarm am Instrument, sodass es keinen Grund gibt , die Einheit aus Text, Interpret, Klankkörper und Klangraum zu verkürzen, wenn man die Notwendigkeit der dauerhaften Werkmaterialisation annimmt.

Eigentlich müsste das (befähigte( Publikum ebenso den Text mitverfolgen, um das komplette Kunstwerk zu realisieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hast du was intus, maxe?
Stell dir den Pianisten vor, der eine 20-seitige Beethovensonate (unter anderem) spielt, mit Noten, was für ein Gewurstel!
Außerdem sieht's scheiße aus mit Umblätterer, anders als bei Begleitern, wo der Fokus des Publikums ja auf dem Solisten liegt.
 

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