Takumi - Handwerkliche Perfektion

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17. Okt. 2017
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Ich habe gestern Abend diesen Dokumentarfilm gesehen, der anhand verschiedener Beipiele (Koch, Papierbearbeitung, Schreiner, QA-Endabnahme bei Autos) das Konzept von handwerklicher Perfektion aus japanischer Sicht beschreibt:

https://lexusenthusiast.com/2019/03/20/60000-hour-takumi-documentary-now-available-for-watching/

und habe mir so meine Gedanken darüber gemacht, was das in Bezug auf Klavierbau, speziell auf die Fähigkeiten eines Konzerttechnikers, heißt. Die im Film genannten Beispiele sind schon extrem faszinierend und der Hang zu unfassbarer Perfektion kann einen schon begeistern.

Ich zweifle jedoch daran, dass man als Meisterschreiner (Das ist eines der Beispiele), von den vier Standardwerkzeugen Hammer, Säge, Hobel und Meißel nur eines in seiner Lebenszeit wirklich perfekt beherrschen kann.Es erscheint mir geradezu absurd, wenn ich das mal auf die perfekte Vorbereitung eines Konzertflügels übertrage. Da bräuchte man also jeweils einen Stimmer, einen Intonierer und einen Regulierer, weil nur diese Spezialisten im Ensemble (in diesem Fall also mit geballten 90 Jahren Berufserfahrung) ein wirklich akzeptables Ergebnis bringen können.

In dem Film wird auch sehr explizit der Punkt gemacht, dass es zur Perfektion keinen Shortcut, also keine Abkürzung gibt, sondern nur Üben, Probieren, Verwerfen und Üben, Üben, Üben.

Mich interessiert, wie das hier gesehen wird, speziell im Bereich Klavierbau und Konzerttechnik. In letzterem Bereich ist immer davon die Rede, dass es fast eine Art Geheimwissenschaft ist, die von Meister zu Schüler weitergegeben wird, der Meister den Großteil seiner Fertigkeiten mit "Trial and Error" erworben hat und dass man mindestens 10-12 Jahre braucht, um einigermaßen passabel einen Konzertflügel in überschaubarer Zeit wirklich schön vorzubereiten.

Wir haben heute Technologien zur Verfügung, mit denen es doch eigentlich möglich sein müßte, einen Großteil des "Trial and Errors" zu beseitigen, in dem man diese Technologien zielführend einsetzt.

Beispiel: Heute sind extrem hochauflösende Aufnahmegeräte und gescheite Mikrofone für wenige hundert Euro erhältlich. Gepaart mit Meßinstrumenten sollte es doch möglich ein, eine gute, schöne Stimmung als solche zu erfassen und zu analysieren, sie zu vergleichen mit anderen, weniger schönen Stimmungen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Also in dem Sinne, dass man mal kodifizieren kann, welche 80% einer Stimmung für eine handvoll Spitzentechniker als "Genau so ist es richtig" sind und wie man dies nun als Standard definieren kann.

In der IT gibt es den Ausdruck "Common Body of Knowledge", der in verschiedenen Bereichen kodifiziert, was Stand der Technik ist und wo sich praktisch alle Experten vom Fach einig sind, dass das, was darin enthalten einfach mal richtig und allgemeingültig ist. Etwas Vergleichbares habe ich im Bereich Konzerttechnik nicht gefunden. Ganz im Gegenteil: Es ist unglaublich viel Voodoo und Secret Sauce im Spiel (Einfach mal das Buch 'Grand Obsession' lesen), weil jeder der Experten sich für den einzig Wahren hält und tatsächlich hartes Wissen für sich behält und nur unvollständig oder sogar falsch weitervermittelt. Als Beispiel kann man einen der absoluten Intonierexperten nehmen, der bei einem Spitzenhersteller Kurse anbietet, wo aber genau das nicht gelehrt wird, was in der Praxis vom Experten gemacht wird.

Mich würde interessieren, wer von Euch Ansätze sieht, tatsächlich in der Ausbildung Shortcuts zu finden und zu nutzen und ob und welche Technologien dabei helfen können, schneller gute und reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen.
 
Interessantes Thema. Mich würde hierzu sehr die Meinung von @443hertz interessieren.

Zum Klavierbau kann ich natürlich nichts sagen aber z.B. das:
Da bräuchte man also jeweils einen Stimmer, einen Intonierer und einen Regulierer, weil nur diese Spezialisten im Ensemble (in diesem Fall also mit geballten 90 Jahren Berufserfahrung) ein wirklich akzeptables Ergebnis bringen können.
wird in anderen Handwerksberufen so gehandhabt.

Also in dem Sinne, dass man mal kodifizieren kann, welche 80% einer Stimmung für eine handvoll Spitzentechniker als "Genau so ist es richtig" sind und wie man dies nun als Standard definieren kann.
Ich befürchte fast, dass das im Instrumentenbau nicht möglich ist, da Instrumente, Musiker und Instrumentenbauer und deren (nicht messbare) Klangvorstellungen viel zu individuell sind.
 
Interessantes Thema. Mich würde hierzu sehr die Meinung von @443hertz interessieren.

Zum Klavierbau kann ich natürlich nichts sagen aber z.B. das:
[...]
wird in anderen Handwerksberufen so gehandhabt.

[...]
Ich befürchte fast, dass das im Instrumentenbau nicht möglich ist, da Instrumente, Musiker und Instrumentenbauer und deren (nicht messbare) Klangvorstellungen viel zu individuell sind.

Genauso sehe ich das auch.
Im Zivilberuf bin ich SW-Entwickler. Das funktioniert zwar auch wie ein Handwerk, jedoch gibt es da Falsch und Richtig. Man drück sich dort in Textdateien mit Buchstaben und Zahlen aus. Das ist (in jeder Hinsicht) digital. Das kann man ganz gut mit ebenso digitalen Algorithmen abbilden und verifizieren.

Materialbearbeitung ist nunmal analog. Noch dazu bei Naturwerkstoffen.


Ich arbeite gerne mit Extrembeispielen: Warum sollte ein Jack-of-all-trades (Hans Dampf in allen Gassen) etwas besser können, als jemand (oder gar eine Gruppe von), der es bei einer ganz bestimmten Tätigkeit zur Perfektion gebracht hat?
 
Ich arbeite gerne mit Extrembeispielen: Warum sollte ein Jack-of-all-trades (Hans Dampf in allen Gassen) etwas besser können, als jemand (oder gar eine Gruppe von), der es bei einer ganz bestimmten Tätigkeit zur Perfektion gebracht hat?

Ich hab überhaupt nichts von Jack-of-all-trades gesprochen, ganz im Gegenteil.

Mir geht es um die Frage, ob man einen hohen Level von Perfektion in einem bestimmten Bereich ausschließlich durch die genannten 60000 Stunden und massig "Trial and Error" erreichen kann, oder man diesen gleichen Level nicht auch durch gezielten Einsatz von Technologie, didaktischer Betreuung und verfügbar gemachtem Wissen in deutlich kürzerer Zeit erreichen kann.
 
Mir geht es um die Frage, ob man einen hohen Level von Perfektion in einem bestimmten Bereich ausschließlich durch die genannten 60000 Stunden und massig "Trial and Error" erreichen kann, oder man diesen gleichen Level nicht auch durch gezielten Einsatz von Technologie, didaktischer Betreuung und verfügbar gemachtem Wissen in deutlich kürzerer Zeit erreichen kann.

Der geringste Teil bei manuellen (oder allgemein körperlichen Tätigkeiten) ist Wissen.

Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen.
Nur durch Lesen bildet sich kein Muskelgedächtnis, kein Gefühl oder Gespür.
Jeder wirklich gemachte Fehler brennt sich tiefer ein, als jede gelesene oder gehörte Warnung.
 
oder man diesen gleichen Level nicht auch durch gezielten Einsatz von Technologie, didaktischer Betreuung und verfügbar gemachtem Wissen in deutlich kürzerer Zeit erreichen kann.
Ich glaube nicht (ausgenommen evtl. Instrumentenneubau). Vieles im Handwerk, gerade im Instrumentenbau und Deiner angesprochenen Perfektion ist nicht nur reines Handwerk sondern Handwerkskunst. Für bestimmte Tätigkeiten braucht es einfach sehr viele Stunden Üben, Fehlermachen, Korrigieren, für sich/seine Hände/seinen Körper optimale Bewegungsabläufe finden und das in ständig wechselnden Situationen.
Für mich als Dachdecker sind das: Wetter, Kundenwünsche, Materialien, die Dächer selbst (keines ist wie das andere) und nicht zuletzt Zeit. Für Klaviertechniker stelle ich mir das ähnlich vor: Raumakustik, Kundenwünsche, Instrument, Materialien...

Das alles lässt sich nicht in reine Wissensvermittlung packen. Nicht umsonst sagt man: Die eigentliche Lehre beginnt als Geselle.
 
Na, ich kenne den Spruch mit "Geselle" aus den Handwerksberufen. Und es ist in der Praxis auch so.
Als Lehrling lernt man die theoretischen und praktischen Grundlagen. Bei Dachdeckern sind das Musterstände in Brusthöhe in einer wetterfesten Halle. Kein Klettern, kein Verbiegen, kein Wind, Regen....
Wie man diese Grundlagen dann auf dem Bau umsetzt, ist das eigentlich Schwere und das lernt man erst als Geselle. Als solche gibt es nicht nur in meinem Beruf Koryphäen, die vielen Meistern etwas vormachen, zumindest in Teilgebieten des Handwerks. Das werden mir sicherlich auch einige Klavierbaumeister bestätigen, wenn es um so Sachen wie z.B. Furnieren oder Schellack geht.
 

Als Beispiel kann man einen der absoluten Intonierexperten nehmen, der bei einem Spitzenhersteller Kurse anbietet, wo aber genau das nicht gelehrt wird, was in der Praxis vom Experten gemacht wird.

Dieses Beispiel bekam ich mal von einem eher frustrierten Teilnehmer solcher Kurse erzählt. Leider hatte dieser Teilnehmer für sich die Erkenntnis mitgenommen, dass er sich selbst drum kümmern muss. Das informelle Gespräch suchen. Zugucken/-hören, falls möglich. Das Ergebnis anschauen/-hören und versuchen nachzuvollziehen, was da gemacht worden war.

Trial and Error also letztlich, Talent + Erfahrung. Ein bisschen wie in einer Geheimwissenschaft oder wie bei den ersten "Frei-Maurern", die ihre Kenntnisse im Kathedralenbau auch nur ausgewählten Schülern vermittelten.

Mutmaßung: Schutz der eigenen Zunft bzw. der eigenen Stellung innerhalb der Zunft. Wissen ist Macht bzw. ein volles Auftragsbuch und ein florierender Kontostand. Wer wollte es ihnen verübeln...
 
Trial and Error also letztlich, Talent + Erfahrung. Ein bisschen wie in einer Geheimwissenschaft oder wie bei den ersten "Frei-Maurern", die ihre Kenntnisse im Kathedralenbau auch nur ausgewählten Schülern vermittelten.

Mutmaßung: Schutz der eigenen Zunft bzw. der eigenen Stellung innerhalb der Zunft. Wissen ist Macht bzw. ein volles Auftragsbuch und ein florierender Kontostand. Wer wollte es ihnen verübeln...

Was ist das denn für eine Verschwörungstheorie?

Ich bringe auch grundsätzlich jedex gerne das Programmieren bei.
Aber bei sowas merkt man sehr schnell, wer dafür ein wirklich Verständnis oder sogar Talent mitbringt und wer es nur nach schematischen Regeln lernen will.
Rate mal, aus welchen Kandidaten etwas wird (bei denen es auch Spaß macht, weil recht schnell die Selbständigkeit einsetzt und schlaue Fragen kommen, statt ein Blick wie ein Auto) und wer dann "Berater" wird?
 
Dieses Beispiel bekam ich mal von einem eher frustrierten Teilnehmer solcher Kurse erzählt.

Da muss ich @Sven zustimmen: Verschwörungstheorie.

Ich selber habe jetzt mehrerer solcher Kurse besucht, immer vom BDK (Bund Deutscher Klavierbauer) bei Herstellern organisiert. Ich hatte nie das Gefühl, dass da etwas zurückgehalten wird. Ganz im Gegenteil. Aber die Materie ist halt kompliziert und auch schwer zu packen bzw. schwer in Worte zu fassen. Letztlich hilft da nur herantatsten und ausprobieren. Auch, wenn man gründlich angeleitet wird. Wie sagt man so schön: es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

Mal eine Annekdote aus einem ganz anderen Bereich: hier in der Gegend gab es einen Landgasthof, wo die Wirtin über 40 Jahre gekocht hat, u.a. ein wirklich legendäres Sahneschnitzel. Alle waren sich einig, dass man diese Sahnesoße eigentlich abfüllen und einzeln verkaufen müsste. Die Teller kamen immer wie abgeleckt zurück (meistens waren sie das auch). Nun ist Sahneschnitzel ja keine Raketenwissenschaft. Aber keiner außer dieser Wirtin hat das so hinbekommen. Es haben ja auch Generationen von Aushilfen und Mitarbeitern ihr über die Schulter geschaut und mit genau dem gleichen Equipment versucht, das auch so hinzubekommen, auch nach ihrer Anleitung. Aber man hat immer den Unterschied geschmeckt.
 
Würdest Du Dich ein wenig besser in der Branche auskennen, wüsstest Du, dass das keine Verschwörungstheorie ist, sondern Realität.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich in der Branche besser auskenne als du. Und ich halte es für eine Verschwörungstheorie. Zumindest hier in Deutschland läuft das nicht so. Mag sein, dass es bei den Amerikanern anders ist. Aber da funktioniert ja das ganze System anders.
 
Es gehört einfach viel Erfahrung dazu.
Wenn ich einem Lehrling in Theorie erkläre und in der Praxis zeige, wie Intonation funktioniert, ist das noch lange keine Gewähr dafür, daß Orgelpfeifen nach seiner Bearbeitung alle optimal ansprechen.
Und wenn doch, dann klingt es immer noch nicht so, wie ich mir das vorstelle...
 
Es gehört einfach viel Erfahrung dazu.
Wenn ich einem Lehrling in Theorie erkläre und in der Praxis zeige, wie Intonation funktioniert, ist das noch lange keine Gewähr dafür, daß Orgelpfeifen nach seiner Bearbeitung alle optimal ansprechen.
Und wenn doch, dann klingt es immer noch nicht so, wie ich mir das vorstelle...

Kann es sein, dass der Lehrling schneller hört als du? :-D
Gauf! :017:
 

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