Brahms Intermezzo 117/1

florg

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28. Jan. 2018
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Liebe Clavioten,

seit dem letzten Clavio-Treffen hatte ich endlich den Kopf frei um mich wieder mit dem Intermezzo 117/1 zu beschäftigen, in das ich mich Anfang des Jahre verliebt hatte...
Ich denke ich habe nun eine Basis erreicht auf der ich mich jetzt mehr um die Feinheiten kümmern kann. Dafür erhoffe ich mir einige Tipps von euch ;-)

https://soundcloud.com/florg/brahms-intermezzo-op-117-no-1-20181117-03

Grüße,
florg
 
Lieber florg,

das hat mir sehr gut gefallen! Du musizierst sehr fein, gefühlvoll und klanglich differenziert!

Was aus meiner Sicht überdenkenswert ist, ist die Agogik. Du gehst manchmal sehr nach vorne bzw. dehnst die Zeit sehr (z.B. Takt 8) und es ist die Frage, ob nicht gerade der erste Teil schlichter sein sollte.

Auch beim Übergang zum Piu Adagio frage ich mich, ob das crescendo wirklich so viel sein sollte oder ob es statt der Leidenschaft, die es bei dir ausdrückt, nicht eher nur der Versuch derselben, ein wehmütiges Öffnen o.ä. sein sollte :D.

Beim Piu Adagio ist die Frage, was du für eine Stimmung ausdrücken willst. Soll sie anders sein als vorher? Wie anders genau? Was hat eine Änderung für Folgen für den Klang? Sollte dieser nicht auch dann völlig anders sein? Ich empfinde das Piu Adagio tatsächlich als Betreten einer anderen Welt, vielleicht als entrückt zu bezeichnen. Brahms schreibt im ersten Teil p dolce, hier pp sempre ma molto espressivo. Was bedeutet das für dich?

Dann finde ich sehr interessant, wie du das Piu Adagio gestaltest. Offenbar willst du beispielsweise im ersten Takt die Viertel herausheben oder habe ich das falsch verstanden? Aber natürlich schreibt Brahms über die Oberstimme cresc./decresc.. Das höre ich bei dir gar nicht. Stattdessen ist der Daumen rechts manchmal sehr laut. Möchtest du das? Sollen die Sechzehntel links aufwärts leiser werden, damit die rechte Hand auch im pp mehr Raum hat oder willst du das nicht?

Der 6. Takt des Piu Adagio ist pp und soll sicherlich sehr zurückhaltend und leise gespielt werden. Wieder ein Klangfarbenwechsel, wie ein inneres Echo, ein Innehalten, ein Versenken in sich selbst.

Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung mit diesen Fragen deine Interpretation für dich noch klarer werden lässt!

Vielen Dank für die schöne Einspielung!

chiarina
 
mit dem Intermezzo 117/1 zu beschäftigen, in das ich mich Anfang des Jahre verliebt hatte...

In das habe ich mich auch schon lange verliebt! Irgendwann steht das auch bei mir auf dem Programm.
Mir gefällt Deine Einspielung ebenfalls sehr gut, aber für detaillierte Verbesserungsvorschläge überlasse ich lieber den Spezialisten das Feld.
 
Es ist ein Unterschied zwischen "Agogik" bzw. "rubato" und "unrhythmisch spielen".

Leider überschreiten schon gleich die ersten Melodiephrasen die Grenze zum zweiten.

Es wirkt nicht "ausdrucksvoll", sondern "ungesteuert". Ein bisschen so wie ein Schüler, für den rubato neu ist und der daher mal austestet, wie das so funktioniert...
 
Es wirkt nicht "ausdrucksvoll", sondern "ungesteuert". Ein bisschen so wie ein Schüler, für den rubato neu ist und der daher mal austestet, wie das so funktioniert...

Es wirkt so auf dich. Auf mich nicht. Was noch im Rahmen einer zulässigen Agogik ist und was als unrhythmisch gilt, ist nicht immer klar festzulegen. Sehr viele Interpretationen aus Romantik und Spätromantik sprechen davon. Aber die Auseinandersetzung damit ist wichtig und ebenso, dass man in der Lage ist, es auch anders zu spielen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Überleg mal, wie Du das Rubato von florg beurteilen würdest, wenn er konzertierender Profi wäre.

Du betrachtest das nur deswegen so "gutwillig", weil Du an Amateure niedrigere Maßstäbe anlegst und sie nicht entmutigen willst. OK.

Bei florg ist es nicht nur die "Stärke" des rubato; auch wenn man rubato spielt, erwartet man die Noten innerhalb einer Phrase (zumal bei gleichmäßigen Achteln) zu bestimmten Zeitpunkten, die dann schlüssig wirken, und wenn das nicht so ist, sondern in unerwarteter Weise schwankt, ist das unrhythmisch. So wie hier. (Vergleichbar vielleicht z.B. einem crescendo, das unregelmäßig ansteigt und daher nicht schlüssig, nicht beherrscht wirkt.)
 
Überleg mal, wie Du das Rubato von florg beurteilen würdest, wenn er konzertierender Profi wäre.

Du betrachtest das nur deswegen so "gutwillig", weil Du an Amateure niedrigere Maßstäbe anlegst und sie nicht entmutigen willst. OK.

Bei florg ist es nicht nur die "Stärke" des rubato; auch wenn man rubato spielt, erwartet man die Noten innerhalb einer Phrase (zumal bei gleichmäßigen Achteln) zu bestimmten Zeitpunkten, die dann schlüssig wirken, und wenn das nicht so ist, sondern in unerwarteter Weise schwankt, ist das unrhythmisch. So wie hier. (Vergleichbar vielleicht z.B. einem crescendo, das unregelmäßig ansteigt und daher nicht schlüssig, nicht beherrscht wirkt.)

Wenn florg konzertierender Profi wäre, würde ich sagen: hm...seeehr eigenwilliges rubato, gefällt mir so nicht. :)

In Konzerten begegnet mir allerdings öfters seeehr eigenwilliges rubato, zuletzt im Konzert von Tzimon Barto vor zwei Wochen. Diese Profis überlegen sich das in der Regel sehr genau und würden das nicht als unrhythmisch bezeichnen. Jeder hat so seine eigenen Grenzen, was er als noch zulässige Agogik empfindet und was nicht.

Hier geht es mir darum, das klanglich sehr schöne und persönliche Spiel von florg nicht zu zerstören. Es wäre schade, wenn ich ihn einengen würde und deshalb stelle ich Fragen. Er scheint jemand zu sein - bisher hat er sich ja auch noch gar nicht geäußert :D - , der reflektiert und über das, was er spielt nachdenkt. Bevor ich also mit der Keule komme, will ich wissen, was er dazu denkt, wie viel von seiner Agogik beabsichtigt ist etc..

Ich denke, "Fragen stellen" reicht erstmal. :) Wenn ich sein Spiel so wie du als absolut unrhythmisch empfinden würde, würde ich es sagen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe @chiarina ,

erst einmal viel Dank für deine ausführliche Besprechung. Das gibt mir tatsächlich eine Menge Stoff zum Überlegen, Ausarbeiten und Üben.
Wenn ich deinen Kommentar lese merke ich, dass, nachdem man erst einmal die reine Mechanik bewältigt hat, sich eine ganze Welt eröffnet, in der ich mich erst orientieren muss. Viele der angesprochenen Gestaltungsansätze habe ich mir noch gar nicht genau überlegt, sie entstehen eher spontan. Ich möchte aber genau daran arbeiten.

Wie @hasenbein aber schon erwähnt hat ist auch mir beim Anhören der Aufnahme meine Unsicherheit im Halten des Metrums aufgefallen, die ich beim Spielen (noch) gar nicht bemerkt habe. Das ist wohl das erste womit ich beginnen werde - vermutlich mit dem Metronom!

Wenn ich in 2-3 Wochen Fortschritte mache lass ich wieder von mir hören :bye:
 
OK, wenn die Aufnahme sooo schlimm ist, nehme ich mein "Gefällt mir" zurück;-).

Die späten Intermezzi von Brahms sind wunderbar:super:.
 
Tja, florg... da hast Du es, so sind sehr viele Lehrer.

Sie meinen, Dir ihre wirkliche Meinung vorzuenthalten sei besser, weil Du damit nicht umgehen kannst und traurig oder sauer oder demotiviert wirst.

Siehst Du das auch so? Findest Du es doof, dass ich rausgehauen habe, was Profis über Dein Rubato denken, anstatt auch so was zu schreiben wie "Mensch, echt gut, vielleicht könntest Du noch ein paar Kleinigkeiten anders machen"? Bin ich dadurch in Deinen Augen unpädagogisch oder menschlich fragwürdig?

LG,
Hasenbein
 
Findest Du es doof, dass ich rausgehauen habe, was Profis über Dein Rubato denken, anstatt auch so was zu schreiben wie "Mensch, echt gut, vielleicht könntest Du noch ein paar Kleinigkeiten anders machen"? Bin ich dadurch in Deinen Augen unpädagogisch oder menschlich fragwürdig?

Aber bester hasenbein,
wirst du etwa unsicher? :lol:

Aber im Ernst: wieso sollte es nur eine "beste" Art des Feedbacks geben? Die Person, die sich die Einspielung anhört, ist doch auch immer eine andere, seien es nun Lehrer oder nicht?

Du hast diese Einspielung mit anderen Ohren gehört als ich. Dich hat offensichtlich sofort das Ausmaß der Agogik bzw. unrhythmisches Spiel gestört, also hast du darauf den Fokus gelegt.

Ich finde das völlig in Ordnung.

Ich habe aber etwas anderes erwartet, als florg hier eingestellt hat und war sehr positiv überrascht von der Klangdifferenzierung und seinem gefühlvollen Spiel. Deshalb habe ich genau das auch als Erstes gesagt. Nicht weil ich ja immer so nett bin und keinen verletzten will (Interpretation deinerseits :D), sondern weil es genau authentisch mein erster Eindruck war.

Als zweites dann mein Hinweis auf die Agogik. Wie man das nun genau formuliert, ist auch eine Sache der Persönlichkeit - ich stelle grundsätzlich gern Fragen, stelle mich erstmal zurück und will wissen, was der andere hört, weiß, sich überlegt hat etc..

Du haust gern einen raus - in Ordnung! Ich lasse nicht locker und fordere den Schüler heraus, Stellung zu beziehen - kann auch unangenehm sein, wenn's dir jetzt darum geht. :)

Es ist totaler Quatsch, zu denken, jeder Lehrer müsse sein Feedback so geben wie alle andern. Du hast deine Qualitäten und ich hab meine. :)

Liebe Grüße

chiarina
 

Lieber @hasenbein ,

Gegenstand deiner rauh - , äh hasenbeinigen Kritik zu werden ist ein kalkuliertes Risiko dem ich mich hier wissentlich ausgesetzt habe, denn ich habe ja ausdrücklich darum gebeten.
Und ich bin sicher, dass Du Deinen Klavierschülern auch die zweite Hälfte verrätst, die aus der Kritik eine konstruktive macht. ;-)
 
Hallo Florg,
ich bin sehr angetan von deiner Interpretation! Das Abschmecken des Klanglichen in diesem Stück, Melodielinie, Bässe, noch bisweilen ein paar Girlanden drumrum: das ist keineswegs eine triviale Aufgabe. Das kriegst du - meistens- gut hin.
Das Rubato klingt schon ein bisschen zerzaust, aber auch nicht ganz unmöglich. Ich könnte mir denken, dass Brahms es schlichter gewollt hätte: als Motto über dem Stück steht ja ein Zitat aus Herders V o l k s l i e d e r n .
( P. S. und im im Vertrauen, wenn du es nicht weitersagst: lasst dich nicht kirremachen von dem einen oder anderen hier, der sein Profitum wie eine Monstranz vor sich herträgt: wir sind alle Schüler, ein paar haben eben früher angefangen....)
Wie chiarina klingt mir der es- moll-Teil nicht gegensätzlich genug. Brahms hat ja auch diese abgrundtiefe Düsternis, davon höre ich hier zu wenig: Tempobezeichnung ist ja Piu Agagio, außerdem steht pp sempre e molto espressivo ( ist das nun ein Gegensatzpaar oder nicht ?) Fragen über Fragen.
Clara Schumann: " Aber die geistige Technik darin verlangt ein feines Verständnis...". Ich finde, dass du dem ziemlich nahe gekommen bist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie chiarina klingt mir der es- moll-Teil nicht gegensätzlich genug. Brahms hat ja auch diese abgrundtiefe Düsternis, davon höre ich hier zu wenig: Tempobezeichnung ist ja Piu Agagio, außerdem steht pp sempre e molto espressivo ( ist das nun ein Gegensatzpaar oder nicht ?) Fragen über Fragen.

Lieber walsroderpianist,

ich freu mich, dass du das auch so siehst! Aber eine Frage: ich kenne nur pp sempre ma molto espressivo. Sowohl in meiner Henle-Ausgabe als auch allen Ausgaben bei imslp. Wo steht denn e molto espressivo?

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe chiarina: da hast du vollkommen recht. Habe ich mich vertan.
Die Aufgabe , die nach meiner Meinung hier Brahms dem Spieler stellt, ist im pp ein espressivo zu erzeugen, das doch normalerweise (?) eher ein intensiviertes p verlangt.
 
Gauf,

hat @hasenbein hier schon mal eine eigene Aufnahme eingestellt?
Wäre sehr dankbar für einen Link, falls es einen geben sollte. Ich bin ein gefürchteter, anerkannter Kritiker...

Gauf!
 
Nein und es bedarf auch keiner eigenen Einspielung, um andere zu beurteilen! Entsprechende Aufforderungen sind bitte zu unterlassen.
 
Ich finde das rubato (oder rit.?) an manchen Stellen immer noch nicht schlüssig. Beispielsweise die Stelle Sek. 36-40, erst langsamer werdend, dann plötzlich wieder zwei schnellere Achtel, dann wieder langsamer, das Ende extrem verzögert. Ende der ersten Phrase (um sek. 20 herum) finde ich besser umgesetzt.
Ich habe eh keine Ahnung und das kann auch alles richtig gespielt sein aber mich hat es beim Hören gestört.
 
Ganz genau, Peter - das empfindet man "instinktiv", auch ohne "Experte" zu sein, dass das nicht schlüssig ist.

Florg ist da sicherlich ernsthaft genug bei der Sache, um weiterzuforschen und ein Gefühl für das schlüssige Rubato zu bekommen. Allerdings vermute ich sehr, dass es auch technische Gründe hat. Fasse ich die größeren rhythmischen Einheiten wirklich durch übergeordnete "zusammenfassende Bewegungen" (J. Gat) des ganzen Arms zusammen, so können bestimmte plötzliche unpassende Abweichungen gar nicht entstehen, weil der übergeordnete Fluss sich sozusagen den untergeordneten Fingern "aufzwingt". Ich vermute, dass Florg deutlich zu fingerzentriert am Werk ist.

Generell muss für bestimmte Benutzer hier immer wieder drauf hingewiesen werden: Ja, es gibt stets verschiedene Möglichkeiten, etwas zu spielen. Ja, es jst wichtig, seinen persönlichen Zugang zu finden. Nein, nicht alles, was man so treibt, ist jedoch deswegen "valide". In der heutigen Zeit des Relativismus und Egalitarismus wird das oft nicht gesehen sondern es wird dumm gegiftet: "Das ist halt MEINE (SEINE) Art, hau ab, du Besserwisser und Geschmacksdiktator." Glücklicherweise ist das hier in diesem Thread ja nicht der Fall :-)
 

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