Noten erfassen

  • Ersteller des Themas reymund
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Bei Schülervorspielen von Musikschulen ( oder Privatlehrern ) fliegen mit schöner Regelmäßigkeit diejenigen raus, die sich allein auf das Spielgefühl verlassen. „ War das es2 schon immer da ? Hä ?“ Dann schauen sie hektisch in die Noten und wissen trotzdem nicht wo sie sind. Das Spielgefühl im Konzert ist eben ein anderes als zuhause am heimischen Klavier, da gucken auch keine Leute zu und machen einen nervös.
Wie @barrat schon schrieb: Herr Altenmüller beschreibt was im Gehirn kurz vor dem Spielen von schnellen Noten passiert. Das hat mit dem Erarbeiten von Stücken erstmal wenig zu tun.
Hier wurden für den Threadersteller schon Hinweise gegeben: ja, es wird mit der Zeit besser, und wenn man sich auf der Klaviatur auskennt geht es schneller.
 
Seit den sog. "Libet-Experimenten" in den 70er Jahren ist bekannt, dass sich vor jedweder Handlung ( hier wahrsten Sinn des Wortes) ein neuronales Bereitschaftspotential aufbaut. Bedeutet logischerweise, dass man kognitiv nicht nur die im nächsten Moment zu spielende Passage bereits analysiert hat ( z.B. ein arpeggierender Dominantseptakkord), sondern ihn auch oft genug eingeübt hat, um die motorische Bewegung gespeichert zu haben. Wichtig ist dabei die zeitliche Dimension zu beachten. Wenn jemand erst analysieren muss, was da im Text überhaupt steht, vielleicht nicht einmal einen Begriff eines D7 hat, kann das nicht funktionieren: es entstehen die berühmten Stockungen, oder ein krasses "Rausfliegen". Mentales Üben kann m.E. dazu beitragen, diese Bereitschaftspotentiale "in Bereitschaft" zu halten, funktioniert aber nur, wenn der Text zuvor gut verinnerlicht und häufig wiederholt wurde. Bei guten Vom-Blatt-Spielern sind unzählige Strukturen ständig gegenwärtig und abrufbar, also nicht nur Akkordstrukturen, sondern eben auch typische wiederkehrende Bauelemente, wie Arpeggien, Tonleitern, Albertis, und so fort. Sie brauchen dann faktisch nur aus dem Potential aktualisiert zu werden, weil der Pianist den Text besonders vorausschauend liest, etwas, was Anfängern nach und nach auch erst beigebracht werden muss.
 
. Unter solchen Bedingungen ist das
Nervensystem zu langsam, um die Rückmeldungen von den Sinnesorganen in den Handlungs-
plan miteinzubeziehen. Die schnellsten Reaktionen der Fingermuskulatur nach einem falsch gespielten Ton könnten frühestens nach 150 ms erfolgen und wären für eine Korrektur von raschen
Läufen, von weiten Sprüngen oder von Lagenwechseln viel zu spät.

In der Tat, deshalb speichern gute und erfahrene Musiker nicht Noten, sondern sinnerfüllte Notengruppen!
Also bei der ersten Chopin Etüde nicht rasend schnell c-g-c'-e'-c'-g'-.... ,
sondern ziemlich gemütlich (auch bei Viertel gleich 200) C-Dur, F-Dur, ...
Dass dabei die Folge der einzelnen Noten innerhalb der Notengruppe durch ein - recht aufwändig!! - geübtes motorisches 'Programm' gesteuert wird hat m. W. niemand in Zweifel gezogen!
Aber für das sichere Auswendigspiel zählen eben nicht die einzelnen Noten!
 
Bei guten Vom-Blatt-Spielern sind unzählige Strukturen ständig gegenwärtig und abrufbar, also nicht nur Akkordstrukturen, sondern eben auch typische wiederkehrende Bauelemente, wie Arpeggien, Tonleitern, Albertis, und so fort. Sie brauchen dann faktisch nur aus dem Potential aktualisiert zu werden, weil der Pianist den Text besonders vorausschauend liest, etwas, was

Ja, das stimmt schon bei vielen ordentlichen Blattspielern, bei mir etwa!
Aber es erklärt nicht mal annäherungsweise, warum wirklich gute Blattspieler (und die gibt's eben auch!) gerade auch komplexe Strukturen (Schönberg, Bach Fugen, ...) sehr gut prima Vista spielen können, obwohl die erwähnten Elemente (Tonleiterspiel, ... vertraute Noten- und Griffbilder) bei diesen Werken keine große Rolle spielen!
 
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Man könnte längst Einigkeit erzielt haben, wenn Du [meint @Riesenpraline ] verstehen würdest, dass der von Dir gebrauchte Begriff "motorisches Gedächtnis" definitorisch schlicht etwas Anderes ist als das, wovon Altenmüller spricht. ;-)
Exakt so ist es.

...und wenn man schon pralinig-schlaubergerisch Altenmüller zitiert, sollte man redlicherweise nicht irgendwas aus dem Kontext rupfen... Denn schon in der Einleitung schreibt Altenmüller:

"Musizieren auf hohem Niveau ist eine der anspruchsvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensystems. Die koordinierte Aktivierung zahlreicher Muskelgruppen muss mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision und häufig mit sehr hoher Geschwindigkeit geschehen. Dabei unterliegen die Bewegungen einer ständigen Kontrolle durch das Gehör, durch den Gesichtssinn und durch die Körpereigenwahrnehmung. Die an die Muskulatur vermittelte Kraftdosierung muss bis in die kleinste Nuance genau berechnet werden. Ungeheure Mengen an eingehenden Informationen von Millionen Sinneszellen der Haut, der Gelenke, der Sehnen, der Muskelspindeln, der Augen und des Gehörs werden ständig ausgewertet und in die Planung der neuen Bewegungen miteinbezogen. Musizieren setzt voraus, dass die Bewegungen laufend neu an das gerade entstandene klangliche Ergebnis angepasst werden. Die rasche Integration der eingehenden Information in den aktuellen Handlungsplan ermöglicht erst die befriedigende Realisierung eines zentralnervös als Klang- und Bewegungsvorstellung repräsentierten musikalischen Bewegungsablaufs. Dabei ist das Ziel des Musikers nicht eine mathematisch überpräzise Wiedergabe, sondern ein durch Affekte modulierter „sprechender“ Vortrag, der Gefühle durch emotionale Kommunikation vermitteln kann.
Die neuronalen Grundlagen dieses Vorganges sind bislang erst in Ansätzen verstanden. "
=> ganz offensichtlich ist es eine Irreführung, wenn man aus Altenmüllers Zusammenfassung aus neurowissenschaftlicher Perspektive (die eine hochinteressante und verdienstvolle Arbeit ist) eine neue, andere, innovative neurowissenschaftliche Übungsweise ableiten will und Altenmüllers Text als beweisende Quelle angibt: denn das ist schlichtweg FALSCH. Und das kann man bei Altenmüller nachlesen. peng aus.

...um die Lesemühe abzukürzen, zitiere ich das und markiere die relevanten Passagen:
"5. Eine Neurodidaktik des Übens?
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die neurobiologischen Grundlagen des Übens dargestellt wurden, soll jetzt der Versuch unternommen werden, einige Regeln zum hirnphysiologisch optimierten Üben zu formulieren und den Entwurf einer „Neurodidaktik des Übens“vorzustellen. Allerdings ist große Vorsicht angebracht. Erstens ist das Wissen über den Erwerb musikalischer Fertigkeiten noch sehr unvollständig und der Übertrag aus den Sport- und Bewegungswissenschaften nur in Grenzen möglich. Zweitens wird seit Jahrtausenden geübt, und in den vielen Millionen von Übestunden ist eine riesige Menge an Wissen erworben und von den Lehrern weitergegeben worden. Man denke zum Beispiel an die Traditionen des Klavierspiels, die von Beethoven über Czerny, von Czerny über Liszt und von Liszt über die zahlreichen LisztSchüler, Liszt-Enkelschüler und Urenkelschüler in den Lehrbetrieb unserer Musikhochschulen integriert wurden. Übestrategien, die sich bewährt haben, wurden gepflegt und als Geheimtipps an die Schüler weitergegeben; andere, vielleicht weniger günstige, gerieten in Vergessenheit. Diesem kumulativen empirischen Expertenwissen der Pädagogen als Neurowissenschaftler etwas entgegenzusetzen, fällt schwer. Daher sind die Regeln eher angetan, den erfahrenen Pädagogen in seinem bewährten Vorgehen zu bestärken, als neue Erkenntnisse zu liefern. Die Reihenfolge der sieben Regeln ist von mir nach subjektiv empfundener Wichtigkeit gewählt.
"
Und in der Tat: die sehr schön ausformulierten Regeln (man kann sie auf S.64-65 nachlesen) enthalten nichts neues, d.h. sie enthalten nichts, was nicht schon seit weit über 100 Jahren praktiziert wird! Sie formulieren inhaltlich dasselbe, was die Klavierpädagogik seit der Mitte des 19. Jhs. in der Praxis betreibt (lehrt, anleitet, erklärt) lediglich die Perspektive ist eine andere - letztlich aber bestätigt der Neurowissenschaftler die bisherige Praxis.

zum "Noten erfassen" äussert sich Altenmüller kaum ;-) wozu auch

ABER weil Erkenntnisse der Musikpädagogik (im weitesten Sinn) gerne von Laien angezweifelt werden (sind ja nur Musiklabertastendrücker, keine edlen Naturwissenschaftler), weil so gerne über Equipment und Methoden gelabert wird, weil man auch gerne heraustrompetet, man könne zu jeder Zeit (in jedem Alter) beginnen, benötige kein Talent (weil es sowas angeblich nicht gibt) und werde genauso wie die Profis spielen können, wenn man genug Übungszeit hat --- das alles kann man ja mal aus der Perspektive vom Altenmüller anschauen:
" Musizieren wird in früher Kindheit begonnen und in aller Regel intensiv durchgeführt. Das Nervensystem wird während seiner wichtigsten Wachstumsphasen vor und während der Pubertät stark stimuliert.
Professionelles Musizieren erfordert höchste räumlich-zeitliche Kontrolle zahlreicher neuronaler Systeme und ist daher auf hohe Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung zwingend angewiesen. Dadurch werden Bemarkung der Nervenfasern und synapsche Effizienz gefördert.
Da professionelles Musizieren in jeder Gruppe von Berufsmusikern (Pianisten, Geiger etc.) ähnliche Voraussetzungen mit sich bringt, nämlich früher Beginn des Instrumentalunterrichts, hohe kumulative Lebensübezeit und vergleichbare sensomotorisch-auditive Aktivitäten, können sehr homogene Probandengruppen zusammengestellt werden.
"
...viel Spaß beim effizienten nachholen... ;-);-);-)

Man kann nur hoffen, dass nicht schon wieder idiotisches Blabla über neue/andere/bessere neurowissenschaftliche Übungsmethoden abgesondert wird...
________________________________________

Ach ja, sehr schön auch das hier:
"Um komplizierte Abläufe zu erlernen, beginnt man meist zunächst in langsamem Tempo und steigert die Geschwindigkeit dann nach und nach. Nicht selten gelingt der Übertrag in das schnelle Tempo aber nicht. Die Ursache ist, dass je nach der Natur der zu erlernenden Aufgabe der langsame Bewegungsablauf ein anderes motorisches Programm benötigt als der schnelle. Dies betrifft vornehmlich Bewegungen, bei denen tempoabhängig die angreifenden physikalischen Kräfte sehr unterschiedlich sind. Dazu gehören Sprünge, schnelle Unterarmbewegungen, aber auch rasche große Fingerbewegungen. Diese schnellen ballistischen Bewegungsformen sollten daher schon in einem frühen Stadium in schnellem Tempo geübt werden, wobei es dann eventuell nötig ist, den Bewegungsablauf in einzelne überschaubare Anteile zu zerlegen. Exzellente Beispiele für diese Form des Übens finden sich in den Cortot'schen Ausgaben der Etüden von Frédéric Chopin. "
:-D:-D:-D:-D ...ja, wenn Klimperfritzen seit anno Chopeng erklären "langsam spielen, aber schnell bewegen" (vorausgreifen, blitzschnell) dann ist das bäh-bäh-nix-Wissenschaft. Und dann buhuhu wie gemein kommt der naturwiss. Neuromann und ------ erklärt dasselbe :lol::lol::lol::lol::lol::lol::lol::lol::lol::lol::lol:

(ich hab die Altenmüllerzitate kursiv und nicht in Zitatkästen, damit sie ganz sichbar sind und nicht erst angeklickt werden müssen)
 
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Ergänzend zum super Beitrag von @rolf hier ein Video von Altenmüller: https://www.youtube.com/watch?time_continue=1032&v=UYrP5-UyQhs

Gerade in der letzten Hälfte zeigt er, dass es neben dem motorischen Gedächtnis natürlich auch noch andere Gedächtnisarten gibt. Aus Bequemlichkeit verlinke ich mal ganz frech meinen eigenen Beitrag auf meiner Website, bei dem es unter dem Thema "mentales Üben" genau um diese Gedächtnisarten geht.

Liebe Grüße

chiarina
 
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Zitat von E. Altenmüller:
Musizieren wird in früher Kindheit begonnen und in aller Regel intensiv durchgeführt. Das Nervensystem wird während seiner wichtigsten Wachstumsphasen vor und während der Pubertät stark stimuliert.
Nun kommt einer daher, beginnt mit 69 Jahren Klavier zu lernen, stellt nach einem Jahr die Eingangsfrage, wie er denn flüssiger Notenlesen und nach diesen flüssiger spielen könnte. Auch dazu schrieb Altenmüller etwas, wobei ich die Seite 157 hervorheben möchte.
Wie lernen Senioren?
[...]
Gelten die Gesetze der Neuroplastizität
auch bei älteren Erwachsenen?

https://www.wuerzburg.de/media/www....lastizitaet_beim_musikunterricht_im_alter.pdf
Für mich betrachtet, ab einem gewissen Alter sollte man einfach Abstriche machen, an dem was noch möglich ist zu erlernen und was nicht. @Alter Tastendrücker hatte einige Stichpunkte notiert, wie Noten im Bassschlüssel direkt lesen lernen und Tonleitern. Bei den Tonleitern mach ich bereits Abstriche und beschränke mich vorerst auf die mit 1 bis 2 Vorzeichen. Eine ähnliche Vorgehensweise würde ich auch @reymund empfehlen.
 
@trm vergiß´ H-Dur, denn diese Empfehlung stammt ursprünglich von einem Deppen namens Chopin... keine Ahnung, warum der ausgerechnet Anfänger mit 5 Kreuzen foltern wollte ;-);-)

Vielleicht sollte man ausnahmsweise auf @Riesenpraline hören!;-)

Natürlich muss man zuerst den Notentext erfassen und verstehen, aber das reicht nicht, um das Stück auch wirklich gut spielen zu können. Dafür muss die eigentliche Fähigkeit aufgebaut werden, das Klavier spielen an sich, oder anders gesagt, es muss ein motorisches Gedächtnis erzeugt werden.

Auch wenn es nur die H-Dur-Tonleiter ist, Augen zu und durch!! :-D:lol:
 
Komisch, dass selbst Sechsjährige ohne Notenkenntnisse die H-Dur-Tonleiter spielen können (Alle meine Entchen bis "schwimm" + Leitton) :-D. Aufschreiben kann man sie dann ja immer noch. :)
 
@rolf
Die Wissenschaft auszuschließen ist ebenso töricht wie bekannte empische Resultate zu ignorieren. Es muss ein gesunder Mittelweg gefunden werden.

benötige kein Talent (weil es sowas angeblich nicht gibt)
Immer noch und immer wieder das mit dem "Talent": ist tatsächlich eine veraltete falsche Information die bis zu den 80er Jahren verbreitet waren. Danach kam man darauf, siehe auch Video Altenmüller auch er redet davon, dass ganz einfach die Anzahl der Übestunden ein wesentlicher Faktor für das Können eines Musikers sind. Übrigens analoge Ergebnisse gibt es bei Sportlern.
Punkt und eigentlich sehr logisch und einsichtig.

Siehe Video ab ca. 25:00 Minuten
 
Ich weiss gar nicht was ihr immer habt, man muss doch nur im richtigen Moment die richtige Taste drücken und es klappt mit dem Klavierspielen (hat mein Grossvater früher immer gesagt) :-)
 
Danach kam man darauf, siehe auch Video Altenmüller auch er redet davon, dass ganz einfach die Anzahl der Übestunden ein wesentlicher Faktor für das Können eines Musikers sind.
@playitagain ...entre nous hab ich keinerlei Interesse daran, mich hier (es geht um Noten erfassen...) über den womöglich richtigen oder womöglich falschen Konzeptcharakter des abstrakten Begriffs Begabung ausführlich zu unterhalten (und das gleich gar nicht, wenn wie so oft verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen "argumentiert" wird...) - - um das humorig abzukürzen: ich gehe davon aus, dass du schon ausgewachsen bist :-)
mach´ dieses Experiment:
1. zurück zu Vati und Mutti (ist auch billiger, als selber alles berappen)
2. Unterricht am Klavier nehmen
3. Vati und Mutti müssen ganz dolle positives Feedback geben (wehe, denen geht das Geklimper auf die Nerven, das darf nicht sein)
4. ...und du musst talentlos (gibt´s ja nicht) nicht nur besser, sondern deutlich besser werden als andere
5. ...das bissel Grips, den eigenen Fortschritt auch zu bemerken, müssen wir voraussetzen ;-) und wir müssen voraussetzen, dass du tatsächlich große Fortschritte machst (wie, ist völlig egal, laß dir was sinnvolles einfallen)
6. tjap und dann echt ganz doll viel üben
1.-6. das machste sagnwa 15 Jahre lang
Wenn du dann 7. wie ein Profimusiker Klavierspielen kannst, dann ist das Experiment gelungen und alles wird dir zu deiner gänzlich begabungsfreien Leistung gratulieren, ich auch!! Und die zivilisierte Welt wird dank deines großen gelungenen Experimentes sehr viel Geld sparen, denn jegliche Begabten/Hochbegabtenförderung kann in die Tonne, weg mit der nutzlosen Ausgabe.

(kleiner Tipp: wenn man Altenmüller liest, wird man erstaunliches finden, denn die 11000h sind beileibe nicht plan quantitativ...)
 

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