Hanon - schon wieder - immer noch

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Alter Tastendrücker

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Hallo, ich hab mich hier bei Clavio mal ein bisschen umgeschaut und gesehen, das in ganz unterschiedlichen Threads sehr kontrovers (öfters auch in Form der überaus beliebten Abschweifung vom Thema) über das Lebenswerk von Herrn Hanon geschrieben und gedacht wird.
Zunächst eine kurze Einlassung zu meiner Biographie: ich habe in meinem pianistischen Leben niemals ernsthaft Hanon geübt (aber zuweilen im Unterricht verwendet!?).
Übrigens vor Studienbeginn auch keine Tonleitern geübt, was ich mit viel Nachhole-Arbeit 'bezahlen' musste.
Meine Idee wäre es, hier Meinungen und vor allem Erfahrungen und Übevarianten für die Hanon Übungen zu sammeln (für Fans und Ablehner).
Dazu zunächst eine weitere persönliche Anmerkung: gutes Klavierspiel hat m. E. durchaus eine sportliche Komponente, die auszuleben nicht nur in einem gewissen Alter (männlich 12 - 17 Jahre) auch durchaus motivierend und sogar für eine weitere Entwicklung förderlich sein kann.
Ich habe die 'Wettbewerbe' in bestimmten Klassen der Hochschulen (wer hat die schnellsten Oktaven, ...) noch nicht ganz vergessen.
Hanon mag da trotz oder wegen der sensationellen Primitivität der Übungen ein Mittel sein!
Das Vorwort von Hanon selbst ist übrigens in seiner völligen Realitätsferne ein Spaß für sich!
Hat übrigens irgendjemand die Ubungen jenseits von Nr. 40 geübt?
Dass Hanon allenfalls auf eine gewisse Art der Fingertechnik hin konzipiert ist und die Neuerungen von Chopin und Liszt, ....
nicht vorbereitet müsste vielleicht noch erwähnt werden.
 
Ich habe mit der Querflöte ein paar dusselige Übungen gemacht, deren Sinn ich nie ganz begriffen habe. Damals hab ich das als junger Mensch ohne das zu hinterfragen hingenommen.

Bei Hanon geht mir das 30 Jahre später ähnlich, ich kann den Sinn der Übungen nicht immer erkennen. Wenn ich ein schön klingendes Stück habe und da eine verzwickte Stelle immer wieder übe, dann kommt da am Ende etwas schönes raus. Den Hanon braucht man nicht üben, das probiert man zwei, dreimal, dann klappts und dann nudelt man denn da in 20 Wiederholungen durch. Wozu?? Schön klingen tut der nicht. Klappt damit die Stelle im schönen Stück besser? Kaum, denn die hat naturgemäß ganz andere Notenfolgen. Auf saubere Fingersätze, sauberen Ansatz etc. kann man sich auch ohne Hanon konzentrieren.

Mir ist als Klavier Spätanfänger und zeitlich limitierter Familienvater die Zeit auch irgendwie zu schade für so einen Kram. Wenn ich nach zwei Wochen einen Bach spielen kann, ist mir das lieber, als wenn ich für den Bach vier Wochen brauch, weil ich die Hälfte der Zeit Hanon geübt habe. Bachs Etüden sind ja auch zum üben da, aber die hören sich im Gegensatz zu Hanon wenigstens nach etwas an. Selbiges gilt übrigens für Tonleitern. Läufe kommen bei Bach in den Stücken ohne Ende vor, warum muss ich die dann separat als Tonleiter üben?

Aber vielleicht belehrt mich ja ein Profi eines besseren...
 
Ich musste zu Beginn meines Klavierunterrichts Hanon spielen und habe es gehasst. Jetzt, 26 Jahre später, steht Hanon für mich als tumbe Gymnastikübung, ist überhaupt nicht interessant und hat mit Musik machen nichts zu tun. Ich habe damals wie heute gerne zwischendurch auch mal tonleitern geübt oder mir kleine etüden selbst erfunden. Das hat viel mehr Spaß gemacht und ich glaube, mir auch mehr gebracht. Ich bin jetzt nicht der riesen etüden-yunkee, habe aber durchaus auch gerne mal Cramer oder Czerny gespielt. Da finde ich, kann Hanon jedoch nicht mithalten. Bei Hanon kann man vorher sein Hirn zur Generalüberholung abgeben, dann tut es auch nicht so weh ...
 
Wenn ich mich richtig erinnere, war Hanon eines der erste Bücher, das der KL anschaffen ließ. Ich erinnere mich dunkel, als Totalanfänger ein paar Übungen "gemacht" zu haben. Danach ließ der KL Hanon nie wieder raus kramen. Ich weiß nicht, was er damit überzaupt bezweckte, vielleicht ein wenig Finger üben.

Als ich wieder anfing, habe ich mir Hanon noch mal angeschaut. Ich fand die Übungen abtörnend und, wenn ich ganz ehrlich bin, sahen sie mir auch zu schwer aus. Also hab ich's gelassen, aber: Wenn Hanon als zumindest anerkannter Musikpädagoge sagt, dass die Übungen einen fit machen für Größeres, wird da schon irgendwas dran sein. Aber das ist der pädagogische Ansatz von Prügelstrafe und Matrosenanzug. Wer nicht übt, kriegt auf die Finger.
 
Wenn Hanon als zumindest anerkannter Musikpädagoge sagt, dass die Übungen einen fit machen für Größeres, wird da schon irgendwas dran sein.

Hanon "anerkannter Musikpädagoge"??
Sowas gab's damals noch nicht!
Damals gab es in Paris Klaviermanufakturen, die einen Ausbildungsbetrieb für "Klaviervirtuosen" dran hängen hatten. Auf etwa 10 Klavieren haben dann - der Lehrer dirigierte - 10 "angehende Pianisten" parallel diese Übungen gespielt!
Das war Musikpädagogik!
Deshalb waren die wenigen guten Lehrer (allen voran der Lisztfranz) so gesucht!
 
Ich sag dir, warum das Ding erfolgreich ist: Es verspricht soliden Fortschritt ohne echten Einsatz des Denkorgans. Womit der Beweis geschaffen wäre, dass das aktuelle Gesellschaftsproblem, sich für positive Gefühle nicht mehr anstrengen zu wollen, schon früher existiert hat (warum auch nicht...).

Jeden Tag eine Stunde Fingergymnasik, und die Finger lernen das Klavierspielen fast von allein. Dass dieser Schwachsinn nicht auszurotten ist, kann man sogar an der aktuellen Politik ablesen: Sobald man eine Causa identifiziert hat, die schuld (negativ) oder ursächlich (positiv - nämlich für Fortschritt) ist, kann man sich entspannt zurücklehnen.

Fast immer sind die Zusammenhänge komplexer, als man auf den ersten Blick meint. Heißt im Umkehrschluss: Primitive Lösungen sind entweder nur gut erklärt (und ergo eben doch nicht primitiv) oder haben einen gewaltigen Haken (zumeist nämlich den, dass sie keine Lösung sind oder nur eine, die mittelfristig nach Hinten losgeht und das Problem verschlimmert).

Ungeachtet dessen kann man auch an der langweiligsten Fingerübung etwas lernen, wenn man sie sinnvoll ausführt. Man kann sich aber auch gleich eine suchen, die gut klingt.
 
Ach egal ...
 
Ich sag's mal so - eine ödere als Hanon konnte ich bisher noch nicht finden.

Mir wurden vor etwa 10 Jahren Cramer-Bülow-Etüden ans Herz gelegt, von denen ich ein paar gespielt habe. Zu unterscheiden wären noch Etüden (also Stücke) und Übungen (wie z.B. die von Brahms oder Cortot). Beide sollte man musikalisch ausführen, aber letzere habe keinen eigenen musikalischen Gehalt, sondern sind dazu da, das motorische Bewegungsrepertoire zu erweitern - unter Berücksichtigung des musikalischen Einmaleins.

Ich bin bisher kein Verfechter der Etüden allgemein gewesen. Vielleicht ändert sich das noch, wenn größere Schülerzahlen an mir vorübergegangen sind. Ich hab das Klavierspielen überwiegend ohne Etüden gelernt, bin aber dafür auch kein besonderer Virtuose geworden.
 

@Stilblüte : Endlich jemand, der es mit etüden hier so sieht wie ich... man kann das doch alles anhand von Literatur lernen.... Hanon spiele ich immer nur Nr.1 zum aufwärmen, das war's. Bei meinem ersten Lehrer musste ich Czerny spielen, Cramer-Bülow usw, ich habe es gehasst! Meine zweite Lehrerin, bei der ich erst mit knapp 20 Jahren anfing, sagte sie halte davon nicht viel, wir sollten die schweren Stellen anhand der Literatur erarbeiten. Und Musikalität, das worauf es ankommt, kann man mit etüden eh nicht lernen....
 
Ich hab die Hanon No. 1 gespielt. Nutze sie auch noch regelmäßig. Dabei halte ich es wie andere hier bereits andeuteten auch so, dass ich die, (im Grunde) stupide Iteration nutze um andere Sachen anzubahnen, zu trainieren etc.

Das bricht die Monotonie auf. (Monotonie und Üben ist sowieso ein Widerspruch in sich.)

Was mir spontan einfällt zu was man Hanon bzw. (jedes überschaubare Muster) nutzen kann:

- Transponieren
- Unabhängigkeit der Hände (zu welchem Zweck ich eine Hand Hanon spielen lasse und die andere dann mit Oktavsprüngen oder Akkorden drüber springen lasse.)

Hier kann man ganz gut "abbrüfen" wie (schon wieder das Wort) unbewusst, also verinnerlicht die Hanon Hand läuft, während der Ausführende denkt die Sprünge seien das wichtige in dieser Übung.

- Ausdauer und Geschwindigkeit, auch wenn das fast keine Aussageraft hat und man beim der erst besten anderen Tonfolge "aus der Kurve fliegt". Aber hier kann man dann auch schön sehen´ wenn eine "Unwucht" da ist kommt dann ggf. zu Punkt:

- Sensibilisierung der Motorik und Eichen/Eichung? (Nicht so treffend gewählt, aber mir fiel nichts anderes ein).
Das kam nicht mal von mir (sondern einem Schüler) denn, auch wenn ich (generell alles) zusätzlich blind spielen lasse, der meinte es sei seine präferierte Übung, "weil man da am besten drauf achten kann seine Finger auf den Tasten zu lassen."

Wenn ein Finger bspw. der 4. schwächer ist, kann man mit Betonungen arbeiten und generell somit trainieren jeden Finger "distinguiert" und unabhängig benutzen zu können.

Das muss man aber erst mal wahrnehmen sprich "eine Verbindung" zum Ringfinger her zu stellen (bspw.). Dann spielt man jeweils mit einer Betonung und lässt geht von der taktil - motorischen Ebene in einen anderen Fokus, indem man die "rhythmische Veränderung" als primären Anker der Wahrnehmung nimmt.

Somit, zumindest bilde ich mir das ein, habe ich ein paar Fliegen mit einer Klappe geschlagen und durch einen Wechsel der (ich hasse es wenn es so scheinwissenschaftlich - / esoterisch klingt), profiliere ich nicht nur das "mehrdimensionale Wahrnehmen" ( *hüstel* ^^) , sondern verinnerliche das zuerst vorsichtig "angebahnte" "ok das ist dein Ringfinger: "Hallo Ringfinger", "Hallo Klavierspieler", während ich im Grunde eine andere Übung mache, die des "Hinhörens" , und des chunkens von (in dem Fall) rhytmischen Mustern. (Die absolute Tonhöhe haben wir ja auch noch, ganz vergessen.)

Ich mag die Vorstellung von Kollagen, von mehreren kognitiven wie sensitiven (?) Ebenen und dem Spielen als irisierendes Mäandern durch diese (Art) Matrix.

Dazu finde ich es wichtig möglichst viele Informationsebenen zu sammeln und zu lernen, dass ich durch sie "durchzappen" kann.


- Improviation mit Akkorden bzw. einer Meldodie.

- Mitsingen von Grundtönen, Einzeltönen (Rhythmus) o.ä.:
Sensibilisiert nicht nur die Stimme sondern portioniert/ordnet/ "hierarchisiert" auch die "erst mal wirre, übermannende Abfolge von ganz vielen Tönen". Im Endeffekt "kommt ne C-Dur Skala raus."
Ist nicht so einfach am Anfang Stimme und Hand voneinander zu trennen bzw. Klavier und Simme zu verbinden.

- "Gimmicks" wie: Hände über Kreuz, Echo l.H. r.H, Wechel der Hände, Stift festhalten, abwechselnd mit Daumen und kleinem Finger. Ob das was bringt ist mir eigentlich egal, ich mag das Gefühl des kalten Bleistiftlacks und fühle mich als großer Zauberer, wenn ich ihn in der Übung mit hoch und runter nehme. *lach*


Hanon 2 ist mir schon zu kompliziert (im Kopf) *lach*, da verhaspel ich mich IMMER.

Ich hab zwar auch so ein Heft geerbt, genau wie hier irgendwo ein zerfledderter Czerny rummausert, aber ob ich da schon mal reingeschaut habe? Ok gelogen, sieht ziemlich schwarz drin aus. ^^


Also man kann als Fazit vielleicht festhalten, dass man nicht die Übung als Gral sehen sollte sondern als, im Grunde, "ganz dankbares" Vehikel dort hin. Zumindest wenn man den Schüler bei der Übung in der Waage zwischen "man kann doch schon ein bisschen was. Fängt unten an unten an und kommt ganz artig und brav oben an" (Selbstwirksamkeit *grusel*) und ("eigentlich ist die Übung für die Füße,) ... aber nicht wenn du ... sing doch mal bitte jeden zweiten Ton mit, jetzt beton ihn mit der Stimme... jetzt lass jeden gesungenen Ton unangeschlagen ... etc. etc.


Das coole daran ist, man kann immer und immer wieder von der selben Ausgangssituation ausgehen. So wie man aus Sand ganz viele Formen formen kann und am Ende dienen diese "Sandkasten- Skills" dann dem Bäcker, dem Tiefbauer, dem Ingenieur, dem Maurer, dem Künstler, dem Strandburgenbauer mit den Kindern oder dem "nur darauf rum lieger". (Ok umständliche Metapher veilleicht.)

Der Schüler weiß: Ok es ist Sand, das krieg ich gebacken und ich sage: "okay probier mal das Förmchen und, wie wär´s mit Hollundersaftfarbe, ein Steinchen oben drauf?"

Das finde ich das "einzig" gute an der Hanon Übung.
 
Ich hatte früher den Hanon. Jetzt (also nach 40 Jahren) als ich vor anderthalb Jahren wieder anfing,habe ich ihn nicht mehr gefunden und nochmal gekauft.
Ich spiele gerne zum Aufwärmen ein paar Übungen, ich muss da nicht groß nachdenken, es ist für mich fünf Minuten Fingergymnastik, in die ich nicht viel Zeit investieren muss, ich habe den Eindruck, meinen Fingern tut es gut. Ich erwarte von den Übungen auch nichts anderes als das, zur Kreativität regen mich andere Stücke an.
Czerny Schule der Geläufigkeit habe ich auch, empfinde ich aber als komplizierter.

Im Unterricht spiele ich Hanon nicht und auch sonst keine Aufwärmübungen, da wäre mir die Zeit zu schade.
Lg Silvvia
 
Und Musikalität, das worauf es ankommt, kann man mit etüden eh nicht lernen....
Meine Lehrerin hat mit mir damals im Unterricht ca. 10-15 Etüden von Stephen Heller gemacht. Diese legen den Schwerpunkt tatsächlich eher auf Musikalität als auf stupide Geläufigkeit etc. Diese Etüden (op. 46 und op. 47 - es gibt auch noch Etüden op. 45, aber die kenne ich nicht) klingen entsprechend auch nicht wie ganz typische Etüden, sondern schon eher nach Musik. Es sind bestimmt keine Meisterwerke, aber man kann sie hier vielleicht schon mal erwähnen.


View: https://www.youtube.com/watch?v=_ehLq5NgW_Y



View: https://www.youtube.com/watch?v=v0jHs_NxnXw


Abgesehen davon habe ich im Unterricht sehr wenige (unter 5) Etüden von Cramer-Bülow gespielt und wurde mit dem ganzen Rest an Etüdenwerken (Czerny, Hanon etc.) zum Glück komplett verschont.
 
Diese legen den Schwerpunkt tatsächlich eher auf Musikalität als auf stupide Geläufigkeit etc.
"Musikalität" wird hier als Gegensatz zur "stupiden Geläufigkeit" genannt. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die Geläufigkeit ein gesundes Fundament darstellt, um einen musikalischen Ausdruck zu vermitteln. Hanon kann z.B. unterstützen, dass die Hände ruhig und bewegungssparend über die Klaviatur wandern. Das Spielen vom Blatt kann damit ebenfalls geübt werden.

Man sollte allerdings niemand zu Hanon zwingen. Wer es nicht mag, sollte es lassen können.
 
Es gibt schlechtere Möglichkeiten, seine Zeit zu vergeuden.
 
ganz sicher nicht, denn nach spätestens 10 Noten ist das jeweilige Muster durchschaut.
Doch genau deshalb ist es eine gute Brücke. Man durchschaut das Muster, also ist es einfach. Man kann so trainieren, ohne auf die Klaviatur zu schauen, den Noten mit den Augen zu folgen. Spannend wird es nur zum Wechsel der Spielrichtung und am Ende. Der Rest ist "am Ball" bleiben. Man lernt dabei auch, die verschiedene Fingertechnik LH/RH rein haptisch, also ohne optische Kontrolle, zu steuern. Nur ein Vorschlag, wenn jemand damit Probleme hat auf den Noten zu bleiben.

Der nächste Schritt könnte dann der "Mikrokosmos" sein.

Wer Hanon nicht mag, lässt ihn eben weg. Verteufeln muss man ihn aber deswegen nicht, genau so wenig wie TEY. Alles Geschmacksache. :-D
 
Ulkigerweise sind die Hanon-Verfechter in diesem Forum fast ausnahmslos Amateure, gerne ohne KL. Ich sehe da eine erstaunliche Parallele zum mittelalterlichen Flagellantentum. :lol:

Die Wege zum Seelenheil waren und sind offenbar vielfältig.
 
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