Geringschätzung vereinfachter Versionen - eine Deutsche Ideologie?

  • Ersteller des Themas Bernhard Hiller
  • Erstellungsdatum

Ich persönlich spiele keine vereinfachten Varianten von irgendwas, da ich spielerisch mittlerweile weiter bin. Was ich aber schlimm finde, sind diese naserümpfenden quasi-moralischen Wertungen anderer, wenn sich jemand doch dafür entscheidet. Soll doch jeder nach seiner Façon glücklich werden. Und wenn jemand die "Ballade pour Adeline" oder die Heumannsche "Elise" schön findet und gerne spielt - na und, was soll daran schlecht sein? Eventuell wird er/sie später mehr Substanz wollen und dann "richtige" Stücke der klassischen Klavierliteratur spielen. Oder er/sie bleibt halt bei der leichten Kost, auch OK.
 
Es geht mir bei Kindern eher um den "Selbstbeschiss". Man lernt die vereinfachte Version und so ein Klavierschüler glaubt dann, er habe die Elise gespielt. Abgesehen davon, dass natürlich etliche kompositorische Details untergehen (Beethoveen hätte das ja auch einfacher machen können, wenn er es so gewollt hätte), ist das resultierende falsche Selbstbild fatal. Ich erlebe immer mehr Schüler in der Schule, die noch nicht viel erreicht haben, sich aber für die Herrn der Welt halten. Das ist jetzt nicht nur auf Musik beschränkt. Es fehlt die realistische Einschätzung, wo man wirklich steht. Das tut oft nicht gut. Keine Ahnung, ob inziwschen von Eltern, Kindergärten und Grundschulen infltionär gelobt wird. Ich finde, in diesen Problemkreis gehören eben auch die Bearbeitungen.
 
Absolut!

Die Vereinfachungen bestehen ja in der Regel nicht (nur) darin, die technischen Schwierigkeiten zu entschärfen. Oft genug wird nur ein eingängiges Motiv herausgegriffen, aber die gesamte Form vernichtet. Die Elise hat ja zwei Zwischenteile. Das wissen die meisten nicht, und ein Kind mit einer Heumann-Elise macht gar nicht die Erfahrung, dass es Zwischenteile und danach eine Rückführung zum Hauptthema geben kann. Entsprechend beim von mir erwähnten Schulkonzert: Es wurde aus Dvoraks Neunter nur das Thema des zweiten Satzes zweimal gespielt, nochdazu am Keyboard mit Begleitautomatik. Was man alles mit diesem Thema anstellen kann, versteht das Kind nicht.

Naja, im günstigen Fall schaut es auf YouTube und hört sich das Original an. Aber selbst wenn, die Chance, dass es sich am Handy die ganze Sinfonie zu Ende anhört, ist sowieso klein. Schon, weil zwischendurch noch mindestens 10 WhatsApps reinflattern. Naja:
Zitat von Ihr wisst schon:
Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.
;-)
 
Aber betrachten wir mal das Gegenteil: Was ist mit Liszt-Bearbeitungen, die, so mein Eindruck, mitnunter das primäre Ziel verfolgen, ein vorhandenes Musikstück zwecks Angeberei möglichst schwer zu machen. Ist das nun besser, als der umgekehrte Weg?

<ganztiefduckundwegrenn>
 
Aber betrachten wir mal das Gegenteil: Was ist mit Liszt-Bearbeitungen, die, so mein Eindruck, mitnunter das primäre Ziel verfolgen, ein vorhandenes Musikstück zwecks Angeberei möglichst schwer zu machen. Ist das nun besser, als der umgekehrte Weg?

Natürlich ist das Besser, weil damit die Angeben können, die es verdient haben an zu geben. :coolguy:
 
@dilettant ...für den Sänger bedeuten die Lisztschen Liedtranskriptionen eine sogar Heumann toppende Vereinfachung ;-):-D:-D:drink:
 
Hier werden jetzt aber viele Sachen durcheinander geworfen. Geht es jetzt um die Vereinfachung oder generell Bearbeitungen von originalen Klavierwerken oder um Bearbeitungen für das Klavier jeglichen Schwierigkeitsgrades von Orchesterstücken/Liedern/sonstigen klassischen Werken:konfus:?
 

..:lol:
...und deswegen nochmal meine Meinung aus einem anderen Post hier:

Letzte Woche mein AHA-Effekt am fremden Flügel (wichtig, weil ich mich an fremden Instrumenten erstmal schwer tue): mit den Vereinfachungen geht auch für musikalisch minderbemittelte mittelalte Wiedereinsteiger Prima Vista.
Das Gefühl läßt sich kaum beschreiben, SO schön!
 

...eine vereinfachte und verkürzte Version einer WM haben Jogi und seine Buben heuer vorgestellt - find ich prima! Heumannfussball ist super:lol::lol::lol::lol::lol::drink:
Ich hätte gerne mitgemacht und wäre bereit gewesen, für viel weniger Millionen Euro zu verlieren! Das Tor in der Nachspielzeit gegen Schweden war ein Zufallstreffer. Meine Oma hätte den auch reingemacht, ich hätte sie dazu bloß exhumieren müssen, da sie sich gerade mal dreißig Jahre lang die Radieschen von unten angeguckt hat.

LG von Rheinkultur
 
@dilettant ...für den Sänger bedeuten die Lisztschen Liedtranskriptionen eine sogar Heumann toppende Vereinfachung ;-):-D:-D:drink:

Die Erleichterung, die ein Konzertveranstalter verspürt, wenn er für die Symphonie fantastique nur noch einen Pianisten bezahlen muss anstelle eines 80köpfigen Orchesters, die ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Ein Hoch auf erleichternde Versionen!
 
Ich erlebe immer mehr Schüler in der Schule, die noch nicht viel erreicht haben, sich aber für die Herrn der Welt halten.
Das erlebe ich in der Arbeit. Kollegen, die ihr Studium vor Jahrzehnten beendet haben, und seitdem nichts hinzugelernt haben, wollen für jeden Pups als "genial" gelobt werden. Derweil fehlen ihnen konzeptionelle Kenntnisse zu neueren Vorgehensweisen, die im Laufe der letzten gut 30 Jahre in den Mainstream übergegangen sind (in der Software-Entwicklung wohlgemerkt!). Und verstehen es gar nicht, wenn man ihnen zeigt, wie es besser machbar ist...

Wer explizit nach einer "vereinfachten Version" eines Klavierstückes nachfragt, impliziert damit, daß es eine "schwerere Version" - typischerweise die Originalversion - gibt. Er impliziert auch, daß letztere für ihn zu schwer ist. Er könnte also seine Grenzen kennen, wissen daß es noch einiges zu lernen gibt, und sich nicht grad für den Herren der Welt halten.
Aber ganz sicher sein kann man nicht: die fettige Schwabbelmasse, welche den Innenraum des Kopfes ausfüllt, ist bekannt dafür, inkonsequent und inkonsistent, kurzum schizophren zu sein...
 
Als absoluter Anfänger mag ich die vereinfachten Versionen, Flowkey gibt mir ja die Möglichkeit unter verschiedene Versionen zu wählen, ich nehme gerne die gelbe Version nicht die einfachste aber auch nicht schwer.

Mein Klavierhobby wollte ich (selbstlernend) mit Yiruma „River Flows“ beginnen und mir war gleich klar, dass ich die „richtige“ Fassung lernen will (dto. später bei „Le Onde“), aus dem einfachen Grund:

Wieso soll ich denn ein Stück, das mir gefällt, zweimal lernen?

Da spiele ich doch lieber erstmal schöne einfache Originalstücke und vorfreue mich länger auf die schwereren, bis ich eben soweit bin.

Ich möchte niemanden gering schätzen, Stücke vereinfacht zu arrangieren ist sicher eine Kunst für sich, der Respekt gebührt, aber:

ich will halt einfach lieber Originale spielen. Punkt.

Vergleich: River Flows in You
Easy:
Advanced:

Vergleich: Le Onde
Original:
Einfach:
 

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