Geringschätzung vereinfachter Versionen - eine Deutsche Ideologie?

  • Ersteller des Themas Bernhard Hiller
  • Erstellungsdatum

Chopin-Verdikts, dass die leichteste Tonart H-Dur sei, weil sie der Fingerlage und differenten Längen entspricht.
Interessante Idee. Bis auf E und H alles auf den schwarzen Tasten, und bei diesen beiden würde man nicht auf einer schwarzen Taste landen, wenn man einen Halbtonschritt nach oben geht. Das erscheint durchaus plausibel.

Schuberts herrliches Ges-Dur Impromptu hat zeitweise epidemisch in G-Dur (!) ganze Landstriche heimgesucht.
Mal abgesehen von einer einer Dur-und-Moll-Verschiebung wie ich sie oben machte, was spricht gegen Ges-Dur -> G-Dur? Auf gleichstufig gestimmten Instrumenten ergibt sich so gut wie kein Klangunterschied allein aus der Transposition. Etwa eine größere Schwierigkeit? Oder wohl eher andere Veränderungen, die dabei vorgenommen wurden?
 
Konzept der vereinfachten Schul-Lektüren ...so ätzend langweilig! Unglaublich viel geht sprachlich verloren
Ich las mal vor langer Zeit eine sehr vereinfachte Version des Don Quijote. Selbst diese Version führte mir vor Augen, daß dieser Cervantes über eine Sprachgewalt verfügt, die auch Profis so nicht übersetzen können.
So gesehen: wer eine Übersetzung eines literarischen Werkes liest, liest auch nur eine vereinfachte Version. Aber besser, als sich das Erlebnis ganz entgehen zu lassen!
 
Machen wir mal weiter: zur Zeit der Romantik entwickelte sich eine Musikerkaste, die Musik so betrieb, wie Spitzensportler heute den Sport: höher, weiter, schneller => möglichst unspielbar schwierig.

Nix neues. Bachs Triosonaten galten auch lange Zeit als 'unspielbar'.

Es gibt auch in der Romantik wahrscheimlich mehr Stücke, die für einen Durchschnittspianiosten machbar sind, als der Einzelne Zeit hat in seinem Leben.

Ob die vielen Vorzeichen der Lisztigen Glöckchen-Sonate sie nun tatsächlich schwieriger machen, als wenn sie in C-Dur vorzeichenlos wäre, sei dahingestellt - ich weiß es nicht.

Also, wenn ich frei improvisiere, dann gerne in Tonarten wie As oder Es. Finde ich einfacher zu greifen. C-Dur ist nicht zwangsläufig am leichtesten zu greifen.

Ergänzung:
Es gibt keine schweren Tonarten. Nur welche, die man noch nicht genug geübt hat. :-)

Man kann die Alpen zu Fuße erkunden. Ist schön, macht Spaß. Man kann dort mit dem Gleitschirm fliegen, und - wie wir in einem anderen Thread alltäglich zu sehen bekommen - übersteigt das die Erlebniswelt des Bergwanderns erheblich.

Man tauscht die kleinen Details (Blumen, Käfer, Bachrauschen, Flechten, krumm gewachsene Bäume, ...) gegen bombastische Fernsicht und Aussicht. Ist für mich einfach eine andere Wahrnehmung.

Schon auf dem Fahrrad ist die Wahrnehmung unterschiedlich.

Warum habt ihr da nicht die gleichen Hemmungen?

Aus oben genannten Gründen für mich ein schlechter Vergleich. :-)


Eher so als Beispiel: Angenommen, ich sei zu stark gehbehindert, als dass ich den Bergen wandern könnte. Ich werde das auch nicht mit Training verbessern können.
a) Ich wandere, wo ich kann, bevorzugt Ebene. Ich bringe die "Leistung" (das Gehen).
b) Ich lasse mich auf einer Sänfte durch die Berge tragen. Andere bringen die Leistung.

Für a) spricht: Ich habe was geleistet, ich habe es genossen.
Für b) spricht: Gute Frage.

Aber zu sagen: "Hey, ich bin aur den 4000er hoch, was für eine tolle sportliche Leistung, die Aussicht, Wahnsinn! Das hat sich gelohnt! (Bin aber hochgetragen worden.)" kommt mir komisch vor.

Anderer Aspekt:
Ich habe diverse Spiele gezockt im Leben. Was ich persönlich wirklich gehasst habe für mich:Cheat-Codes. Quasi die Vorabkapitulation, weil das Spiel zu schwer ist. Aber dann spiele ich lieber ein anderes Spiel. Errungenschaften, Erkenntnisse, Erlebnisse aus Spielen mit Cheatcodes sind für ich persönlich nix Wert.

Andere wiederum suchen explizit danach und spielen mit Wall-Hack, Map-Hack, God-Mode, Aim-Bot oderwasweissich. Solange sie das für sich machen: OK.


Ich zocke immer noch das gute alte Diablo II, in einem MOD. Ich habe gemerkt, dass mir Fortschritte, Errungenschaften, das ganze Spielerlenmis mehr Wert sind, wenn ich 'hardcore' spiele: Man hat genau ein Leben. Stirbt man, bleibt man tot. Man lernt, gut zu spielen, zu sein. Denn die allerhäufigste Todesursache ist Doofheit. :-)

Und nein, dass ich nicht beliebig steigerbar. Ich werde ich keinen anheuern, der mir beim Spielen dauernd mit dem Hammer auf die Zehen haut, weil das Spielen unter Schmerzen noch schwerer ist ...

Grüße
Häretiker
 
Zuletzt bearbeitet:
Zuletzt bearbeitet:
Was mich immer nervt, wenn der Klang eines klassischen Stückes per "Heumännerei" genau dann leidet, weil sie in C-Dur oder sonst einer "Eierleicht"-Tonart umgesetzt sind, nicht achtend des Chopin-Verdikts, dass die leichteste Tonart H-Dur sei, weil sie der Fingerlage und differenten Längen entspricht.

Heumann macht dann die Unterkomplexität wohl hauptsächlich deswegen, weil seine vermutete Hauptkundschaft mit mehr als zwei Kreuzen oder b's nicht zurechtkommen mag - beim Decodieren des Notentextes, so meine Vermutung, wirs es ihnen wohl zu mühsam... Dann wird die Handhaltung und die Fingerei schwieriger, nur damit es "einfacher zu lesen" sei... , und es wird im Spiel unweigerlich lahmer.
Ich bewege mich am liebsten in Tonarten mit drei bis vier Kreuzen oder Bes.

Während ich anatomisch vereinfachen Stücken nicht abgeneigt wäre (und ich manchmal selbst Ungreifbares ändern muß), macht es das blöde Transponieren das meiste gleich komplett unbrauchbar. Also lande ich so oder so immer beim Urtext oder Originalnoten mit Ergänzungen zur Ausführung.

Man stelle sich mal bei Büchern vor: Der Profi liest lateinische, hebräische und griechische Klassiker im Original, für alle anderen gäbe es nur Übersetzungen mit Kindergartenwortschatz in 1cm-Großschrift auf wasserfester Pappe.
 
Ich habe versehentlich eine Sammlung "vereinfachter" Ragtimes gekauft. Die Vereinfachungen sind nicht groß und beschränken sich überwiegend auf die Sprungbässe. Leichter werden die Rags dadurch aber nicht. Die Sprungbässe gehören einfach dazu und je mehr Noten man herausstreicht, desto weniger hört man, ob der Rest richtig ist.
 
@Bernhard Hiller

Bei einem Stück, wo "Etüde" drübersteht (und überdies "Liszt"), ist mit bewusst verschärften Herausforderungen zu rechnen. ;-) Weil: Etüde = Übung. Übung bestimmter Schwierigkeiten, gern extrem gehäuft/kondensiert.

Vorzeichen hingegen sind keine "Schwierigkeiten", sondern reine Routine. Am Anfang hat es mich noch sehr irritiert, zwei Stücke hintereinander zu spielen, von denen das erste z. B. in E-Dur und das zweite in As-Dur steht. Je häufiger man kreuz und quer durch den Quintenzirkel spielt, desto selbstverständlicher wird es. Man kommt recht schnell an einen Punkt, wo die Vorzeichen völlig egal sind. Ehrlich, versprochen.

Nur eines darf man nicht machen: Ausweichen. Je früher man damit anfängt, Stücke in "entlegenen" Tonarten zu spielen, desto schneller verliert man jede Scheu davor. Ges-Dur liegt prima in der Hand.



En passant, wie kommst Du zu der Frage, ob der Drang zum Original eine deutsche Ideologie sei? Sind andere Nationen, Franzosen, Polen, Russen, Briten & Co. großzügiger? :denken: Heumann, der Vereinfachungspapst, ist m. W. Deutscher...
 
Zum Vereinfachen von Originalwerken brauche ich keinen Bearbeiter.
Mache ich selbst. Es gibt halt fast oder völlig unspielbare Töne, die ich aber im Kontext als weniger wichtig ansehe. Klar lasse ich die weg. Hören allenfalls Spezialisten, die das Stück besonders gut kennen und womöglich im Wissen darüber genau auf diese Stellen achten.
Hab halt keine Rach.-Pranken.

Grüße
Manfred
 
Vorzeichen hingegen sind keine "Schwierigkeiten", sondern reine Routine.
Das ist mir auch bewußt, und man kann mir damit nicht imprägnieren, aber ich weiß daß sich einige Leute davon beeindrucken lassen.
Wechselnde Vorzeichen sind allerdings lästig. Die Angelsachsen nennen sie "accidentals", da steckt ja schon ein "Unfall" (accident) drin.

ob der Drang zum Original eine deutsche Ideologie sei? ...Heumann, der Vereinfachungspapst, ist m. W. Deutscher...
Von Heumann'schen Ausgaben besitze ich nicht viel, nur zwei dicke Bände: "Für Elise" ist ausdrücklich einfache Originalliteratur, und die "Kleine Nachtmusik" Werke, welche ursprünglich nicht für Klavier geschrieben wurden. Hier tritt Heumann also nicht als Vereinfacherer auf.
Andererseits habe ich vereinfachte Werke, printed in USA. Kann also ein Wahrnehmungsbias sein.

Wäre mal interessant, in angelsächsische Klavierforen reinzuschauen, wie die dort über vereinfachte Werke herziehen - oder sie loben.
 
Gegen technische Vereifachungen, vor allem aber Übertragungen von z.B. Orchestermusik ist doch gar nichts zu sagen. Aber Heumann betreibt gnadenlose Verunstaltung der musikalischen Ideen. Das geht zu weit. Einer, der seine Millionen zu Unrecht kassiert.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Vereinfachungen sollen einfach die Unzulänglichkeiten des Spielers kaschieren helfen. Wer das Klavierspiel nicht betreibt, um besser zu werden, sondern es benutzt, um sich irgendwo darzustellen, kann sich ja das Zeug reinziehen. Gibt genug Leute, die schon begeistert sind, wenn einer drei Akkorde spielen kann. Zum Verarschen reichts allemal, auch wenn man seiner Tante Elfriede eine Freude machen will (und beim Unterricht mit Behinderten kann es gut eingesetzt werden).
 
Bernhard, ich kann deine Einstellung und deinen Frust gut verstehen. Selbstverständlich ist es absolut in Ordnung, vereinfachte Versionen eines Stücks zu spielen. Da gibts auch keine negativen Effekte auf irgendwas. Sicher klingen die Originale besser, aber das ist irrelevant, denn die Originale zu spielen ist keine Alternative (man spielt die vereinfachten Versionen ja nur deshalb weil das Original (noch) zu schwer ist). Die einzig relevante Frage ist ob diese vereinfachten Stücke genau so viel oder mehr Freude machen wie andere Originalstücke auf dem gleichen Schwierigkeitsgrad.

Deutsche stehen sich mit einer gewissen kontraproduktiven intellektuellen Eitelkeit oft selbst im Wege. Ich bin Dozent an einer Universität und empfehle an Fachbüchern meinen Studenten fast ausschliesslich Literatur aus dem englischsprachigen Raum, weil die deutschen Fachbücher sich häufig intellektueller Masturbation in abstrakten Sphären hingeben, die den Durchschnittsstudenten ratlos zurücklassen.
 
Ich kann die Gegenargumente gut verstehen. Die meisten (oder zumindest viele) klassischen Stücke sind eben ausgearbeitete Kunstwerke, daran etwas unnötigerweise zu ändern ist schon ein kleiner Frevel. Und man möchte ja normalerweise auch nicht nur für sich selbst spielen, sondern es auch anderen vorführen. Da kann ich gut nachvollziehen, dass sich bei Kennern der perfekten Originale beim Anhöhren von zwangsläufig mehr oder minder "schiefen" Vereinfachungen die Fußnägel hochrollen. Das ist in etwa so, wie wenn man als Laie einen Van Gogh in Wasserfarben nachmalt. Wenns Spaß macht, wieso nicht, und wers mag kann ihn sich sein Werk auch zu Hause an die Wand hängen. Aber wer ihn dann anderen vorführt muss dann auch mit entsprechenden Kommentaren rechnen.

Es gibt doch so extrem viele schöne klassische Stücke in jedem nur erdendlichen Schwierigkeitsgrad. Da spiele ich mich als Anfänger lieber langsam weiter von meinem Anfänger Level 1 bis 3 hoch anstatt direkt zu versuchen "zu posen".
 
Ich habe gestern beim Abschlusskonzert der Instrumentalisten unserer Grundschule wieder 90 Minuten über mich ergehn lassen müssen, die zu einem nicht unerheblichen Teil mit Vereinfachungen und Bearbeitungen ausgefüllt waren. Elise auf der Kinder-Oboe, Dvoraks Neunte auf'm Keyboard, die unvermeidliche Amelie auf dem als Hackbrett missbrauchten Klavier ...

Musikgenuss scheint auf drei Stufen zu passieren:
  1. Ich erkenne das Stück. Wie wichtig das ist, kann man in Livekonzerten in der U-Musik erkennen. Der größte Beifall kommt nicht nach einem Stück, sondern am Anfang, wenn alle das Stück erkannt haben.
  2. Das Stück wird halbwegs flüssig und fehlerfrei gespielt. Damit wird Stufe 1 optimal unterstützt, dem Genuss auf Stufe 1 werden sozusagen keine Steine in den Weg gelegt. Stufe 2 hat somit eigentlich keinen eigenen Wert.
  3. Die Darbietung fasziniert mich. Das Stück hat eine Struktur, und die Interpretation unterstützt diese. Es berührt mich.
Stufen 1 und 2 funktionieren aber schon ausreichend gut, um beim bildungsbürgerlichen Schaulaufen der Wunderkinder (Schulkonzert) seinen Beifall abzugreifen, oder beim Besuch von Oma Elfriede. Deshalb muss die Oboe die Elise spielen - weil Stufe 1 damit sicher erreicht wird, und das ist schon die halbe Miete. Und deshalb braucht man auch die Heumann-Bearbeitungen.

Mit Originalliteratur gleicher Schwierigkeit wird Stufe 1 eben nicht erreicht. Man könnte Stufe 3 erreichen, aber das würde Interpreten wie Zuhörern mehr Arbeit abverlangen.
 
Es stimmt alles, nur muss man bedenken. Etliche einfache Originalstücke sind klanglich so unterirdisch, dass man lieber professionell vereinfachte und vor allem bekannte Stücke als Übung spielt (=> bessere Motivation). Ich denke hier z.B. an Mozarts Jugendsünden-Kompositionen …. Kommentar meiner Enkelin dazu: muss ich so ein Scheiss unbedingt spielen. Und die russische Klavierschule, tja da war sie auch nicht von den sog. Originalkompositionen begeistert. Trotzdem, sie hat es überlebt und ist jetzt gute Pianistin (zwar keine Weltklasse aber immerhin eine diplomierte klassische Konzertpianistin).
 
Deutsche stehen sich mit einer gewissen kontraproduktiven intellektuellen Eitelkeit oft selbst im Wege. Ich bin Dozent an einer Universität und empfehle an Fachbüchern meinen Studenten fast ausschliesslich Literatur aus dem englischsprachigen Raum, weil die deutschen Fachbücher sich häufig intellektueller Masturbation in abstrakten Sphären hingeben, die den Durchschnittsstudenten ratlos zurücklassen.

Och, das kann man auch mit russischer Fachliteratur haben. Der Landau/Lifschitz für theoretische Physik hatte immer den Ruf, ein exzellentes Lehrwerk zu sein, vorrausgesetzt, man hat es schon begriffen. :-)

Grüße
Häretiker
 

Zurück
Top Bottom