1. Invention Bach: "Phrasierung"

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turbo

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Noch wichtigerer Edit: Wer sich inhaltlich für die Fragestellung dieses Themas interessiert, dem würde ich persönlich empfehlen, die Seiten 1-3 komplett zu ignorieren und stattdessen direkt mit dem obersten Posting auf der 4. Seite einzusteigen. :)

Hallo zusammen. :)

Gerade beschäftige ich mich mit der 1. (zweistimmigen) Invention von Bach, bin aber inzwischen an einen Punkt gelangt, an dem ich etwas Hilfestellung gebrauchen könnte.

Folgende Frage hätte ich als Einstieg:

5. Takt, rechte Hand, zweite Achtel (Note "d").
Gehört diese Achtel zur nachfolgenden oder vorherigen Phrase Figur/Motiv? Und vor allem warum?

Gruß turbo

Wichtiger Edit: "Phrase" ist nicht das richtige Wort für das was ich eigentlich meine. Bitte meine Erklärung hier https://www.clavio.de/threads/1-invention-bach-phrasen.23929/#post-567418 lesen, damit meine Frage nicht falsch verstanden wird.
 
Zuletzt bearbeitet:
Urgh. Gemeint ist die zweite Achtel. Habe den Schreibfehler im ersten Posting korrigiert. Danke für den Hinweis.
 
In imitatorisch angelegten Inventionen sind Gliederungspunkte (abgesehen von den meist formelhaften Schlusswendungen am Ende formaler Abschnitte) aufgrund des kompositorischen Prinzips nicht oder kaum vorhanden. Die Musik wird einfach immer weiter getrieben. In dieser 1. Invention findet man drei Schlusswendungen: T. 6/7, T. 14/15 und die dritte dann am Ende des Stückes. Dazwischen kann man eigentlich nicht sinnvoll von Phrasierung sprechen, weil in sich geschlossene Phrasen diesem Typus wesensfremd sind.
 
Bemühen wir einmal die Sprache als Analogie zur Musik:

Musik ergibt genau wie Sprache nur dann einen Sinn, wenn man deren Struktur (in der Sprache sind das beispielsweise Worte, Teilsätze, Sätze, Absätze, Abschnitte, ...) erkennt.

Eine Invention ist nun nicht wie ein Aufsatz, der ein Aufsatzthema in vollständigen Sätzen (vollständigen Phrasen) behandelt. Sondern eine Invention ist vielmehr wie ein Gedankenstrom, in dem ein unvollständiger Gedanke (Thema der Invention) immer weitergesponnen wird, wobei der Gedanke immer wieder aufgegriffen und verändert (variiert) wird.

Nur an sehr wenigen Stellen dieses Gedankenstromes könnte man tatsächlich einen Punkt oder gar Absatz einfügen. Trotzdem ist eine Struktur vorhanden, die zwar nicht aus vollständigen Phrasen, aber beispielsweise aus Fragmenten des Gedankens (Fragmenten des Themas) besteht.

Während in einer Invention also keine oder kaum Phrasen im eigentlichen Sinne vorhanden sind, werden trotzdem vielmals Phrasierungsbögen eingesetzt, um die in einer Invention vorhandene Struktur kenntlich zu machen.

Im Bestreben, selbst eine schlüssige Struktur in der 1. Invention von Bach zu erkennen (und nicht unreflektiert die Struktur laut z.B. Busoni oder Willard Palmer zu übernehmen), kann ich die zweite Achtel im 5. Takt der rechten Hand aktuell nicht schlüssig zuordnen.

Wer kann mir also etwas Hilfestellung geben? :)
 
Du kannst dir diesen Fortspinnungstypus wie einen Spaziergang durch eine weite Landschaft vorstellen. Am Horizont siehst du einen schönen Baum und gehst darauf zu. Kurz bevor du dein Ziel erreicht hast, blickst du auf und stellst fest, dass du von deinem neuen Standpunkt aus einen noch schöneren Baum sehen kannst, der sich am veränderten Horizont zeigt. Und so weiter. Auf die Invention übertragen: du spielst auf eine Note zu, die dir zu Beginn des Stücks als logisches Ziel erscheint; bevor du diese Note erreicht hast, suchst du dir eine neue Zielnote und spielst dann auf diese zu. So verlierst du auch in langen Abschnitten, die keine klar phrasierten Strukturen haben, nicht den Spannungsbogen und kannst dennoch beliebig kleinteilig von Punkt zu Punkt kommen.

So funktioniert es auch bei deinem d': spiele darauf zu, als wenn es der Abschluss einer Phrase wäre, aber noch bevor du dort ankommst, nimm das g' in Takt 7 als dein neues Ziel und spiele nun darauf zu.

Eine andere Antwort auf deine Frage gibt es nicht. Man kann in dieser Art von Musik nicht sagen "Hier ist die Phrase zu Ende. Peng. Aus."
 
Idee: Druck die Noten aus und zerschneide sie in musikalisch sinnvolle Stücke. Du wirst mehrere Ausdrucke brauchen :-D

Dein Posting erweckt den Eindruck, als wolltest du dich über mich lustig machen, während du dich nicht im geringsten mit meiner Analogie auseinandergesetzt (geschweige denn diese nachvollzogen oder erfasst) zu haben scheinst.

Letzteres beweist du mit deiner Aussage "Noten ausdrucken und zerschneiden" zweifelsfrei, denn dies ist in Zusammenhang mit meiner Analogie (ein Gedankenstrom, der sich aus Gedankenfragmenten zusammensetzt, die sich wiederum teilweise aufeinander beziehen) völlig sinnfrei.

Der Inhalt deines Postings bringt also höchstens Überheblichkeit und/oder Borniertheit zum Ausdruck, aber ganz sicher keine musikalische Fachkenntnis.
 
Eine andere Antwort auf deine Frage gibt es nicht. Man kann in dieser Art von Musik nicht sagen "Hier ist die Phrase zu Ende. Peng. Aus."

Das habe ich weder behauptet, noch impliziert. Ganz im Gegenteil sogar: Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in einer Invention kaum oder gar keine Phrasen im eigentlichen Sinne (wenn man als Analogie die Sprache bemühen möchte: abgeschlossene Sätze) vorhanden sind.

Sehr wohl aber könnte man die Analogie eines Gedankenstroms heranziehen, der sich aus aufeinanderfolgenden Gedankenfragmenten zusammensetzt, die sich wiederum teilweise aufeinander beziehen.

Und zweifelsfrei lassen sich Aussagen treffen über die Zuordnung der einzelnen Noten zu solchen Fragmenten. In Ermangelung eines eigenen Notationssymbols erfolgt die Kenntlichmachung dieser Struktur oftmals mittels Phrasierungsbögen.

Siehe beispielsweise:
• Busoni https://imslp.org/wiki/Special:ImagefromIndex/22076
• Willard Palmer https://books.google.de/books?id=HxxoR9L8_uoC&lpg=PP1&hl=de&pg=PA18#v=onepage&q&f=false
 

Busoni schreibt keine Phrasierungsbögen. Was er hinzufügt ist Artikulation und Dynamik - bei den Bögen handelt es sich um Legatobögen. Dasselbe gilt für Palmer.

Aus heutiger Sicht - mit Kenntnis historischer Quellen zur Aufführungspraxis - ist das mehr fragwürdig. Es ist halt Bach aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts. Sicher interessant, sich das mal anzusehen. So spielen würde ich ganz sicher nicht.

Und zweifelsfrei lassen sich Aussagen treffen über die Zuordnung der einzelnen Noten zu solchen Fragmenten.
Eben nicht. Man kann sich natürlich alles mögliche zurechtbasteln - was es dabei ganz sicher nicht wird: zweifelsfrei. Wenn es zweifelsfrei wäre, wüsstest du ja, wie du mit dem d' umzugehen hättest. ;-)

Und ich vermute - ohne mir das im Detail angesehen zu haben - , dass Busoni und Palmer auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
 

Ach tatsächlich?

Wie lässt sich dann erklären, dass die Aussage von Stilblüte ("Noten ausdrucken und zerschneiden") in Zusammenhang mit meiner Analogie (ein Gedankenstrom, der sich aus Gedankenfragmenten zusammensetzt, die sich wiederum teilweise aufeinander beziehen) völlig sinnfrei ist?

Stilblüte operiert gerne mit Methaphern und Andeutungen - Du solltest versuchen zu verstehen, was sie Dir mitteilen möchte.

Mit meiner Analogie lassen sich um ein vielfaches mehr Ebenen einer Invention abstrahieren als mit der simplen Metapher von Stilblüte. Ich glaube kaum dass ich hier derjenige bin, der nicht vollständig erfasst hat, was ein anderer mitteilen möchte.
 
Ach herrje. Was habe ich getan :denken:
Ich verzichte trotzdem mal zunächst auf Erklärungen.
Bis auf diese: Der Tipp stammt (leider) nicht von mir, sondern von einer der deutschlandweit bis weltweit führenden Bachspezialistinnen. Zufällig spielt gerade einer meiner Schüler diese Invention und ich habe sie gefragt, wie ich ihm die Struktur noch besser begreiflich (!) machen kann.
 
Die als Antwort auf meine Aussagen aber nur dann Sinn ergeben würde, wenn ich die Bestandteile der Invention in meiner Analogie als Worte auffassen würde und diese Worte einzelnen Sätzen zuordnen wollte.

Gerade weil diese Analogie (Worte/Sätze) nicht zutreffend ist, habe ich stattdessen eine andere Analogie gewählt.

Nämlich die eines kontinuierlichen Gedankenstroms, der sich aus Gedankenfragmenten zusammensetzt, die sich wiederum teilweise aufeinander beziehen.
 
Die als Antwort auf meine Aussagen aber nur dann Sinn ergeben würde, wenn ich die Bestandteile der Invention in meiner Analogie als Worte auffassen würde und diese Worte einzelnen Sätzen zuordnen wollte. Gerade weil diese Analogie (Worte/Sätze) nicht zutreffend ist, habe ich stattdessen eineandere Analogie gewählt. Nämlich die eines kontinuierlichen Gedankenstroms, der sich aus Gedankenfragmenten zusammensetzt, die sich wiederum teilweise aufeinander beziehen.
Ok. Habbich kapiert. Alles klar.

CW
 
Es hat niemand gesagt, dass Deine Analogie falsch sei.

Die Sprache lässt aber u.a. mehrdeutige Konstrukte zu, die auch aus Gedankenfragmenten bestehen: Man befahl uns zu töten ;-) Genau wie in der Musik, gibt es auch hier verschiedene Interpretationsmöglichkeiten.
 
Ja, man kann Stilblütes Post als patzig auffassen, aber beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass dies ihre Intention war.

Ich glaube auch, dass sie deine Analogie verstanden hat. Und auch ich verstehe deine Analogie, aber die (von mir herausgelesene) Kernaussage ihrer Analogie ist etwas, was in deiner Analogie womöglich fassbar ist, aber niemals so präzise und knapp formuliert werden könnte. Und selbst wenn, kann man durch andere Ansichten doch immer etwas lernen. Darum sperre dich doch nicht ihr gegenüber, sondern versuche sie in dein Weltbild zu integrieren. Jedes Gleichnis kann nur einen Teilaspekt reflektieren, und da die Summe aller Teilaspekte erst das Ganze ergibt, sind auch eine Menge an Gleichnissen moeglich, sinnvoll und wichtig!

Und ich muss zugeben: Ihr kurzes Gleichnis hat mir wirklich eine Erkenntnis beschert - danke dafuer - und ich hoffe, dass dir dies beim zweiten Lesen auch zuteil wird. :-)

P.S. Und man kann auf Fragen auch manchmal unerwartete Antworten bekommen. Ein Bekannter von mir ging mal mit starken Rückenschmerzen zum Arzt. Tatsächlich saß das Problem im Kiefer. Fragt mich nun nicht, wie das sein kann (bin kein Arzt), aber wenn du fragst "Ich hab Rückenschmerzen, was ist das Problem mit meinem Rücken?", und die Antwort lautet "Es sitzt im Kiefer!", wurde streng genommen nicht auf die Frage geantwortet, aber die Antwort war dennoch eine hilfreiche!
 

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