Pianistische Klanggestaltung (war Anschlag)

Clavica

Clavica

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Seit geraumer Zeit beschäftigt mich eine Frage, die vielleicht keine Antwort kennt. Mit der Suchfunktion bin ich auch nicht fündig geworden, aber vielleicht könnt ihr mir ja weiterhelfen...

Wenn ich einer anderen Person beim Klavierspielen zuhöre, kann ich auf Grund der Varianz und Kontrolle des Anschlags oft sagen, ob es sich bei der Person um einen Anfänger oder einen erfahrenen Klavierspieler handelt. Da mit der Spielzeit auch die Erfahrung zunehmen sollte, würde ich jetzt bei Personen, die schon Jahrzehnte regelmässig Klavier spielen, erwarten, dass sie über die entsprechende Anschlagskontrolle verfügen. Dies scheint aber nicht so zu sein?

In meinem Bekanntenkreis kenne ich einige Personen, die schon mehr als 40 Jahre spielen. Einige hatten als Kinder und Jugendliche Unterricht und spielten damals schwere Stücke. Heute ist ihr Spiel angenehm. Sie spielen Stücke im mittelschweren Bereich und es klingt.. nett. Die vielen Jahre Erfahrung höre ich aber nicht...

Müsste nicht nach so vielen Jahren (mit Interesse) am Klavier, anschlagstechnisch mehr drin sein oder sind meine Erwartungen zu hoch?

Oder verliert man den Anschlag mit den Jahren oder kann man ihn gar nur als Kind und Jugendlicher entwickeln?

Oder ist es chancenlos die Anschlagskontrolle zu verfeinern, wenn man nicht spezifisch daran (mit Lehrer) arbeitet?

Oder ist es ein Talent, das manche Menschen besitzen und andere nicht, Peng. Aus. ?

Oder?

Ich würde mich freuen, wenn mir der ein oder andere Denkansätze hätte. Merci.
 
Oder ist es chancenlos die Anschlagskontrolle zu verfeinern, wenn man nicht spezifisch daran (mit Lehrer) arbeitet?
Daran wird es wohl liegen. Und das Ganze in unzähligen disziplinierten Übestunden, wofür die wenigsten Amateure den nötigen Aufwand betreiben (können).

Ich spiele auch schon 40 Jahre und mein Anschlag klingt noch nicht mal "nett". :-D

Hier gibt es einen interessanten Faden dazu, woran man "professionelles Spiel" erkennt bzw. wie man es erlangt. Finde ihn gerade nur nicht.
Ah, da isser:
https://www.clavio.de/threads/was-macht-professionelles-klavierspiel-aus.21382/
 
Ich weisz nicht ganz genau, was Du mit Anschlagskontrolle meinst, aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dasz Du damit z.B. das Faerben von Akkorden, horizontale wie vertikale Klangqualitaet meinst. Es ist nicht etwas "das man hat" oder "nicht hat", man musz aehnlich wie bei der Intonation bei Streichinstrumenten staendig daran arbeiten. Ohne Unterricht, ohne Konzerte, ohne entsprechende Begabung (d.h. kuenstlerischen Ausdruckwillen und eigenes kritisches Ohr), kann sich das einmal erreichte Niveau wieder verschlechtern. Ich kenne ja Deine Bekannten nicht. Aber auch jemand, der 40 Jahre Klavier spielt, erreicht deshalb nicht notwendig ein Niveau eines Konzertpianisten.
Viele Gruesze
 
Es gibt auch Leute, die spielen schon bald sechzig Jahre - ich zum Beispiel. Deswegen ist mein Anschlag aber nicht fünfmal so gut wie bei jemandem, der erst läppische zwölf Jahre am Klavier hockt. Das ist eine Frage des Ehrgeizes und der Wichtigkeit, die das Klavierspielen im Leben einnimmt. Ich kann mit dem Durchschnittsamateurstatus sehr gut leben.

Ich wäre allerdings schwer beleidigt wenn man mir attestieren würde, ich hätte einen Anschlag, der gut genug für eine Schreibmaschine wäre. Ein bisschen eleganter ist er schon, der Anschlag.

CW
 
Danke für die Antworten. Ich weiss, dass "Anschlag* kein gutes Wort ist und habe deshalb die Frage schon ein paar mal nicht gestellt, da mir die richtigen Worte fehlten. Die Frage blieb mir aber... Vielleicht wäre "Qualität der Tonerzeugung" besser? Ich meine jedenfalls das Phänomen, dass man schon nach wenigen erzeugten Tönen hören kann, wie es um den Klavierspieler "bestellt" ist,

Im Karate gibt es u.a. die Korrektheit und das Verständnis der Technik. Und die Reife. Diese verfeinert sich mit den Jahren und ist das, was bleibt, wenn der Körper nachgibt. Damit ist sie in gewisser Weise unabhängig von der körperlichen Fitness und für jeden, der entsprechend trainiert, erreichbar. Gleichzeitig ist sie aber auch eine "Mindestanforderung" für das Erreichen der Dangrade (Schwarzgurte). So haben die Danträger die ich kenne, die regelmässig trainieren, zwar nicht (mehr) die polierte Akrobatik der jungen Hüpfer aber eben Reife. So was hätte ich mir halt auch für das Klavierspielen gewünscht...

Was ich aus euren Antworten mitnehme, ist:

Wenn man nicht drauf hinarbeitet (Ehrgeiz, Wichtigkeit) wird das nichts und ohne kritisches Ohr erst recht nicht.
 
Es gibt auch Leute, die spielen schon bald sechzig Jahre - ich zum Beispiel...
Genau wie ich. Aber nur weil ich vor etwas 60 Jahren wenige Jahre Klavierunterricht hatte, habe ich nicht 60 Jahre gespielt. Bin sozusagen Wiedereinsteiger als ich etwa 48 war. Und das hört man eben auch. Außerdem ist Klavierspielen nicht kompatibel mit anderen Hobbys und so spiele ich nur im Winterhalbjahr. Und das hört man auch. So manch fleißig übende und etwas talentierte Kinder und Jugendlicher spielen hörbar besser. Ist das denn so schlimm?

Gruß
Manfred
 
so, jetzt referiert wieder ein Blinder über Farben, aber ich versuche es trotzdem:

ich vergleiche es ganz banal mit Tennis-Spielen: Nicht jeder Tennis-Spieler kommt automatisch nach Wimbledon, nur weil er schon 20 Jahre lang Tennis spielt. Boris Becker war dort jedoch schon mit 16 Champion. Es muss also etwas sein, das nicht nur mit Training allein erreichbar ist. Es gehört sicherlich ein Talent dazu, aber auch eine Führung auf sehr professionellem Niveau. Nichts gegen die "normalen" Klavierlehrer. Die Meisten leisten sicher einen super Job! Aber sie unterscheiden sich doch ganz erheblich von den wahren Meistern. Beispiel @Stilblüte oder @mick oder all die anderen jungen Künstler, die es bereits zu einer Perfektion gebracht haben, die Andere auch nicht nach 60 Jahren des Übens erreichen werden. Diese Profis kommen fast täglich in den Genuss einer Ausbildung, die sich ein ambitionierter Amateur vielleicht ein paar Mal im gesamten Leben leistet. Wenn er denn vom Meister in dessen Kurs angenommen wird.

Die Art und Weise des Übens, das gedankliche und emotionale Verinnerlichen der Musik, das stundenlange tägliche Üben, das eins werden mit dem Instrument, all dies führt dann nach Jahren zu einem Ergebnis, das eben nur die Profis erreichen, die das Klavier spielen zum Inhalt ihres gesamten Lebens gemacht haben.

Alleine schon die Vorbereitung, wenn sich ein Pianist ans Instrument setzt, das fasziniert mich immer wieder. Es wurde noch kein einziger Ton gespielt, aber man merkt bereits, dass sich der Künstler in einer Art Aura von der restlichen Welt entfernt hat. Und dann heben sich die Hände in einer Bewegung, die jedem Ballett zur Ehre gereichen würde. Diese extreme Konzentration auf das Wesentliche, die völlige Hingabe an die Musik, an das zu spielende Stück, vielleicht macht das den Unterschied?
 
Natürlich spielt, wie schon gesagt wurde, die Zahl der Stunden, die jemand mit dem Instrument verbracht hat und aktuell verbringt, eine große Rolle.

Aber Menschen sind zum einen in unterschiedlichem Maße feinsinnig. Nehmen wir z.B. auf der einen Seite einen Latin-Jazz-Pianisten wie Michel Camilo, auf der anderen einen Pianisten wie Fred Hersch. Beides fraglos sehr gute Spieler, jedoch spielt Differenziertheit im Klang bei Camilo nur eine geringe Rolle (Fokus auf Rhythmus und Energie, "machohaftes" Spiel mit "hey, guck mal, was ich alles kann"-Elementen und oft auch Humor), während Hersch durch fabelhaften "Sound" und emotionale Tiefe zu begeistern weiß.

Daher ist klar: Wenn ich ein Typ bin, dem Differenzierung wichtig ist und dem farbige, abwechslungsreiche Musik Freude macht, werde ich mich viel damit beschäftigen und daher auch recht gut darin werden; wenn mein Fokus auf anderen Dingen liegt, eben nicht. (Wobei hier natürlich auch schlechte Pädagogiken ins Spiel kommen - z.B. kann die berüchtigte Übestrategie "erst die Töne, dann der Ausdruck" sehr viel kaputtmachen und Musikalität auch "verschütten".)

Zum anderen haben Leute leider sehr oft eine vollkommen unzweckmäßige Spieltechnik (in mechanischer Hinsicht) erlernt und hören viel zu wenig, wie das von ihnen Gespielte überhaupt klingt, bzw. spielen viel zu wenig "audiomotorisch". Woher soll "Anschlagskultur" (ein Wort, das ich eigentlich ablehne; die Engländer haben mit "touch" ein viel besseres Wort für das, was man mit den Tasten tut) da kommen??
 
Zum anderen haben Leute leider sehr oft eine vollkommen unzweckmäßige Spieltechnik (in mechanischer Hinsicht) erlernt und hören viel zu wenig, wie das von ihnen Gespielte überhaupt klingt, bzw. spielen viel zu wenig "audiomotorisch". Woher soll "Anschlagskultur" (ein Wort, das ich eigentlich ablehne; die Engländer haben mit "touch" ein viel besseres Wort für das, was man mit den Tasten tut) da kommen??
Weißt Du eine besser passende Bezeichnung anstelle des englischsprachigen "touch", oftmals abstrakt mit "Berührung" übersetzt? Wie wäre es mit komplexeren Begriffen wie "Anschlagsdifferenzierung" oder "(pianistische) Klanggestaltung"/"Klangformung", weil ja nicht punktuell reihend von Ton zu Ton in Einzelereignissen fortgeschritten werden soll? Vielmehr musiziert man in künstlerischen/gestalterischen Zusammenhängen, die vom frühesten Stadium der Einstudierung existent sind, auch wenn der Spieler oftmals nicht dazu in der Lage ist, diesen Umstand zu erkennen. Diese fehlende Erkenntnis kommt ja gerade dann zum Ausdruck, wenn stückweise und verkürzend einstudiert wird nach dem Motto "Erst mal Töne fressen, dann Musik machen".

Egal wie sich der Faden weiterentwickeln wird: Ein entscheidendes Problem werden wir hier nicht aus der Welt schaffen können. Nur durch das Übersetzen klanglicher Feinheiten in die Verbalisierung (darüber schreiben oder sprechen) oder in die Abbildung auf Audio-/Videodokumenten (aufnehmen und hier einstellen) werden wir den entscheidenden Details nicht auf die Spur kommen. Dieser Vorgang findet letztendlich durch den Spieler selbst am Instrument statt. Vermutlich kann man hier nur ein paar Hilfestellungen und Impulse geben, wie man die audiomotorische Wahrnehmung und Gestaltung verfeinern könnte. Das ist allerdings in jedem Falle besser als nichts.

LG von Rheinkultur
 
@all
Es ging mir nie um die Frage, warum ein langjähriger Klavierspieler nicht auf Pianistenniveau spielt. Das wäre, wie auch schon angedeutet Quatsch:) Es ging mir einzig um das "Detail" der Anschlagskuiltur oder des Touch (Danke @hasenbein), von dem ich dachte, dass es etwas sei, dass sich im Laufe der Jahre mehr oder weniger automatisch herausbilden würde, Beim Karate sehe ich ja auch ob jemand einen KIzami zuki erst 1000 mal (entspricht ca. 2 Jahren Training) oder 10000 mal (ca. 10 Jahre Training) gemacht hat.

Aber ihr habt recht. Trainingsresistenz tritt auf und da sehe ich auch nach 50000 Zukis noch keine Reife:) Insofern scheinen(wie üblich) der Wille und die Hingabe (neben dem Talent) relevant zu sein.

Ist der Touch denn etwas, dass man auch ohne eine Pianistenkarriere anstreben und erarbeiten kann?

@Rheinkultur
Nein, dieser Faden bringt nichts, das ist mir durchaus bewusst:( Trotzdem denke ich über diese Fragestellung (warum hat jemand der schon lange spielt keine entsprechende Anschlagsdifferenzierung?) schon seit ein paar Monaten nach. Insofern befriedigen die Antworten zumindest meine Neugier und helfen mir, ein Verständnis für den Prozess des Klavierspielens zu entwickeln und mein Weltbild zu erweitern. ;)

Danke dafür.
 
Oder verliert man den Anschlag mit den Jahren oder kann man ihn gar nur als Kind und Jugendlicher entwickeln?

Oder ist es chancenlos die Anschlagskontrolle zu verfeinern, wenn man nicht spezifisch daran (mit Lehrer) arbeitet?

Oder ist es ein Talent, das manche Menschen besitzen und andere nicht, Peng. Aus. ?

Oder?
Klare Antwort: Hundertprozentige Richtigkeit eines Aspekts unter den genannten Stichpunkten gibt es ebenso wenig wie eine Aufteilung etwa in ein Drittel Startzeitpunkt (weil man in jungen Jahren (angeblich) leichter lernt), ein Drittel Interaktion mit Lehrkraft (vier Ohren hören mehr als zwei) und ein Drittel Begabung (hat man oder hat man nicht). Warum? Weil auch diese Aspekte miteinander in Beziehung treten. Der Begabte, der nicht genügend an sich arbeitet, kann beispielsweise durch den Fleißigen überholt werden. Nicht umsonst heißt die musiktheoretische Disziplin nämlich "Gehörbildung", was einen Entwicklungsprozess bereits zum Ausdruck bringt: Man kann durchaus gewohnheitsmäßig solange über Details hinweghören, bis die Wahrnehmung zu weit abgestumpft ist, um die Erkenntnis nach sich zu ziehen, hier müsse sich etwas Entscheidendes ändern.

LG von Rheinkultur
 

Ist der Touch denn etwas, dass man auch ohne eine Pianistenkarriere anstreben und erarbeiten kann?

Soll ein Amateur-Streicher etwa nicht an der Intonation und dem Vibrato bzw. lueckenlosen Bogenwechseln arbeiten, weil er eh nie die Klangqualitaet eines Profis erreichen wird? Nein, sicher waere das der falsche Ansatz. Also: Auch Amateurpianisten sollen sich bitte genau der gleichen Methoden wie die Profis bedienen, das hilft! Ich kann das aus eigener Erfahrung bestaetigen. Man spielt zwar immer noch laienhaft, aber sonst koennte ich mein Leben auch mit Auftritten bestreiten und mueszte/haette viel mehr ueben muessen, aber das Ergebnis ist eben trotzdem besser als bei anderen Amateuren, die einfach nur "Tasten druecken".
Im Uebeprozess sehe ich keinen Unterschied zwischen Profis und Laien, wir arbeiten alle an denselben Aspekten, nur das Ergebnis sieht anders aus.
Jannis
 
Ich sehe schon, es gibt die vielfältigsten Gründe warum die Anschlagskultur nicht mit den gespielten Jahren korrelieren muss. Danke für all die Überlegungen. Meine Neugier ist befriedigt.

Soll ein Amateur-Streicher etwa nicht an der Intonation und dem Vibrato bzw. lueckenlosen Bogenwechseln arbeiten, weil er eh nie die Klangqualitaet eines Profis erreichen wird? [...]
Im Uebeprozess sehe ich keinen Unterschied zwischen Profis und Laien, wir arbeiten alle an denselben Aspekten, nur das Ergebnis sieht anders aus.
das fett markierte ist - leider - ein frommer Wunsch ;-)

Mein Sensei antwortete mal auf eine Technikfrage: "Ahh, so das machen, das sein unmöglich. Aber das sein egal. Trotzdem so machen."

In dem Sinne

OSS :)
 
Ich habe nicht ganz den Überblick, worum es hier geht. Mir fällt gerade auf, dass ich mich schon über das krasse Off-Topic in dem Faden gewundert habe, wo es hier doch um (terroristische) "Anschläge" gehen soll? Bis mir eben aufgefallen ist, dass es ja auch beim Klavier einen Anschlag gibt.
Liegt wohl daran, dass ich gerade in New York gelandet bin :blöd:
Alleine schon die Vorbereitung, wenn sich ein Pianist ans Instrument setzt, das fasziniert mich immer wieder. Es wurde noch kein einziger Ton gespielt, aber man merkt bereits, dass sich der Künstler in einer Art Aura von der restlichen Welt entfernt hat. Und dann heben sich die Hände in einer Bewegung, die jedem Ballett zur Ehre gereichen würde. Diese extreme Konzentration auf das Wesentliche, die völlige Hingabe an die Musik, an das zu spielende Stück, vielleicht macht das den Unterschied?
Mir ist das auch erst mit der Zeit klar geworden und besonders in der jüngeren - aber das kann man lernen, erfahren, üben und lehren, auch unabhängig davon, wie "gut" jemand (schon) spielt.
"Man" ist natürlich nicht jeder, aber es gibt Leute, die das lehren können.

Ich hatte in Deutschland eine Stunde Privatunterricht mit Alexandertechnik. Wobei ich sagen muss, dass ich sowohl die Alexandertechnik als auch die Lehrerin schon seit Jahren kenne. Diese eine Stunde war aber nochmal ganz besonders - innerhalb von einer Stunde hat diese Lehrerin, die selbst keine Musikerin ist (!) es geschafft, diesen oben beschriebenen Zustand bei mir ideal hervorzurufen und daran im Anschluss das in dem Moment bestmögliche Spielergebnis zu erzielen. Das hat mich sehr beeindruckt und auch meine folgenden Konzerte beeinflusst (eines davon in Köln bei Marlene).

Alexandertechnik funktioniert nicht, wenn / weil man daran glaubt, und es öffnen sich auch nicht beim ersten Mal die Himmelspforten. Aber ich kenne inzwischen einige Leute, die da noch ganz unverhoffte und unerwartete Dinge an sich entdeckt haben.

Damit will ich nur sagen: Man kann sehr viel lernen oder erfahren. Ob auf diesem Weg oder auf anderem, wird sich zeigen.
 
@rolf empfiehlt immer den Kratzert, den ich besitze, aber noch nicht komplett gelesen habe, und das vor Jahren.

Meiner Erfahrung nach kann man an wirklich allem arbeiten, und es wirkt sich immer direkt oder indirekt auf das Klavierspielen aus. Denn es geht um das Körpergefühl und die Bewegung, und beides braucht man beim Klavierspielen. Es kann also z.B. gehen um vermeintlich banale Dinge wie Hinsetzen, Sitzen, Aufstehen, Loslaufen und gehen, stehen. Um mal ein ganz kleines Beispiel zu nennen: Fühlt man sich beim Laufen eher wie ein Presslufthammer oder wie eine Schublade, die zugeschoben wird?

Beim Spielen selbst ging es bei mir um eine Mischung aus konkreten körperlichen Dingen (du sitzt zu lange schief, bevor / nachdem du dich nach links beugen musstest), Dingen, die halb körperlich und halb gedanklich waren (deine Hand kann an dieser Stelle, wo sich die Stimmung ändert, etwas weicher werden) und Dingen, die rein gedanklichen Ursprung hatten (du hast die Wahl: Bist du beim Spielen gedanklich mit dem Klang nah an den Tasten oder eher im Raum?).
Alle Veränderungen hat man sofort sehr stark gehört - meine Klavierprofessorin war anwesend.
 
Wie muss man sich das eigentlich in pianistischer Hinsicht vorstellen? Falls Du mal Zeit und Lust hast, es zu erklären, würde ich mich freuen. :-)

Hier sind ältere Fäden mit diesem Thema:

https://www.clavio.de/threads/die-alexandertechnik.12463/

https://www.clavio.de/threads/alexander-technik.19912/#post-395331

Durch R. Kratzerts Beschreibungen zur Anatomie , zum physiologischen Gebrauch des Körpers insbesondere zur Sitzhaltung konnte ich Rückenschmerzen vermeiden.
Die Entfernung des Hockers vom Klavier und die Sitzhöhe hab ich selbst ausprobiert und gefunden.

Dieses Buch:

https://www.amazon.de/Alexander-Tec...21&sr=8-1&keywords=Musik+und+alexandertechnik

Finde ich auch hilfreich.

Dazu gibt es noch eine schöne Anekdote:
R.Kratzert beschreibt, wie man beim sehr langsamen Spielen mit den Fingern über die Tastatur schleicht und schlägt vor sich den Bewegungsablauf vorzustellen, wenn man an einem schlafenden Menschen vorbeischleicht.
Da passte es gerade gut, dass mein Mann auf der Couch schlief. Ich schlich also mehrfach um ihn herum, um das Gefühl beim Schleichen zu verinnerlichen bis ich irgendwann bemerkte, dass seine halb offenen Augen mich misstrauisch beäugten und er mich dann fragte, was ich im Schilde führe. Meine Erklärung führte zu einem " du bist bekloppt" und zu ausgelassenen Heiterkeit! :lol:
 
Zuletzt bearbeitet:
@rolf empfiehlt immer den Kratzert, den ich besitze, aber noch nicht komplett gelesen habe, und das vor Jahren.
...tja @Stilblüte dann wird´s allmählich Zeit, die Lektüre zu komplettieren (und günstigstenfalls auch zu begreifen - das kann nie schaden!) ;-) Kratzert macht ein großes Getue um die so genannte "Alexander Technik"*) und darüber hinaus erläutert er sehr praxisnah bewährte Übungsweisen und Bewegungsmuster (so weit das eben sprachlich machbar ist) ---- allerdings empfehle ich stets gerne noch eine ganze Menge anderer "Literatur" ;-) und auch diese stets unter der Voraussetzung, dass begriffen wird, was man da vorliegen hat.
Wer es nicht begreift, für den sind Liszts technische Studien lediglich eine monströse pseudopositivistische Ansammlung von Fingersätzen und Spielfiguren, bon. Niemand muss begreifen, was der dumme Liszt da angehäuft hat.
Wer allerdings begreift, was da vorliegt, der wird immer den Bewegungsmotor erkennen und einsetzen können; und man wird immer die Breite der Varianten erkennen und nutzen können (als kleiner Tipp hierzu: die Terzen und Oktaven dort - mehr verrate ich nicht, weil ich keinen Bock auf Blabla und erklären hab)
Ich empfehle auch gerne, was Feinberg zum klavierspielen publiziert hat (leider liegt nur ein kleiner Teil davon übersetzt vor - hier ist im Vorteil, wer russisch verstehen/lesen kann -- tja Pech, so ist die Welt halt; bin ich nicht schuld dran)
Und ich empfehle wärmstens die Übungen von Brahms - und hier gilt dasselbe: man muss sie kapieren - ohne sie zu verstehen, sind sie wie die Lisztschen nur eine monströse Kuriosität.
Des weiteren empfehle ich noch wärmer, was Busoni in Sachen Spieltechnik publiziert hat (auch hier wieder: erst kapieren, dann anfassen)
und auch Cortot (dito)
und Godowski (dito - und gerne auch seine Chopinetüden!)

Das Problem dabei ist das kapieren... das ist mir bewußt. Unseligerweise gibt es kein einziges Lehrbuch zum Klavierspiel bzw. zur Spieltechnik, welches der neugierige Leser ohne Anleitung, ohne Hilfe nutzbringend verwenden könnte. Denn all das gefälligst fein heraus zu hörende Zeugs zur Klangdifferenzierung (Anschlagskontrolle) bedarf der praktischen Umsetzung, und die rieselt niemals aus den Büchern heraus... Sie rieselt aus den Notenbüchern zur Spieltechnik heraus (Chopin, Liszt, Brahms, Busoni, Feinberg, Cortot), aber auch nur dann, wenn man wirklich begreift, was da vorliegt - auch hier (leider!!!) nur für diejenigen, die hören, begreifen und motorisch umsetzen können...

Und dann gibt es noch ein ganz anderes Problem: die mit turmhohem Abstand zu allem anderen allerbesten Kompendien zur Spieltechnik (Liszt, Brahms, Busoni, Feinberg, Cortot) setzen den ganzen musikalischen Kleinkram (Anschlagsdifferenzierung, stacc., non legato, legato usw.) voraus.
!!!!!!!


Das ist einerseits gemein von Liszt-Brahms-Busoni-Feinberg-Cortot - andererseits ist das Training hochvirtuoser Spielfiguren ohne Grundlagen wie genannten Kleinkram eine Totgeburt!

Und das kann man hören: zahllose eifrige Klavierenthusiasten prügeln sich (allermeistens zu plump und lahm!) durch Chopins drittes Scherzo - bei allen Göttern, das ist nun wirklich kein furchtbar schwieriges Stück!! Aber die allermeisten Laien unter den Klavierenthusiasten sind hier mit den Oktaven und Passagen heillos überfordert: es wird herumgedroschen und gehofft, dass dabei nicht allzu viele falsche Töne produziert werden. Vom Tempo und vom Klang eines Pogorelich sind sie alle lichtjahreweit entfernt. (mir ist schleierhaft, warum die sich und ihre Zuhörer mit einem derartigen Stück behelligen...) Und nochmals: das 3. Scherzo ist innerhalb dessen, was technisch virtuos ist, ziemlich harmlos!!!

Feine Anschlagsdifferenzierung zu erlernen, damit zu experimentieren usw - das ist nicht schwer. Man braucht dazu nicht mehr als Klangvorstellung, ganz normale Hände und völlig normalen Verstand. Langsame leichte Stücke (was weiß ich, Schumanns von fremden Menschen und Ländern oder Bach Sinfonia e-Moll) sollte eigentlich jeder genauso klangschön wie die Profis hinkriegen können. Das halte ich für eine Minimalanforderung, ganz ohne weitschweifiges Blabla wie man diesen oder jenen Ton binden oder absetzen oder sonstwie gestalten soll - wer solche Stücke nicht hinkriegt, der stümpert und stochert halt herum. peng aus.

Die Spreu vom Weizen trennt sich, sowie das, was gespielt werden will, technisch anspruchsvoll und quasi "sportlich" wird.

95% der Klavierenthusiasten versagen genau dann, wenn es technisch schwierig wird. Dann ist all das schöne Anschlags- und Klangdifferenzierungszeugs weg, und es wird nur noch herum gedroschen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist abhängig vom Talent. Talentierte Leute können harmlose Chopinscherzi und anspruchsvollere Liszt- oder Ravelsachen mit gestalterischem Kleinkram (der entscheidend ist!!!) hinkriegen, die anderen packen es halt nicht und es klingt plump und pampig.
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*) was er in seinem "Handbuch für Pianisten" auch ausführlich und ziemlich plausibel erklärt - nb sei angemerkt, dass Alexander-Tachnik keine spezielle "Klavierspiel-Technik" ist (!!!)
 

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