komplizierte bis verrückte Akkorde

"Das zweite Beispiel verstehe ich nicht ganz. Ist Des in diesem Falle Dominante?"
Ja und nein. Ja: der Akkord ist Dominante, nein: er ist kein Des-dur-Akkord, sondern wie gesagt D46, also As-dur mit Quartsextvorhalt. Bis 4-6 nach 5-3 endgültig aufgelöst wird, also as-des-f nach as-c-es, mußt du ein paar Takte Geduld habe, der endgültige Ganzschluß folgt erst 28 Takte später. Die Auflösung kommt scheinbar schon früher, aber das ist noch nicht der wirkliche Schluß, der Orgelpunkt As ist die ganze Zeit dazuzudenken, bis im Baß endlich das Des erscheint, nämlich unter dem höchsten Ton dieser Schlußstretta, dem f''''.

"... ich versteh' diese Dinger nämlich nicht: Was können die denn so bedeuten?"
Übermäßige Dreiklänge können, wie du richtig sagst, durch Hochalterierung der Quinte entstehen, dann sind es übermäßige Dominanten oder Zwischendominanten.
Sie können auch durch Sextvorhalte entstehen. Der Dreiklang e-gis-h ist Dominante in a-moll, der Sextvorhalt sähe dann so aus:
D6: e-gis-c, gefolgt von D5: e-gis-h, in der Regel gefolgt von der Tonika.
Den übermäßigen Dreiklang e-gis-c kannst du ansonsten beliebig umdeuten:
Als e-gis-his ist er übermäßiges E-dur,
als as-c-e ist er übermäßiges As-dur,
als c-e-gis ist er übermäßiges C-dur,
als e-gis-c ist er D6 in a-moll,
als as-c-fes ist er D6 in des-moll,
als c-e-as ist er D6 in f-moll.
Genügt das erstmal?
(Fred war schneller, aber ich glaube, unsere Antworten ergänzen sich.)

Den Sextvorhalt gibt's schon im Barock, ein einfachstes Beispiel für die übermäßige Zwischendominante findet man in Schumanns "Kleiner Studie" aus dem "Album für die Jugend" (g-h-dis), und das Spiel mit den Mehrdeutigkeiten übermäßiger Dreiklänge findet man bis zum Überdruß bei Liszt.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Hi,


Danke Jörg für die Erweiterung der Erklärung.

Über den übermäßigen Dreiklang gäbe es ja noch einiges mehr zu berichten.

Z.B. ist eine seiner Eigenarten, dass er sozusagen ALLE Stufenakorde, die sich aus einer Ganztonleiter ableiten, darstellt.
Das resultiert daraus, dass seine Großterzstruktur sich wunderbar in eine Großsekundstruktur unterteilen lässt.
Eine Ganztonleiter mit ihren 6 Stufen bildet auf jeder ihrer Stufen einen übermäßigen Dreiklang.
Im Jazz, eventuell auch in Spätromantik und Impressionismus wird daher die Klangfarbe der übermäßigen Triade oft durch die dazugehörige Ganztonleiter unterstrichen. Oft wird dieser Effekt in der Filmmusik für Geheimnissvolles verwendet.
Da eine Ganztonleiter keine primary dissonance enthält (also keine Halbtonschritte) können die restlichen 3 Töne als Tensions der Triade gebraucht werden.

Beispiel:

c e g# (= C#5)
hätte die Akkorderweiterungen
d f# bb

Das Tonreservoir der C Ganztonleiter bildet insgesamt als 2 ineinander verschachtelte Triaden. Diese wiederum übereinander gelegt ergeben den Akkord C9/#5/#11 bzw. E9/#5/#11 bzw. Ab9/#5/#11

In Wayne Shorters Stück "Ju Ju" (Changes) kann man dies gut hören. Der 1. Teil basiert vollständig auf der Ganztonleiter. Der Pianist alterniert beim Begleiten die beiden Dreiklänge. Er spielt sie also nicht alle auf ein mal.


Weiterhin kommt die übermäßige Triade in Melodisch Moll auf der bIII Stufe vor. Dieser Akkord findet im Moll Umfeld vor allem Anwendung als Durchgangsakkord.

Auf die Alterierte Tonleiter bezogen, die ja ein Derrivat der Melodisch Molltonleiter ist, liegt diese übermäßige Triade auf deren Terz. Schön ist auch die Beobachtung, dass die Alterierte Tonleiter von der Terz aufwärts gespielt, ein Ausschnitt der Ganztonleiter darstellt. Somit ist ein switchen zwischen beiden Tonleitern durchaus angebracht, da sie ja beide dominantisch eingesetzt werden.

XAbsolut betracht gibt es nur ZWEI Ganztonleitern insgesamt und diese liegen genau um einen Halbton verschoben nebeneinander.
Diesen Umstand kann man sich z.B. folgendermaßen zu Nutze machen:

Beim Spielen einer Dominantkette wie z.B.

| C7#5 F7#5 | Bb7#5 Eb7#5 | Ab7#5 Db7#5 |

können wir ständig zwischen den beiden existierenden Ganztonleitern wechseln.
Also für C7#5 spielen wir c d e f# ab bb
und für F7#5 spielen wir db eb f g a b

Für Bb7#5 spielen wir dann wiederum die 1. die wir für C7#5 gebraucht haben und für Eb7#5 die, die wir für GF7#5 brauchten, usw.

Das Einsatzgebiet ist noch wesentlich vielhaltiger und für die Jazz-Improvisation wesentlich. Das war nur mal ein kleiner Ansatzpunkt zur Anwendung.
 
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Auf die Alterierte Tonleiter bezogen, die ja ein Derrivat der Melodisch Molltonleiter ist, liegt diese übermäßige Triade auf deren Terz. Schön ist auch die Beobachtung, dass die Alterierte Tonleiter von der Terz aufwärts gespielt, ein Ausschnitt der Ganztonleiter darstellt. Somit ist ein switchen zwischen beiden Tonleitern durchaus angebracht, da sie ja beide dominantisch eingesetzt werden.
Hallo Fred,

ich verstehe nicht ganz, was "die Alterierte Tonleiter" ist. Du sagst ja, dass sie sich aus dem melodischen Moll ableitet, aber wie?

lg marcus
 
"Das zweite Beispiel verstehe ich nicht ganz. Ist Des in diesem Falle Dominante?"
Ja und nein. Ja: der Akkord ist Dominante, nein: er ist kein Des-dur-Akkord, sondern wie gesagt D46, also As-dur mit Quartsextvorhalt. Bis 4-6 nach 5-3 endgültig aufgelöst wird, also as-des-f nach as-c-es, mußt du ein paar Takte Geduld habe, der endgültige Ganzschluß folgt erst 28 Takte später. Die Auflösung kommt scheinbar schon früher, aber das ist noch nicht der wirkliche Schluß, der Orgelpunkt As ist die ganze Zeit dazuzudenken, bis im Baß endlich das Des erscheint, nämlich unter dem höchsten Ton dieser Schlußstretta, dem f''''.
Ah okay danke.
Ich weiß, was du meinst, obwohl ich nicht 28 Takte zählte:confused:.
 
Hallo Fred,

ich verstehe nicht ganz, was "die Alterierte Tonleiter" ist. Du sagst ja, dass sie sich aus dem melodischen Moll ableitet, aber wie?

lg marcus

Sie ist ein Derivat der MM. Es ist sozusagen der VII Modus von MM, also MM7.

C MM =
c d eb f g a b

davon MM7 wäre:

b c d eb f g a

Manche nennen diesen Modus auch Superlokrisch, da eben die Quarte auch noch in ihrer verminderten Form vorkommt.

Wenn man diese Chordscale dominantisch einsetzen will, muss man sie allerdings enharmonisch umdeuten, und zwar so:

b c c## d# e# g a

Jetzt haben wir die Scale mit dem Namen B alteriert, passend für den Akkord B7alt als Dominante von E.

Die in ihr enthaltenen Tensions sind:

b9, #9, #11 und b13.

Mit diesen Tensions kann der Akkord coloriert werden.
 
Ein dummer Vertipper unterlief mir oben: "Der Klang Hes-g-des'-e' in der zweiten Zeile" soll natürlich der Klang "Heses-g-des'-e'" sein.

Das nehme ich zum Anlaß, Fred zu fragen, warum man partout auf englischer Schreibweise bestehen muß? Ich weiß natürlich, daß die im Jazz Standard ist. Hier geht's jedoch um Notennamen in einem deutschen Forum, und da kann das Beharren auf englischen Notennamen auch mal mißverständlich werden. Ein Mißverständnis ist obendrein, daß es internationale Schreibweise sei. Das mag für den Jazz ja zutreffen, aber sonst keineswegs. Denn die deutsche Besonderheit "h" findet sich auch in anderen Sprachen, und wahrscheinlich mehr Sprachen (alle romanischen, die russische) benutzen weder "h" noch "b", sondern "si".

Außerdem: Warum muß man statt "Dreiklang" "Triade" sagen und statt "Leiter" "Scale"? Fachbegriffe sind unvermeidbar in jedem Fachgebiet; Anfänger, die z.B. nicht wissen, was eine "übermäßige Dominante" ist, müssen's eben lernen. Aber zwischen unvermeidlichem Fachbegriff und unnötigem Jägerlatein gibt es einen gewissen Unterschied. Ich selber habe mit deinen Anglizismen ja keine Schwierigkeiten, aber sie klingen immer so, als hätten die Amerikaner und die Jazzer die Musiktheorie erfunden, was nun beileibe nicht stimmt. Und angenehm zu lesen, finde ich's nicht. Jemand mit deinem Wissen müßte doch eigentlich sich auch auf deutsche Leser und Nicht-Jazzer einstellen können.

Das Spielchen mit ganztönigen, bzw. symmetrischen Akkorden findet sich ja nicht nur im Jazz, sondern findet sich schon, lange bevor es den Jazz gab. Es gibt drei Dominanten, die sich durch einfache chromatische Rückung korrekt auflösen lassen, nämlich

1. den verminderten Septakkord (der nicht ganztönig ist):
c-es-fis-a wird aufgelöst nach
h-d-f-as,
d.h. durch chromatische Abwärtsrückung folgt auf eine Doppeldominante eine Dominante (gibt es schon bei Bach);

2. der hartverminderte Septakkord (so heißt der D7 mit tiefalterierter Quinte, der ganztönig ist):
des-f-g-h wird aufgelöst nach
c-e-ges-b,
wieder folgt durch chromatische Abwärtsrückung auf eine Doppeldominante eine Dominante;

3. die übermäßige Dominante, die sich durch chromatische Aufwärtsrückung auflösen läßt.

Das Eine ist "Kleinterz-Zirkel", das Andere "Großterz-Zirkel": Die Oktave läßt sich durch kleine Terzen gleichmäßig aufteilen (c-es-fis-a-c'), durch große (c-e-gis-c') und durch Ganztonschritte, daneben nur noch durch den Tritonus, der wiederum gewissermaßen eine Untermenge dieser Zirkel ist, während der Großterz-Zirkel eine Untermenge des Ganzton-Zirkels ist. Wenn du, Fred, das erklärst, klingt es immer so, als hätte der Jazz das erfunden. Das stört mich, ehrlich gesprochen, ein wenig.

Und was ich überhaupt nicht verstehe, sind die modalen "Scales" der Jazzer. Warum muß man eine Skala, die z.B. in C-dur von d bis d' reicht, "dorisch" nennen? Das d ist ja in eurer Verwendung kein Grundton der eigentlichen Tonart, und mit alten Kirchentonarten hat das nicht die Bohne zu tun. Und wenn ihr dann auch noch neue alte Kirchentonarten wie "superlokrisch" erfindet, dann frage ich mich, ob ihr Jazzer nicht doch bisweilen ein bißchen sehr umständlich und erbsenzählerisch denkt?

Bitte um Entschuldigung für meine unnötige Abneigung gegen unnötige Anglizismen und Jazzer-Latein, aber ich weiß, daß ich nicht der einzige bin, der dem abgeneigt ist. Denn das alles sind doch unserem Tonsystem immanente Eigenschaften, die natürlich auch im Jazz genutzt werden. Es klingt bei dir immer so, als hätte der Jazz unser Tonsystem erfunden, obwohl es die "Avoid notes" schon im Vorbarock gibt.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Eine weitere Stelle, die in diesen Thread passen mag, habe ich angehängt.

lg marcus

EDIT: Ich weise darauf hin, dass ich hier keine Tonartvorzeichnung unterschlagen habe. Es ist nämlich C-Dur Vorzeichnung.
 

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@ marcus

Komisch, ich hatte bei deinem Notenbeispiel gleich gedacht, dass es das ist, was es ist. Als ich es dann aber auf dem Klavier gespielt habe, klang es doch so merkwürdig, dass ich das gleich wieder ausgeschlossen habe - bis ich doch die Noten herausgeholt habe... Es muss also damals wirklich verrückt gewesen sein!

Edit: Hier noch ein kleines Notenbeispiel von mir, bei dem es natürlich hauptsächlich um die komischen Vierklänge in Vierteln in der Mitte geht. Ich selbst habe leider kaum Ahnung von Harmonielehre und kann deswegen nichts zur Analyse beitragen. Aber es ist ja immer ganz nett, sich komische Noten anzugucken. :)
 

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Erstmal vielen Dank an Jörg & Fred für die vielen Erklärungen!

Es gibt drei Dominanten, die sich durch einfache chromatische Rückung korrekt auflösen lassen, nämlich

1. den verminderten Septakkord (der nicht ganztönig ist):
c-es-fis-a wird aufgelöst nach
h-d-f-as,
d.h. durch chromatische Abwärtsrückung folgt auf eine Doppeldominante eine Dominante (gibt es schon bei Bach);

Dazu habe ich ein paar Fragen, da ich mich in diesen Dingen nicht gut auskenne:

1) Der verminderte Septakkord besteht ja aus 3 übereinandergestapelten kleinen Terzen. Von daher frage ich mich, ob es nicht "korrekter" wäre, die Töne statt c-es-fis-a mit c-es-ges-a zu benennen, da man ja statt großer Terz mit g nun einen Halbton tiefer, also auf ges landet? Sehe ich da was falsch? Ich frage das auch deshalb hartnäckig nach, weil ich gerade bei solchen Dingen, bei der Notation eigener Komponierversuche, große Probleme habe, die Vorzeichen (ob Kreuz oder B, von Doppelkreuzen und Doppel-Bs ganz zu schweigen), immer korrekt anzugeben.

2) Wieso schreibst du, das dieser verminderte Septakkord aufgelöst wird nach h-d-f-as? Dies ist ja wieder ein verminderter Septakkord, einen Halbton tiefer. Verstehe nicht, was man da an Auflösung gekonnt hat, gerade wo der verminderte Septakkord doch schon sehr spannungsreich klingt (verminderte Septime + verminderte Quinte). Also, stattdessen von c-es-ges-a -> des-f-as, sowas klingt für mich irgendwie mehr nach Auflösung...

Bzgl. Anglizismen und verschiedener Schreibweisen würde ich es auch dankbar begrüßen, wenn man sich auf einen Standard hier verständigen könnte. Mir ist die deutsche Schreibweise auch lieber, schon alleine, weil das berühmte Thema B-A-C-H damit nachvollziehbar ist. :D
 
Zu 1)

Die Schreibung richtet sich nach der Interpretation, sozusagen. Ein verminderter Septakkord in dominantischer Funktion besteht aus großer Terz, Quinte, kleiner Septim und kleiner None der Dominanten. c-es-fis-a hat also den Grundton d, c-es-ges-a hat dagegen den Grundton f.
Allerdings wird, scheint mir, in der Literatur in b-Tonarten die kleine None öfters nicht als solche geschrieben, sondern sozusagen als übermäßige Oktav. (Es ist leichter, ein b aufzulösen statt ein Doppel-b hinzuschreiben.)

Zu 2)

Naja, der ursprüngliche verminderte Septakkord hatte den Grundton d und was daher dominantisch auf g. h-d-f-as ist ein verminderter Septakkord mit dem Grundton g, und insofern eine Auflösung. Allerdings ist dieses Ding wieder dominantisch, darum ergibt das nur als Doppeldominante -> Dominante Sinn.
 

Vielen Dank, kleines Cis, für deine Stellungnahme!

Offensichtlich scheint es mehrere Interpretationen zu geben, wie man einen verminderten Septakkord auflöst. Nämlich, wenn ich die Töne c-es-ges-a direkt auflösen möchte, also diesen Vierklang weder als Doppeldominante noch Dreifachdominante, oder sonstwas auffassen möchte, sondern als Einfach-Dominante, sehe ich da weder den Grundton d, noch den Grundton f in diesem Akkord, sondern den Grundton as. Und ich finde weiterhin, dass sich die Töne c-es-ges-a wunderschön direkt nach des-f-as auflösen lassen (oder auch nach cis-e-gis in der Mollvariante, wegen mir auch des-fes-as). Ist da ein Denkfehler drin?
 
Offensichtlich scheint es mehrere Interpretationen zu geben, wie man einen verminderten Septakkord auflöst.

Inwiefern mehrere Interpretationen? Diese Dinger kann man einfach wegen ihrer Mehrdeutigkeit in einen Haufen Richtungen auflösen.

Den Akkord nach des aufzulösen, geht wunderbar. Wenn man's ganz genau nimmt, müsste man den Akkord dann als c-es-ges-heses schreiben, aber genau das ist so ein Fall, wo manch ein Komponist wohl a statt heses geschrieben hätte.

Aber du kannst genauso andere mögliche Grundtöne annehmen und den Akkord dann einfach in einen nicht-dominantischen Akkord auflösen.
 
Mindenblues, c-es-fis-a und c-es-ges-heses sind beides verminderte Septakkorde, auch wenn der erste nicht in Grundstellung steht, sondern die verminderte Sept zur übermäßigen Sekunde geworden ist. Die Akkordbezeichnung richtet sich -- anders als im Generalbaß -- nicht nach der Lage der Umkehrung, sondern bezieht sich immer auf die Grundstellung. Ergänze ich zur Oktave, um zu verdeutlichen, daß vier kleine Terzen einen Zirkel ergeben, gibt es sowieso keine Möglichkeit, das tatsächlich in lauter Terzen zu notieren, denn zum Schluß ergibt sich doch immer eine übermäßige Sekunde: c-es-ges-heses-c'.

c-es-fis-a ist Dominante von G, bzw. Doppeldominante in C.
h-d-f-as ist Dominante in C.
Wenn c-es-fis-a nach h-d-f-as rückt, dann hat sich die Doppeldominante zur Dominante "aufgelöst".

Für die Schreibweise, bzw. Deutung verminderter Septakkorde gibt es eine einfache Regel: Derjenige Ton, der im Quintenzirkel an höchster Stelle steht, ist der Leitton. Das ist in c-es-fis-a das fis, also ist das Dominante von G, in c-es-ges-heses ist es das c, also ist es Dominante von Des.

Allerdings besteht das Wesen solcher Akkorde ja aus ihrer Mehrdeutigkeit, deswegen lassen sie sich nicht konsequent korrekt notieren, wo sie umgedeutet werden. Ein Beispiel für korrekte Notation findet sich in Beethovens Pathétique, 1. Satz, Takt 135. Dort findet man es-fis'-a'-c'' (Leitton fis), das ist hier Dominante von g-moll. Die wird umgedeutet zu dis-fis-a-c, nämlich zur Dominante von e-moll (Leitton dis). Beethoven notiert anfänglich in der linken Hand den Ton es, macht dann einen Lagenwechsel und notiert in der rechten Hand dis''. So viel Korrektheit ist aber eher die Ausnahme.

Aber bevor das hier zum Theorie-Seminar wird: Es gibt über sowas Bücher ...
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Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Aber bevor das hier zum Theorie-Seminar wird: Es gibt über sowas Bücher ...
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Jörg Gedan
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Ich habe bisher nur die Erfahrung gemacht, dass man bei vielen Theoriebüchern schon vorher ziemlich genaue Kenntnisse haben muss oder aber (wenn man sie nicht hat) das Durchsprechen mit einem Experten unerlässlich ist.

Zitat von J.Gedan:
Für die Schreibweise, bzw. Deutung verminderter Septakkorde gibt es eine einfache Regel: Derjenige Ton, der im Quintenzirkel an höchster Stelle steht, ist der Leitton. Das ist in c-es-fis-a das fis, also ist das Dominante von G, in c-es-ges-heses ist es das c, also ist es Dominante von Des.
Vielen Dank, diese Regel kannte ich nicht!

lg marcus
 
Interessant ist, wie der Quartsext aufgelöst wird, nämlich gar nicht, sondern durch zwei chromatische Rückungen in einen e-moll-56 umgedeutet, der wiederum ungewöhnlich aufgelöst wird, nämlich in einen Quasi-G7, notiert als g-eis'-h'-cisis''. Letzteren könnte man enharmonisch wiederum als Dominante mit tiefalterierter Quinte sehen, also als Cis7, der zu Fis46 aufzulösen wäre.
Tut mir Leid, dass ich erst jetzt damit komme, aber ich würde hier gern noch mal einhaken.
Ich begreife nämlich nicht, wie du aus dem g-eis'-h'-cisis'' einen Cis7 mit tiefalterierter Quinte herausliest. Das würde doch nur hinhauen, wenn es ein cis'' wäre und kein cisis''.
Oder ist mir da ein Fehler unterlaufen?

lg marcus
 
Vielen Dank auch von mir an kleinesCis und Jörg Gedan fürs Aufschlauen bzgl. verminderter Septakkorde!

Mit der Quintenzirkelregel bzgl. Leitton bei verminderten Septakkorden: mit "was am höchsten steht im Quintenzirkel" ist sicherlich gemeint, was am weitesten in Uhrzeigerrichtung steht, also auf der Kreuzseite? Denn sonst wäre ja der Leitton bei c-es-fis-a das c oder a und nicht fis? Außerdem: ist sowas nicht eine ganz willkürliche Festlegung, um überhaupt eine Festlegung zu haben? Also völlig unabhängig davon, was man von musikalischer Seite her als Leitton empfindet?
 
Wenn du einen anderen Ton als Leitton empfindest als den, der am höchsten (Kreuzseite - hoch, weil man ja die Quinten nach oben geht) im Zirkel steht, hast du den Akkord eben falsch aufgeschrieben. :P Salopp gesagt.
 
" ... wie du aus dem g-eis'-h'-cisis'' einen Cis7 mit tiefalterierter Quinte herausliest."
Als verminderter Septakkord, nämlich als verkürzte Dominante wäre Cis7 = eis-gis-h-d, d.h. das cisis ist zum d umgedeutet. gis ist in Cis7 die Quinte, also ist eis-g-h-d verkürzte Dominante zu Fis mit tiefalterierter Quinte, die meistens als Doppeldominante Verwendung findet, wobei sie oft nicht direkt in die einfache Dominante aufgelöst wird, sondern in den D46, weil die direkte Auflösung Quintparallelen ergibt, die sogenannten "Mozart-Quinten" -- die einzigen Quintparallelen, die bereits von Mozart und Beethoven bisweilen in Kauf genommen werden.
Chopin hat im oben besprochenen Beispiel auch brav zum Baßton fis aufgelöst, aber nicht in den D46, sondern nach dis-moll mit fis im Baß (könnte man zwar auch als D6 sehen, aber das Ohr nimmt hier sicher eher einen Mollklang wahr, zumal Chopin das dis verdoppelt). Obwohl Chopin cisis notiert, läßt sich der Akkord aber nicht als Dominante zu dis deuten (was hätte das g darin zu suchen?). Da ist dann auch die Funktionsharmonik hilflos und nennt alles, was sie nicht wirklich erklären kann, "freie Leittoneinstellung".

"... unabhängig davon, was man von musikalischer Seite her als Leitton empfindet?"
Im verminderten Septakkord kann jeder der vier Töne zum Leitton werden, deswegen weiß ich nicht, ob man überhaupt etwas empfindet außer durch Hörgewohnheit, weil man weiß, wie die Stelle weitergeht. Der Akkord ist von Natur aus indifferent, und diese Indifferenz hat schon Bach genutzt, indem er ihn chromatisch in der Gegend herumschiebt. Kleines Beispiel: WTK 1, D-dur-Präludium, vorletzter Takt: auf cis-e-g-b folgt d-f-gis-h -- eine Akkordfolge, die funktional keinerlei Logik hat.

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Aber ich komme mal zu oben gepostetem Notenbeispiel zurück. Sehr schönes Beispiel, Marcus!
Aber ich fände es besser, man schriebe gleich dabei, woraus es ist. Erstens fühlen sich diejenigen, die weniger Literaturkenntnisse haben, dann nicht gleich als Dummies ausgegrenzt, zweitens ist Spielchen "woraus ist das?" zwar in Zeiten des Fernseh-Quiz ganz nett, aber hier geht's doch eher um die Frage, welche Akkorde das sind, bzw. wie sie zu deuten sind.

Vor diesem Beispiel (Variation 20 der Diabelli-Variationen) kapituliere ich. Vielleicht muß man den Hintergrund der Diabelli-Variationen sehen, die der Herr Diabelli als nette Anthologie plante, an deren Zustandekommen teilzunehmen Beethoven sich weigerte. Statt mit einer von 32 Variationen zu dem Vorhaben beizutragen, schrieb er lieber selber 33. Und anscheinend wollte er den Zeitgenossen zeigen, daß er allen überlegen ist. Vielleicht deswegen wurden seine Diabelli-Variationen (über ein Thema, das unbedarfter nicht denkbar ist) zu seinem skurrilsten Klavierwerk. Diabellis Anthologie erschien und gab Beethoven Recht darin, daß das Vorhaben dummes Zeugs war, denn bis heute hält niemand oder kaum jemand es für aufführenswert (obwohl selbst der noch jugendliche Liszt eine Variation beisteuerte), während Beethovens Variationen noch gespielt werden.

Ich schließe darum nicht aus, daß Variation 20 nichts weiter ist als eine Persiflage auf dummes Zeugs.

Das ist fürwahr eine gewagte Hypothese. Aber wenn man diese spieltechnisch leichteste aller Beethovenschen Diabelli-Variation mal am Klavier durchspielt und dabei den Gedanken, daß es eine Persiflage sei, mal zuläßt, könnte man den Eindruck gewinnen, daß etwas Wahres dran ist.
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Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
" ... wie du aus dem g-eis'-h'-cisis'' einen Cis7 mit tiefalterierter Quinte herausliest."
Als verminderter Septakkord, nämlich als verkürzte Dominante wäre Cis7 = eis-gis-h-d, d.h. das cisis ist zum d umgedeutet. gis ist in Cis7 die Quinte, also ist eis-g-h-d verkürzte Dominante zu Fis mit tiefalterierter Quinte, die meistens als Doppeldominante Verwendung findet, wobei sie oft nicht direkt in die einfache Dominante aufgelöst wird, sondern in den D46, weil die direkte Auflösung Quintparallelen ergibt, die sogenannten "Mozart-Quinten" -- die einzigen Quintparallelen, die bereits von Mozart und Beethoven bisweilen in Kauf genommen werden.
Besten Dank für diese Informationen, jetzt ist es mir klar.

Was das Beispiel aus den Diabelli-Variationen angeht, könnte man auch argumentieren, dass diese Variation etwas choralhaftes an sich hat. Allerdings in sehr tiefer Lage, die Stimmführung gerade in diesen Takten sehr eng und ein mäßiges Tempo (Andante). Diese Faktoren verleihen der Variation in meinen Augen/Ohren auch ohne die mysteriösen Harmonien einen irgendwie geheimnisvollen, rätselhaften Zug. Sodass eben diese Harmonien als logische Fortsetzung dieser Gestaltung auch auf dem Gebiet der Harmonik gesehen werden könnten. So hat man wenigstens eine einigermaßen logische Erklärung, wo an der Akkordfortschreitung selbst nichts logisch ist.

Als absolute Akkorde sehe ich einen g-Moll mit kleiner Septime, einen E7 Sextakkord, und dann einen verminderten Septakkord basierend auf dem Grunton Fis, der dann weitergeführt wird nach C-Dur.

Das ergibt für mich alles keinen Sinn. Statt g-moll könnte man zwar auch einen B65 sehen, aber dass dann ausgerechnet die Sexte im Bass liegt, kenn ich so nicht. Weder die Septim noch die Terz des E7 lösen sich leittönig auf (genauso bei dem Dv) und überhaupt gibt es kaum sinnvolle Beziehungen dieser Harmonien zueinander.

lg marcus
 

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