Hi Romantikfreak,
zunächst mal: GANZ ( wirklich GANZ ) vielen Dank für diesen Beitrag.
Vorweg: Ich stimme Perahia zu, ich mag Melodisches, Gefühlvolles, Wohlklingendes. Wenn eine Dissonanz eintritt, sollte sie m.E. zügigst aufgelöst werden.
Einschränkend: Dissonante Stücke KÖNNEN für mich reizvoll sein, aber sie müssen dafür einige Eigenschaften aufweisen, die die meisten von ihnen leider nicht besitzen. Nämlich:
- Das Stück darf NICHT SCHNELL sein.
- Das Stück darf NICHT LAUT sein.
- Die Klänge, die in Erscheinung treten, müssen zart und sanft ( pp / ppp, höchstens mal ein mf ) klingen, und jeder einzelne dieser z.B. dissonanten Mehrklänge von ihnen sollte LANGE ausgehalten werden , damit das Ohr ihn - und vor allem: die BEVORZUGTEN EINZELTÖNE in ihm lange und ausgiebig verfolgen kann.
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Der "Zündstoff" liegt m.E. in einigen Ansichten, die ich zuweilen teile..( und dabei gehe ich an dieser Stelle nicht unbedingt mit Perahia "konform", dass man sich lange Jahre mit dem Studium nerviger, dissonanter Stücke beschäftigen muss: ) Es genügt bloßes einmaliges Hören, um die meisten von ihnen zu verwerfen.
Es ist nämlich so...: Man könnte m.E. Komponisten, die hauptsächlich schreiend-laute, durchgehend dissonante Stücke geschrieben haben, dahingehend einordnen, dass sie dies taten, um sich einen bestimmten, "intellektuellen" Anstrich zu geben... ( was ich nat. missbillige...) , und ferner, dass sie dies taten ( und im NACHHINEIN vermittelst merkwürdiger "Kompositionsprinzipen" und "Regeln" zu rechtfertigen versuchten ) , weil sie...GANZ VORSICHTIG gesagt, nicht in der Lage waren, ergreifende, schöne, wohlklingende Musik zu erschaffen, und somit nicht an Leute wie etwa Beethoven, Mozart, Gottschalk, Chopin, Liszt heranreichen konnten.
Glaubt es, oder nicht: Aber meines Erachtens steckt so etwas wie "Das Erbe der Unfähigkeit" in den modernen Aufführungen durchgehend NERVIG-DISSONANTER Werke ( die ich, ich betone es ausdrücklich, von den ZARTEN, INTERESSANTEN, LEISEN dissonanten Werken unterscheide. )
Ganz besonders schlimm wird es, wenn unter dem Deckmantel eines ausposaunten "ist dieses Werk [ irgendein dissonantes, neues nach Belieben zu ergänzen ] nicht supersupertoll ? " ein besonderes elitäres Verständnis impliziert werden soll, möglicherweise bei oder nach Konzertbesuchen, wo dieser Kram dargeboten wurde. M.E. geschieht das zumeist, um "mitreden wollen zu können": mitreden - in einem Bereich, der seitens der Stücke auf Unwillen und Unfähigkeit fußt, Wohlklingendes zu erschaffen.
Doch auch Liszt und Chopin kommen nicht ungeschoren davon: Nicht einmal Bach himself.
Schauen wir auf mehrere der ( ich sags ganz deutlich: ) TOLLEN ungarischen Rhapsodien:
Nach ( oder z. Teil zwischen ) hervorragend gelungenen, stimmungsvollen, auch sehr fordernden Teilen, die aber KLASSE klingen, entdeckt man zuweilen, gegen Ende solcher Rhapsodien ( Beispiele liegen vor, sind mir bekannt und werden auf Wunsch nachgefügt ) , Akkordfolgen, die...dissonant sind.
Es ist aber nicht NOTWENDIG, nur aus dem Grunde, weil man, um von "bekannten Mustern" abzuweichen, fürs Ohr ungemütliche Stellen einzubauen. Meine persönliche Regel ist folgende: Abgesehen davon, dass ich MEHRERE der Rhapsodien recht gut kenne, habe ich einmal folgendes mir zugrundegelegt: An solchen Stellen - ich sehe solche sofort - mache ich Stichproben aus JUX, um Liszt mal wieder "zu überführen":
Ich nehme einzelne Akkorde heraus und spiele sie GANZ LANGSAM: Das ist leider zum Teil nicht zu ertragen, bzgl. Dissonanz.
NUR DANN, wenn IM STÜCK ( ebenfalls getestet ) zügig und im Tempo a ) diese Stellen SCHNELL HINTER SICH GELASSEN WERDEN, und b ) notfalls gar innerhalb des SCHNELLEN Spielvorgangs angepasst werden, sodass sie NICHT GANZ SO dissonant sind, NUR DANN sind solche Dissonanzen auszuhalten. Man muss sie eben, so GUT WIE MÖGLICH, "verschleiern" und "drücken".
Selbiges gilt für Chopin, nur an anderer Stelle:
Ich sagte es schonmal: Spielt mal von Etüde op. 10, 3 den Mittelteil GANZ LANGSAM pro Griff 2 Sekunden etwa - Ihr werdet wahhhhnsinnig und werft es weg. Is so.
NUR DANN, wenn SCHNELLSTENS diese Abschnitte gespielt ( und somit auch schnellstens wieder "verlassen" ) werden, und wenn ZÜGIGST auf die "Haupt-" Auflösung hingearbeitet wird ( es gibt kleinere Neben-Auflösungen im Mittelteil, die schon eher stattfinden - diese betrachte ich hier nicht weiter ) , NUR DANN klingt der Teil annehmbar. Sonst nicht.
Bach: Auch hier: Nehmen wir WTK, irgendeine Fuge. Auch hier kann man sich bestimmte Einzelkänge rausgreifen - und dann langsam sich diese "auf der Zunge des Ohres" zergehen lassen - ( bevor man nach einem Eimer verlangt ) - also auch Bach ist nicht "der unschuldige Dissonanzenverweigerer" ) . AUCH HIER: NUR im schnell gespielten ( !!! ) Zusammenhang UND mit zügiger Hinarbeitung auf Auflösung erträglich.
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Nun zur Ehrenrettung aller drei: INSGESAMT waren und sind sie alle drei dennoch WESENTLICH anhörbarer und wohlklingender, als diejenigen neuen Komponisten, die hauptsächlich quälend-laut-schreiend-nervige Dissonanzen komponierten.-
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Ein weiterer Punkt ist: Darstellung außermusikalischer Aspekte durch Dissonanzen:
KANN man machen, - sollte aber auch zügigst aufgelöst werden. Wenn ich mich jedoch z.B. über Schrecken des Krieges, Opfer, usw. informieren möchte, lese ich Fachbücher dazu.
Schrille, schreiende, NOCH IMMER uns anklagende Dissonanz-Stücke zu diesem Thema höre ich mir grundsätzlich NICHT an.-
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Positiv herausstechen aus dem ganzen Dissonanzen-Zeug tun folgende:
Mozart und Gottschalk. Bei Mozart: Kaum jemals eine Dissonanz. Und bei Gottschalk: Wenn er mal eine eingebaut hat, wird sie ZÜGIGST wieder aufgelöst. Und es gibt da einige Stücke, die DURCHAUS böse / negative außermusikalische Grundlagen haben bei ihm. Nur sind sie DENNOCH knuffig und wunderschön, und toll anzuhören !! ( z.B.: Morte!! ), wobei eher allerdings im Großen und Ganzen eine MASSIV POSITIVE, BEJAHENDE Ausstrahlung in seinen Werken hat ( was zu viele Dissonanzen schon von sich aus unmöglich macht ) - Chopin ist seine "Spiegelseele": Er ist öfter mal "in sich gekehrt", verbittert, und traurigst.
Daher finden wir bei ihm auch z.B. Scherzo b-Moll-Sonate ( jaja, lasst das mal GANZ LANGSAM spielen, 2 Sekunden pro Klang..Ihr lauft weg!! NUR wenn schnell, dann gutt!!
LG, Olli!!