Courante, Bach Partita

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Liebes Forum,

in Auseinandersetzung mit der Spielweise der Courante (3/2 Takt) aus Bachs c-moll Partita habe ich folgende, zum Teil gänzlich von einander abweichende Ansätze gefunden. In Video 2 und 3 müsstet ihr zu den angegebenen Zeiten "spulen".

1.



ab 8:42
2.



ab 11.06
3.


4.

Wie unschwer zu hören ist, ist in den vier Einspielungen jeweils etwas anderes verwirklicht. Die Maria Tipo Interpretation (= das 1. Video) empfinde ich als die polyphon deutlichste (vielleicht weil sie so langsam ist, dass man alles sehr deutlich hören kann), jedoch steht sie schon auch in dem "Verdacht" ein sehr romantisierte, schmelzende Bach Fassung zu sein. Die Version der Nikolayeva (= das 4. Video) ist nach meinem Geschmack die klarste und kommt dem (stilisierten) Tanzsatz am nähesten, vielleicht eine Spur zu viel "Attacke". Abgesehen davon, hat sie für mich die natürlichste Polyphonie. Persönlich gefällt mir die Aufnahme gut. Rosalyn Tureck (= das 3. Video) ist Rosalyn Tureck. Die Interpretation von Argerich (= das 2. Video) bläst mich vom Stuhl, irgendwie fegt die mir zu sehr drüber (man verzeihe mir die Kritik).

Wie hört ihr diese Einspielungen?

Natürlich liegt diese Courante eingebettet zwischen einer Allemande und der nachfolgenden Sarabande. Das spielt natürlich schon eine große Rolle, wie man sie dann letztlich gestaltet, aber vielleicht können wir hier jetzt nur mal die Courante sozusagen isoliert als Tanzsatz im 3/2 Takt diskutieren.

Mir ist mittlerweile bekannt, dass es eine französische Courante gibt, deren Beschreibung von mäßig schnell bis langsam, gravitätisch reicht. Ein auftaktiger Paartanz mit spezifischen Raumbewegungen, heißt es. Hierin unterscheidet sie sich von der italienischen Corrente, die oft im 3/8 oder 3/4 Takt notiert ist und deutlich schneller gespielt wird.

Wie geht ihr an solche Tanzsätze in Suiten oder eben hier Partiten dran?

LG, Sesam
 
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Warum nur Interpretationen von Frauen? Steckt da ein Konzept dahinter?

LG,
Hasenbein
 
Hallo Sesam,

wow, herzlichen Dank für diesen Faden und den herrlichen Einspielungen, die du verlinkt hast!

Für diejenigen, die beim hören die Noten mitlesen möchten - die gibt es hier (auf Seite 7).



Vorab möchte ich sicherheitshalber noch einmal schreiben das ich noch nicht sonderlich viel Hörerfahrung habe und ja Anfängerin bin, nur damit du meine Meinung richtig einsortieren kannst...

Mit viel Freude habe ich mir die wundervollen Künstler und ihre Einspielungen angehört.

Zur Courante generell erst einmal ein Zitat von Johann Mattheson, ein Musiktheoretiker der Bach-Zeit, der die Courante wie folgt charakterisierte:
"Die Leidenschafft oder Gemüths-Bewegung, welche in einer Courante vorgetragen werden soll, ist die süße Hoffnung. Denn es findet sich was hertzhafftes, was verlangendes und auch was erfreuliches in dieser Melodie: lauter Stücke, daraus die Hoffnung zusammengefüget wird."

Unter diesem Gesichtspunkt denke ich persönlich über die tollen Einspielungen folgendes:

- Maria Tipo Tipo klingt mir zu sehr Richtung Wehmut, mehr nach nachtrauern als hoffnungsvoll nach vorn schauend.

- Rosalyn Tureck dagegen wirkt mir fast schon zu "leicht" vom ausdruck her, so als hätte sich die Hoffnung schon erfüllt und man tänzelt erleichtert umher.

- Martha Argerich klingt für mich etwas zu "wuchtig" für Hoffnung.

- Tatiana Nikolayeva: mit dieser Einspielung kann ich persönlich das Thema Hoffnung am besten verbinden.

Davon abgesehen - alle Einspielungen sind einfach grandios.

Ich hoffe, das hier noch viele Meinungen gepostet werden und sich eine interessante Diskussion ergibt.

Viele Grüße,
Manha

P.S.
Warum nur Interpretationen von Frauen? Steckt da ein Konzept dahinter?

LG,
Hasenbein

Mönsch Hasenbein, was für eine Frage - Bach ist nunmal ein Frauenmagnet! :D
 
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Hallo,

lt. Wiki soll die Courante ein mäßig schneller Gesellschaftstanz sein. Ich würde zu gern einmal sehen, wie diese Tänze getanzt wurden.
Zu dem von Manha genannten Zitat gefällt mir die Einspielung von Maria Tipo am Besten. In diesem Charakter würde ich heute einen
langsamen Walzer tanzen - schwebend, träumend, anmutig.

Aber das kann ich mir für die Zeit dieser Musik nicht vorstellen. Ich stelle mir die alten Tänze eher steif vor.

Gruß
Jörg
 
Hallo Jörg,

Wikipedia verlinkt als Tanzbeispiel zur Courante dieses Beispiel.

Das hat mich gestern auch schon beschäftigt, das sowohl das Ton- als auch das Tanzbeispiel deutlich langsamer sind als die hier eingestellten piano-Versionen von Sesam.
Wobei halt Wikipedia auch immer nur bedingt zu trauen ist.

Ich war überrascht über das Tempo der Argerich, Tureck und Nikolayeva Versionen, ich hatte etwas langsameres erwartet.
Aber ich fange gerade erst an, mich näher mit Allemanden Couranten etc. zu beschäftigen, daher habe ich da noch keine Hörerfahrungen gesammelt.

Vielleicht weiß ja einer, inwieweit die hier eingestellten Einspielungen HIP sind.

Die Tipo-Version gefällt mir als Einzelstück auch außerordentlich gut, ich mag einige romantisierende Versionen von Barockstücken zugegebenermaßen gerne (z.B. die 2. Invention von Koroliov gespielt - obwohl ich eigentlich Gould bevorzuge gefällt mir seine romantischere Einspielung besser als die von Gould)

Im Zusammenhang mit den ganzen anderen Stücken der c-moll Partita gefällt mir die Courante Einspielung von Nikolayeva am Besten.

Ich hoffe, das Gomez und Partita diesen Faden entdecken und sich zu Wort melden - Gomez kann uns bestimmt noch einiges zum allgemeinen Hintergrund einer Courante erzählen und Partita - ist auf Grund ihres Namens sozusagen verpflichtet :D

Viele Grüße,
Manha
 
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Wikipedia verlinkt als Tanzbeispiel zur Courante dieses Beispiel.

Youtube überrascht mich mit seiner Vielfältigkeit doch immer wieder. Vielen Dank für diesen Link; Da lassen sich ja auch andere alte Tänze finden.

aber der Tanz :-( Das ist ja wie heute in der Disko - so ganz ohne anfassen. (in einigen anderen Beispielen geben sie sich ja wenigsten die Hand, wenn auch in einer endlosen Promenade)

LG
Jörg
 
Das ist ja wie heute in der Disko - so ganz ohne anfassen.

nun, immerhin durften sie sich am Ende küssen :D

ich zitiere mal Thoinot Arbeau, er hat 1588 (Achtung: vor der Bachzeit) ein damals sehr bekanntes Tanzbuch herausgegeben :

„Sie haben ganz Recht, denn naturgemäß suchen sich die Geschlechter gegenseitig auf, und es giebt nichts, was den Mann mehr zur Höflichkeit, Wohlanständigkeit und Großmuth aneifert, als die Liebe. Und wenn Sie sich verheirathen wollen, so müssen Sie wissen, daß man die Geliebte durch die gute Haltung, Geschicklichkeit und Grazie im Tanze gewinnt. Mehr noch als diese, denn man tanzt um zu erkennen, ob die Liebenden gesund und im Gebrauche ihrer Glieder sind, und am Ende des Tanzes ist es gestattet die Geliebte zu küssen, damit sie gegenseitig riechen können, ob ihr Athem gesund oder übelduftend ist, was man Hammelschulter nennt.“
 
Hallo,
das ist ja schön, dass dieser Faden auf so positive Resonanz stößt. Das freut mich!
Ich habe jetzt noch mal in meinem Büchlein "Das Clavierspiel der Bachzeit" nachgelesen. Bevor ich dazu Fragen stelle, hier erst mal das Zitat:

Marpurg (1718-1795): " Man machet Couranten im schweren und leichten Dreyvierteltheil, im Drei-Achtheil und Neunachttheil. Von allem diesem ist hier nicht die Rede, sondern von der eigentlichen Tactart der Couranten etc. nach französischer Art, welche zwar zu dem schweren Dreyzweytheil gehöret, aber der äusserlichen Form des Metri nach an verscheidenen Oertern, sehr vieles von dem Sechsviertheil entlehnet. Der Unterschied ist nur, daß diese Sechsviertheilpassagen im ordentlichen Dreyzweytheil gespielet werden müssen. Der seel. Capellmeister Bach hat genugsam ächte Muster von diesem eigentlichen Courantentact hinterlassen, und in den Werken des Herrn Couperin findet man ebenfalls gute Muster, wohin ich den Liebhaber verweise."

Kirnberger (1721-1783): "Obgleich der 3/2 mit dem 6/4 Tackt wegen des verschiedenen Gewichts ihrer Zeiten keine weitere Aehnlichkeit hat, als daß beide Tacktarten sechs Viertelnoten in sich enthalten, so ist doch etwas besonderes anzumerken, daß alte gute Componisten die Courante, die insgemein in dem 3/2 Tackt gesetzt wird, so behandelt haben, das beyde Tacktarten in derselben oft durcheinander gemischt worden. Man sehe z.B. den ersten Theil einer Courante fürs Clavier von Couperin [Courante g-Moll] ... Der zweyte, sechste und die Baßmelodie des siebenten Tacktes dieser Courante sind in dem 3/2 Tackt, die übrigen Tackte aber in dem 6/4 Tackt gesetzt. In J.S. Bachs Werken findet man eine Menge auf eben diese Art behandelter Couranten"

Türk (1756-1813): "(...) die Bewegung soll ernsthaft, doch beynahe mehr gestoßen als geschleift sein (...) die Bewegung ist nicht sehr geschwind (...)

Mattheson (1681-1764): "Soll aber diese Melodie [die Courante] dem Clavier dienen, so wird ihr mehr [agogische] Freyheit vergönnet (...) doch so, daß es lieblich und zärtlich zugehe.

Wenn ich die von mir fett markierte Stelle richtig verstehe, dann ändern sich mit dem Metrum auch die Taktschwerpunkte. Also im 3/2 Takt liegt der Schwerpunkt auf der Takt 1, im 6/4 Takt dann auf der 1 und ein bißchen auf der 4. Wenn man sich jetzt die Noten dieser c-moll Courante ansieht, dann macht die Auslegung nach 6/4 Metrum irgendwie schon Sinn. Aber ich habe keine Ahnung. Hört das denn jemand aus den verlinkten Aufnahmen heraus, ob hier nach 3/2 oder 6/4 Metrum gespielt wird.
Letztlich sind das Fragen akademischer Natur, aber es interessiert mich halt.

LG, Sesam
 
hallo Sesam,

mal von der Courante abgesehen - wenn man 6 Viertel in einem 3/2 Takt vergleicht mit 6 Viertel im 6/4 Takt sähen die jeweiligen Betonungen ja ganz allgemein erst einmal so aus:

3/2 Takt: EINS und ZWEI und DREI und
6/4 Takt: EINS zwei drei VIER fünf sechs

ich habe mir jetzt mal die ersten acht Takte der Courante (Nikolayeva-Version) im halben Tempo angehört - da habe ich ein sehr starkes 3/2 Gefühl, die jeweils erste Note einer Halben kommt mir da schon betonter vor - und das gibt ja auch das Notenbild für diese Takte her.

Weiter habe ich nicht gehört, es kann durchaus sein das es zum 6/4 feeling wechselt zwischendurch, so wie Kirnberger schreibt.

Wenn du das selber weiter probieren möchtest: mit dem VLC Media Player kannst du die Stücke langsamer abspielen.

Ich habe mir die ersten Takte auch mal mit der Tipo-Version verlangsamt angehört - die ist zum empfinden der Schwerpunkte längst nicht so geeignet, so langsam gespielt kommt da auf einmal eine Menge Rubato rein.

P.S. Sollte ich Mist geschrieben haben, hoffe ich auf Korrektur von einem, der mehr Ahnung hat als ich (sooo schwer ist das ja nicht :D) - vierstimmige Couranten sind noch sehr hoch für mich.
 
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Ihr Lieben,

ich habe leider, wie so oft, nicht viel Zeit, aber ja, ich habe den Faden gefunden und möchte zumindest ein paar meiner Gedanken dazu aufschreiben.

Lustigerweise komme ich sogar gerade von einem Bach-Kurs, einem Meisterkurs, der sich nur mit Bach beschäftigt hat und von der Organisatorin des Würzburger Bach-Wettbewerbs geleitet wurde. Es wurde natürlich viel gefachsimpelt, sie hat natürlich ziemlich viel Ahnung, aber trotzdem hat sie uns alle ständig daran erinnert: "Ich habe auch nicht Bachs Telefonnummer oder email-Adresse, so dass ich ihn auch nicht habe persönlich fragen können." Das möchte ich auch gleich über meinen Beitrag schreiben, denn dasselbe gilt offensichtlich auch für mich und meine bescheidene Meinung ;)

Was bereits über den Unterschied von der frz. Courante und der italienischen Corrente gesagt wurde, ist soweit korrekt. Zu erkennen ist das übrigens folgendermaßen (inhaltliches Zitat von jener Dozentin): Auf den ersten Blick sieht eine Corrente aus wie eine Autobahn - zwei Spuren und los gehts (viel Spaß beim Fahren:p!)! Eine Courante ist auf den ersten Blick nicht so durchsichtig, man sieht schon auf den ersten Blick, dass sie viel polyphoner gestaltet ist als die Corrente.
Daraus folgt, dass die Courante langsamer sein muss, um die Polyphonie auszuspielen und sie auch hörbar zu machen. Manchmal kommt es vor, dass zwar "Courante" drüber steht, es aber eine "Corrente" ist wie z.B. in der 5. frz. Suite.

Jedenfalls haben wir hier sehr eindeutig eine Courante und keine Corrente vorliegen, was schonmal soviel bedeutet wie dass man ein Tempo wählen muss, welches die Polyphonie verstehbar macht. Aber man bedenke, dass ein Tempo auch zu langsam gewählt sein kann, um Zusammenhänge zu verdeutlichen (wie es IMHO bei der ersten verlinkten Interpretation der Fall ist).

Wie findet man das nun heraus? Erstmal muss man sich bewusst sein darüber, was eigentlich wichtig ist und was unwichtig ist. Das bedeutet zum einen, man muss sich der Taktart wirklich bewusst sein und im Klaren sein, ob man nun 3/2 oder 6/4 oder, wie ich z.B. in meiner Corrente der 1.Partita, einen 3/4 vorliegen hat. Normalerweise schreibt ein Komponist nicht "3/2", wenn er nicht möchte, dass man in Halben denkt. Natürlich passiert es hin und wieder mal, dass gewisse Dinge zu der jeweiligen Zeit als bekannt vorausgesetzt waren und daher nicht explizit notiert wurden (wie z.B. Auszierungen und Versionen in der Wiederholung), aber ich glaube dennoch nicht, dass wir hier einen 6/4 haben. Warum?

Da kommt nun auch der zweite meiner Meinung nach sehr wichtige Punkt ins Spiel, wenn man sich fragt, "was wichtig und was unwichtig ist". Man schaue sich einmal die allererste Phrase an in der Stimme, die als erstes die Aufmerksamkeit auf sich zieht, also sozusagen das "Thema" im Sopran (die Courante ist ja imitatorisch am Anfang und mit "Thema" meine ich Sopran bis zum g'' in T2, wo dann auch die Imitation in der lH einsetzt).
Nun kann man sich ein paar Fragen stellen, die für einen selbst schon ziemlich gut die Situation klären dürften, z.B.:

- Was sind das am Anfang für 16tel? Sind das "Melodie-16tel" oder in irgendeiner Weise "funktionelle 16tel"? Wenn man sie melodisch hören möchte, so geht das natürlich nur über ein langsameres Tempo - dann würde man in Vierteln denken und diese 16tel richtig melodisch ausspielen und durchhören.
Ich bin aber der Ansicht, das sind keine Melodie-16tel, sondern sie dienen nur als Auftakt zum c'' in T1 auf Zählzeit 2 von 3 (in 3/2 gedacht).

- Was ist mit den 8teln danach? c-d-es-c-as... Ist da jede gleich wichtig? Welche Töne liefern das Grundgerüst, die Eckpfeiler des Spannungsbogens innerhalb dieser Phrase? Das sind meiner Meinung nach c-es-as mit anschließender Auflösung nach "g": "c" und "es" als Grundton und Terz des c-moll Dreiklangs und "as" als von "c" aus gedacht seufzende kleine Sexte und, harmonisch gesehen, als kleine None des verkürzten Dominantseptakkords (Harmonie auf ZZ 3 von 3 in T1: das "c" ist als Orgelpunkt zu verstehen, der Rest ist h-d-f-as, also ein verkürzter Dominantseptnonakkord).
Das bedeutet für mich nun also, "c" ist die ZZ 2, "es" die ZZ "2 und", as die ZZ 3. Die anderen 8tel umspielen nur das Gerüst aus c-es-as.

Das insgesamt lässt mich schonmal nur anhand des Themas vermuten, dass es ein 3/2 Takt ist und nichts anderes. Daraus folgt, es muss schnell genug sein, um all diese Zusammenhänge hörbar zu machen. Bei Takten, die in Halben gedacht werden, neigt man irgendwie dazu zu langsam zu spielen - daher hilft es, wenn man einmal versucht, sein Tempo zu dirigieren (auch ein Tipp vom Bach-Kurs). Wenn man feststellt, dass man eigentlich schon fast stillsteht zwischen den Schlägen, so ist man zu langsam. Insofern finde ich von den oben genannten Aufnahmen vom Tempo her die letzten beiden für schön, (gerade) fließend genug, aber nicht zu schnell - selbst das Tempo von Argerich finde ich in Ordnung (vielleicht sogar besser). Dirigiert es mal auf 3/2, das ist nicht gehetzt. Sie denkt definitiv nicht in 6/4 :D

Was ich oben zu den 16teln und 8teln und soweiter gesagt und durchdacht habe, das kann man natürlich nicht nur im Thema durchdenken, sondern im ganzen Stück:
Gerade die Frage, ob 16tel (oder in einem anderen Satz, in dem entsprechend 8tel vorkommen dann eben 8tel) melodiöse 16tel sind oder nicht, ist sehr wichtig und lässt sofort Rückschlüsse auf das Tempo zu. Bsp.: Das berühmte c-moll Präludium aus WTK1, das sind offensichtlich keine melodischen 16tel --> schnelles Tempo, so dass ich 16tel nicht unnötig aufdringlich sind. Die 16tel aus der Allemande der 5.frz. Suite hingegen z.B. sind sehr melodisch --> langsameres Tempo, so dass man die Melodie auch wirklich durchhören kann.

Ansonsten gibt es natürlich viele interpretatorische Fragen, die den Rahmen heute abend definitiv sprengen würden. Z.B.: Denkt man die Stimmen klanglich eher dicht zusammen oder versucht man sehr deutliche Unterschiede zu machen (da scheiden sich die Geister - der eine Bach-Experte sagt das eine, der nächste das andere...) und natürlich die große Frage der Artikulation! Artikulation sollte nichts "Künstliches" sein, was wir dem Stück von außen aufzwängen, sondern vielmehr hat das Stück eine ihm innewohnende Struktur und Spannungsaufbau (im Großen, aber natürlich auch im Kleinen in jeder Phrase), die man mithilfe der Artikulation unterstützen muss. Das bedeutet nun aber keinesfalls, dass die Wahl der Artikulation eindeutig sei.

Aber ich höre jetzt an der Stelle auf, sonst komme ich heut nacht nicht mehr ins Bett... ;)

herzliche Grüße,
eure Partita
 

Hallo Partita,

trotz like noch einmal vielen Dank für die tolle Ausführung.
(Zu viel um das mal eben zwischendurch zu lesen, dazu brauche ich mehr Zeit).

LG Jörg
 
Guten Morgen,

das hier sehe ich gerade erst:

...
Wikipedia verlinkt als Tanzbeispiel zur Courante dieses Beispiel.

Das hat mich gestern auch schon beschäftigt, das sowohl das Ton- als auch das Tanzbeispiel deutlich langsamer sind als die hier eingestellten piano-Versionen von Sesam.
...

Dirigiere mal die Courante, die wiki verlinkt und dirigiere mal die aus der c-moll Partita (in Halben!) und staune über dein Ergebnis :)

Herzliche Grüße,
Partita
 
Hallo Partita,

ein wundervoller Beitrag, ganz herzlichen Dank dafür!

Das mit dem dirigieren werde ich heute Abend mal ausprobieren - ich fürchte wenn ich das jetzt hier im Laden mache werden die Kunden mich etwas seltsam anschauen :D

Die Partiten wurden früher nicht getanzt, oder?
Ich stelle mir vor, das es mehr für eine Art von Konzertveranstaltung komponiert wurde, ist das richtig?

Herzliche Grüße,
Manha
 
Rosalyn Tureck (= das 3. Video) ist Rosalyn Tureck.

Hallo Sesam,

danke für den schönen Faden.

Rosalyn Tureck ist Rosalyn Tureck. Das hast du schön gesagt.

Bezüglich Bach neige ich zur Apotheose.:p
Und Rosalyn Tureck ist für mich die Hohepriesterin, die Bach unter Aufgabe ihrer selbst zelebriert.
Bei ihr, und nur bei ihr, habe ich das Gefühl, dass sie direkt und ungefiltert aus den selben Quellen schöpft, die auch Bach "gehört" hat.
Dies ist keine Interpretation, dies IST die Quelle.
Das ist der Ur-Klang.
So höre ich es.

Als "Interpretation" gefällt mir die Einspielung von Maria Tipo mit weitem Abstand am Besten.

... auch mag ich Murray Perahia.

Lieber Gruß, NewOldie
 
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Liebe Partita,
vielen herzlichen Dank für deinen tollen Beitrag!!
Ich möchte da noch mal einhaken: was die Tempowahl betrifft, hatte ich angesichts der verschiedenen Beispiele auch den Verdacht, dass sich hier die Taktauffassungen unterscheiden. Also Argerich im 3/2 Takt, deshalb flott unterwegs, was aber in Halben gedacht letztlich gar nicht hektisch ist (es klingt halt nur so :cool:), bei Maria Tipo hat man das Gefühl, sie zelebriert jedes Viertel. Streng genommen wären die schnelleren Tempi aber die "korrekteren", da sie den Taktschlägen auf die Halben gerecht werden, der Dirigent sonst Spinnweben ansetzt.

ABER: wenn du schreibst, die Sechszehntel in T1 sind "auftaktig" zu denken für die Melodie, die auf ZZ 2 ansetzt ... ist das nicht seltsam, dass eine Melodie auf einer unbetonten ZZ einsetzt? Bei einem 3/2 Takt ist die 1. ZZ betont, die anderen leichter. Da wäre doch anzunehmen, dass das "Thema" auf die 1 kommt und nicht etwa der "Auftakt". Oder?

Mein anderer Gedanke ist in T1 die untere Stimme zu beachten. Die spielt da ganz gemütlich einen c-moll Akkord in Grundstellung. Und zwar jeweils auf die Vierteln. Erst mal muss das ja nichts heißen, wenn nicht der Dreiklang auf dem 4. Viertel (g) (in 6/4 gedacht) komplett wäre, also dem zweiten etwas betonten Schlag im 6/4 Takt. Hier ist sozusagen eine leichte Spannung da, wie es weitergeht, auf dem fünften Viertel folgt der harmlose Anschluss auf das banale c`.
Der Gedanke mit den Taktschwerpunkten ist auch angesichts der Oberstimmenachtel nicht so abwegig, denn in der Achtelgruppe (c``-d``-es``-c``) fällt das es`` auf die vierte Viertel (wieder im 6/4 Takt gedacht), was es gegenüber dem abfallenden c`` hervorhebt. Ok, sehr überzeugend ist das für die Oberstimme nicht, aber die bei allen vier Aufnahmen hörbare Betonung des es`` braucht schließlich ne metrische Erklärung :p

Natürlich bleibt festzuhalten, dass Bach einen 3/2 Takt vorgeschrieben hat. Warum also sollte er dann einen 6/4 Takt hören wollen. Ende der Diskussion. Aber ich persönlich höre hier nicht: 1 2 3, sondern 1 2 3 4 5 6.

Ich werde morgen auch meine Lehrerin fragen. Mal sehen. Aber vielleicht gibt es auch noch andere Meinungen hier im Forum. Ich finde es gerade sehr spannend.

Hat denn jemand ein gutes Hörbeispiel für eine "echte" 6/4 Courante parat?

LG, Sesam
 
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Beitrag gelöscht - das war gewagter Unsinn :D
 
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Das es`` ist in der zugrunde liegenden Tonleiter der Zielton

Welche Tonleiter meinst du denn? Ich dachte wir sprechen hier von c-moll, nicht von der parallelen Dur.

Und eben dieser sehr markante Strebeton as

Für mich ist das überhaupt kein "Strebeton"; für mich besteht der Reiz in diesem Ton darin, dass er zusammen mit dem nachfolgenden d`` und f`` zwingend auf g´´ zuspielt.

Was ich mit Spannung meinte war weniger eine nach Auflösung strebende Dissonanz, sondern die Tatsache, dass hier auf Vierteln in der Unterstimme ein c-moll Dreiklang gebildet wird, der ja im Verlauf des Taktes irgendwie weitergeführt werden muss. Und siehe da: ausgerechnet auf dem vierten Viertel folgt des Rätsels Lösung.

LG, Sesam (immer noch unentschlossen ob 3/2 oder 6/4)
 
Welche Tonleiter meinst du denn? Ich dachte wir sprechen hier von c-moll, nicht von der parallelen Dur.

Waia ja, da hatte ich meinen wichtigsten Gedankengang, von dem ich meine Überlegungen gestartet hatte, gar nicht erst geschrieben.

Mein Ausgangsgedanke bzw mein Ausgangsgefühl beim hören war, das die besagte Linie in es-Dur ist (als "Kontrast zu den anderen Stimmen in c-moll).

Auf diesen Gedanken baute dann mein posting auf.

Viele Grüße,
Manha
 
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