Pianisten: alte Generation vs neue Generation

  • Ersteller des Themas Romantikfreak98
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Das ist wiederum für mich sehr interessant, liebe(r) Kreisleriana, denn ich habe bei meinem ersten Live-Konzert von Jörg Demus vor über 40 Jahren sein Spiel genau so empfunden, wie Du das heutige beschreibst ... Muss aber sagen, dass ich trotzdem im Lauf der Jahrzehnte auch eine wesentliche Entwicklung beobachtet habe, und zwar ebenfalls in Richtung noch grössere Verinnerlichung, bei gleichzeitig noch gewachsener Intensität. Wahrscheinlich war es bei dem grossen Backhaus (den Demus auch sehr bewunderte) ähnlich. Ist doch eine höchst erfreuliche Sache, wenn der altersbedingte Abbau, der sonst in fast allen Bereichen zuzuschlagen pflegt, vor bedeutenden Musikern haltmacht und gar ins Gegenteil umschlägt! Also können sich theoretisch auch diejenigen, die heute junge Pianisten vorziehen, auf deren Zukunft freuen ...
 
alter Faden, trotzdem kann man das so nicht stehen lassen.

Erstens bewirken einschneidende Erlebnisse keinesfalls einen Reifungsprozess- leider (ein recht weit verbreiteter Irrtum übrigens). Man kann allerhand Tragödien erleben, deswegen wird man weder ein besserer Mensch noch ein besserer Musiker!

Serkins letztes B Dur Konzert von Mozart ist also von Senilität geprägt....?:krank:

Horowitz hat Mozart im Alter äußerst eigenwillig gespielt, absolut nicht Standard-Maß, aber die Aufnahmen sind trotzdem ein Wunder an Gestaltungskraft am Flügel, das kein anderer Pianist in dieser Weise vollbrachte.

Oder Wilhelm Backhaus:
hört man seine Jugendaufnahmen (zB die 24 Chopin Etüden) , aber auch seine "Klassiker", also die Gesamteinspielung der Beethoven Sonaten, so ist vieles darin sehr "deutsch", sehr geradlinig, schnörkellos, grundsolides Handwerk eben.
Hört man dann den Mitschnitt des alten Backhaus aus Ossiach an, zu welchem Leben erwacht da plötzlich Beethovens Jagd-Sonate.

Oder Jörg Demus:

seine frühen Aufnahmen waren stets Referenz für penibel-sauberstes Pedalisieren, trotzdem blieb vieles "unausgesprochen", in einem YT Video beklagt er sich in einer Meisterklasse deutlich über übermäßiges Rubato der Schülerin. Und dann kamen seine späten Aufnahmen und Auftritte. Leider findet man sie nirgends, weder auf Amazon noch auf YT. Wie Demus vor 10 Jahren die Schumann Fantasie einspielte (auf seiner CD "die ewige Fantasie"), gehört zu den Sternstunden der Interpretation dieses interpretatorisch und technisch enorm anspruchsvollen Werkes, die Wahl des Schlusses der Fantasie in der ursprünglichen Fassung mit dem "Fernen-Geliebten" Zitat verleiht der Aufnahme zusätzliche Schönheit.
Sein live Mitschnitt aus Peking 2013 enthält die schönste Interpretation von Schuberts Ges Dur Improptu die ich je hörte und die sogar Lipattis Aufnahme übertrifft: plötzlich, jetzt im hohen Alter, hält Jörg Demus inne, wenn der musikalische Fluss danach verlangt, sein Spiel erreichte erst jetzt eine Tiefe und Innigkeit, die nur ein erfülltes Musikerleben schenken kann, auf der gleichen CD erklingen die Kinderszenen in einer fast schwärmerischen Verträumtheit, die jede Klangmöglichkeit des Konzertflügels auskostet. Beethovens op 111 ist kein Bravourstück mehr, die letzte Sonate Beethovens verklingt in ätherischem Klangzauber.
( apropos: Jörg Demus konzertiert am 17.August wieder in Österreich mit Schumanns Kreisleriana. und Beethovens op 110)

Lieber Kreisleriana,

je vous tire mon chapeau! Du bist ein grosser Musikkenner, dies beweisst deine Rezension über den live Mitschnitt aus Peking 2013 mit Jörg Demus, mit Sicherheit einer der bedeutendsten Aufnahmen, der genannten Werke.
Jörg Demus spielte die von Dir erwähnten Werke im Schumannhaus in Zwickau, für das anspruchsvolle Publikum und den Kritikern ein unglaubliches Erlebnis. Jörg Demus wurde darauf wieder eingeladen.

Ein fantastischer Klavierabend in Wetzikon, der Kritiker Carsten Dürer "Pianonews 3/14" Zitat:.... welch grossartiger Pianist Demus auch im hohen Alter ist. Ein pianistischer Erlebnis-Abend der Sonderklasse.
Das Publikum, Musikliebhaber, Musiker, Veranstalter und Werner Bärtschi Künstlerischer Berater waren fasziniert von diesem Konzert.
Wir wurden mit Mails und Briefen überschüttet, ältere Musikliebhaber schilderten wie 109 ihre Erlebnisse mit Jörg Demus bis 50 Jahre zurück, war sehr interessant und eindrücklich dies alles zu lesen.
Demus war dazumal schon ein hochangesehener Pianist.
Auch in Wetzikon wurde Jörg Demus wieder eingeladen, er wird dort ende Januar 2015 spielen, genaues Datum werde ich noch bekannt geben.
Vielleicht lege ich von dem genannten Live Mittschnitt , Schuberts Ges Dur Impromptu auf Youtube.

Cordialement

Destenay
 
Lieber Destenay,

erstaunlicherweise habe ich, obwohl in der Schweiz wohnend, von Klavierissimo erst vor wenigen Jahren erfahren, das Festival scheint nur in Zürich und Umgebung gut bekannt zu sein? Aber vielleicht ändert sich das noch, wenn Werner Bärtschi, der ja selbst ein bedeutender Musiker ist, weiterhin so hochklassige Solisten verpflichten kann. Hat jemand Erfahrung damit, ob ein Konzertveranstalter besser ein reiner Geschäftsmann oder auch Künstler sein sollte? Falls Letzteres, dann jedenfalls einer, der grosse Kollegen neidlos anerkennt ...
 

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