Ich mag kein Bach, bin ich normal? ☺

E

EMoll

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Hallo zusammen,
mich würde interessieren, ob es hier jemanden gibt, dem es bzgl. Bach so geht wie mir. So ziemlich jeder, den ich kenne, mag Bach. Alle sind sich sicher, dass er der genialsten Komponist überhaupt ist, egal ob Jazz- oder Klassikliebhaber.
Nun ist meine Überschrift etwas plakativ, es gibt schon hervorragende Werke von Bach, aber so auf Dauer klickt es bei mir nicht. Musiktheoretisch ist das meiste schon spannend, was Kontrapunktik oder Polyphonie angeht, aber bei mir stellt sich schnell das Gefühl ein, als würde ich einem Uhrwerk zusehen: Hoch spannend, wie alles so präzise ineinander greift, aber nach kurzer Zeit eben auch langweilig. Und ich finde, den Kantaten hört man an, dass sie quasi am laufenden Band komponiert wurden.
Ich will jetzt niemandem seinen Bach madig machen, mich würde nur interessieren, ob es noch jemanden gibt, der zwar klassische Musik mag, aber mit Bach wenig anfangen kann.
 
Ich mag auch keinen Stravinsky, bin ich unnormal? Vielleicht kommt es bei dir ja noch, ich habe auch ein Schlüsselerlebnis gebraucht...
 
Was Du bezüglich Bach schreibst, stimmt per se zum Teil (Uhrwerk) - zum Teil aber beruht das auch auf der Aufführungspraxis, bzw. auf den Interpreten.
Wie findest Du das?

 
Die Schafe finde ich jetzt aber auch nicht gerade "Bachtypisch", genau so wie Air.
 
Ich mag keinen "erwachsenen"Jazz (also den ganz schrägen) ... und ich bin auch normal ;-) Wieso Du nicht auch?
 
Bach ist für jeden Klavierlernenden m. E. nach unverzichtbar.

Er hat schon geniale Stücke geschrieben und das meiste davon bestimmt im Schein einer oder mehrerer Kerzen.

Ich mag vieles von ihm auch nicht, aber ich mag auch vieles von ihm sehr.

Und mit einer seiner Inventionen bereitet er mir gerade arges Pein!
 
Ich habe eigentlich die Erfahrung gemacht, dass zumindest bei anderen Klavierschülern Bach nie sonderlich beliebt war. Bei einem klassischen Wettbewerbsprogramm für z.B. Jugend musiziert ist eigentlich Bach immer so "muss halt", romantisches Stück da beliebteste und modernes Stück je nachdem.

Mir geht es etwas ähnlich wie dem TE. Großen Respekt empfinde ich für Bach, aber nur für wenige Sachen wirklich Liebe.
Ein bisschen ähnlich geht es mir mit Schumann.
 
Ich mag Bach unheimlich gerne.
Schumann mag ich dafür gar nicht.

Aber es ist der Geschmack eines jeden persönlich.
Das mit dem Uhrwerk kann ich schon nachvollziehen. Ich finde seine Tonfolgen faszinierend - wenn Ihr wißt, was ich meine.
 

Hallo EMoll! Schönes Thema!

Mir ging es früher genauso wie Dir. Ich konnte nur sehr wenig bis überhaupt nichts mit Bach anfangen. Allein schon die Fülle seines Werkes erweckte in mir den Eindruck der Oberflächlichkeit und fehlender Aussage. Dazu war Bach für mich auch noch etwas, was der Spießer zu Weihnachten raus holt. Dann, vor einigen Jahren, begann ich, mich intensiver und gezielter mit ihm zu beschäftigen. Ich habe für mich herausgefunden, dass mir die meisten Interpretationen von Bach, die man so hört oder auch auf Youtube findet, nicht gefallen. Es wird ja auch von vielen immer wieder behauptet, dass man Bach "so" spielt und nicht anders. Ich kann dieses sture Muster nicht nachvollziehen. Als ich mich z.B. begann, in die zweistimmigen Inventionen hineinzuhören und wieder mal im Internet nach Interpretationen suchte, dachte ich, Bach hat sie wahrscheinlich als Fingerübungen geschrieben, ohne jeden Ausdruck und Gefühl. Erst, als ich meine Suche intensivierte, stieß ich auch auf wirklich wundervolle Interpretationen. Heute finde ich Bach hoch interessant. Natürlich kann ich als Klavierlaie seine Musik nicht wirklich erfassen und begreifen. Aber immerhin bin ich schon soweit, dass ich mich mit ihm beschäftige. Ich arbeite z.B. derzeit unter anderem an Air, arr. von Siloti. Bachs Musik kommt mir auch von den Klassikern (im weitesten Sinne) mit am Zeitlosesten vor. Manchmal, wenn ich seine Musik auf den Ohren habe, z.B. wenn ich im Zug sitze, kommt es mir so vor, als hätte er die Musik für unsere Zeit geschrieben. Das ist natürlich Blödsinn, zeigt aber, dass sie für unseren Zeitgeist leicht zugänglich ist. Natürlich gefällt mir auch vieles von Bach nicht. Aber das geht mir bei allen Komponisten so. Man muss sich die Mühe machen und sich intensiv mit den Komponisten und ihren Werken beschäftigen. Das allermeiste, was in den Massenmedien in Sachen Klassik gedudelt wird, finde ich persönlich oft unterirdisch. Sei es, das Werke auseinandergerissen werden oder sich so abnutzen, dass man sie nicht mehr hören will. Immer die gleichen Klaviersonaten und Sinfonien. Ich bin nur ein Laie am Klavier und deshalb kann es natürlich auch sein, dass ich einen Haufen Misst erzähle.

Andreas
 
Nicht alles von Bach ist von höchster Qualität, aber sehr vieles schon. Dass es gerade unter den Kantatensätzen auch routinierte Fließbandarbeit gibt, sollte kaum erstaunen - schließlich war er aufgrund seines Amtes gezwungen, das Zeug zu komponieren. Trotzdem sind einige Kantaten (u.a. der Actus tragicus, beide Choralkantaten über "Nun komm der Heiden Heiland", die Kreuzstab-Kantate oder "Ich habe genug") vollendete Meisterwerke. Ebenfalls die Passionen und vor allem die H-Moll-Messe.

Von Bachs Klaviermusik mag ich auch nicht alles gleichermaßen. Die Goldberg-Variationen bewundere ich zwar irgendwie, aber 1,5 Stunden G-Dur am Stück finde ich sehr ermüdend zu spielen und zu hören. Die englischen Suiten sind ebenfalls nicht so mein Ding. Aber auf eine einsame Insel würde ich in jedem Fall das komplette WTK, die französischen Suiten, die Partiten 1, 2, 6, die französische Ouvertüre und die Kunst der Fuge mitnehmen. Es ist schon ein Vergnügen, diese Sachen nur zu lesen, und sie zu spielen, ist atemberaubend. Ich würde eher auf den kompletten Chopin verzichten als auf diese Werke von Bach.

LG, Mick
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie sieht es mit den Chorwerken aus - Johannespassion Eingangschor (und auch der Rest), die H-moll-Messe, besonders auch die Fugen (z.B. Kyrie Eleison)? Wenn du die gesungen oder so genau gehoert hast, dass du sie gut kennst, magst und schaetzt du Bach anschliessend. Das passt nicht nur alles gut konstruiert ineinander, sondern das ist zutiefst ergreifende Musik. Ich wage zu sagen, noch staerker als die reine Instrumentalmusik.
Wenn du Zeit hast und wirklich interessiert bist, such dir ne gute Aufnahme und hoere dir das mal an.
 
Die Frage ist immer, ob jemand nur Bach nicht mag oder generell Barockstücke (wie z.B. auch Scarlatti).
Wie ist das bei Dir, Emoll?

Ich sach ma so:
Romantische Stücke machen, auch wenn eigentlich noch nicht gut gespielt, schon eine Menge her, und man kann sich einbilden, eigentlich schon ganz gut zu spielen. Das Pedal lässt alles voll klingen, und man kann rhythmisch unglaublich rumschlampen (bzw. eigentlich gar nichts verstanden haben) und sich dennoch einreden, dass man es doch eigentlich schon "kann". (Bzw. man verkauft sich selber dieses Gemansche als "Rubato"...)

Bach oder auch Mozart erlauben das nicht.
Hier muss klar und deutlich musiziert werden, hier muss gezeigt werden, ob man die Fähigkeit zu Rhythmus, ja "Groove", besitzt.

Viele Amateurspieler (und auch Fortgeschrittenere...) stehen jedoch mit Rhythmus und Groove auf Kriegsfuß. Nicht umsonst sind diese wattigen TEY-Stücke so beliebt, die durch simple durchlaufende Achtel in der Begleitung einen Rhythmus nur vortäuschen und dem Spieler die Arbeit, wirklich eine "time" am Start zu haben und sich exakt darauf zu beziehen, abnehmen.

Leider gibt es zu viele Klavierlehrer, die zu wenig Wert auf echten Rhythmus und auf ausreichende Behandlung genuin rhythmusorientierter Literatur legen. Deren "Opfer" bekomme ich dann manchmal weitergereicht, und ich muss das dann geradebiegen... (oft genug muss ich mit welchen, die schon jahrelang Unterricht hatten, erstmal Grundlagen durchnehmen wie "wie benennt man Zählzeiten?", "auf welcher Zählzeit ist diese Note dort?", "wie nennt man die Noten mit dem unausgefüllten Kopf und einem Hals dran?" etc. Ohne Scheiß!)...

LG,
Hasenbein
 
Ich sach ma so:
Romantische Stücke machen, auch wenn eigentlich noch nicht gut gespielt, schon eine Menge her, und man kann sich einbilden, eigentlich schon ganz gut zu spielen. Das Pedal lässt alles voll klingen, und man kann rhythmisch unglaublich rumschlampen (bzw. eigentlich gar nichts verstanden haben) und sich dennoch einreden, dass man es doch eigentlich schon "kann". (Bzw. man verkauft sich selber dieses Gemansche als "Rubato"...)

Bach oder auch Mozart erlauben das nicht.

Tja, da ist wohl eine Menge Wahres drann, wenn ich an mein eigenes Spiel denke. Schön, besser nicht so schön, wenn man sich selbst hier wiederfindet.
:-|
 
Liebe/r emoll, mir ging es genauso wie Dir.
Ich habe meine Liebe zu Bach erst durch die Violinsonaten entdeckt. Ich versuche es mal bildhaft zu beschreiben: Romantische Musik ist vielleicht ein bisschen berauschend wie ein Glas Wein, während ich bei Bach immer das Gefühl von reinstem Bergquellwasser habe. Irgendwie klärend und auf das Wesentliche reduziert. Wenn mein Kopf überquillt und ich genervt und gestresst bin, bringt Bach mich wieder auf die Erde!
Ich weiß nicht, ob Dir das hilft.:konfus:
 
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Vielleicht kannst du dich Bach mit seinen Bearbeitungen nähern? Die hier ist grandios! Da hörst du, warum er ein ganz großer Romantiker war

 
Hier nur ein Ausschnitt aus der Partita Nr. 2, der mich nach wie vor beeindruckt:



lg marcus
 

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