Große Sprünge

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Bernhard Hiller

Bernhard Hiller

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28. Aug. 2013
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"Ha, ne Dezime, das soll n großer Sprung sein" werden sicherlich die Langfinger unter uns einwenden. Ich will euch nicht von der Diskussion ausschließen, nehmt es halt n bißchen größer, ne Duodezime, oder Quindezime für den Digitus Longus.
Aber für mich Kurzfinger ist bei meinem gegenwertigen Stand der Technik bereits bei der Oktav so ziemlich Schluß: die kann ich noch sauber greifen, mit der Hand in "normaler" Haltung über der Tastatur. Bei der None muß ich bereits tricksen: die Hand befindet sich vor den Tasten, nur die äußersten Glieder des Daumens einerseits und des kleinen oder Ringfinger andererseits liegen auf den Tasten auf; rechts geht das "ganz gut", links dank arthritischer Schädigung des Daumengrundgelenks gerade noch so.
Zum Glück sind die Noten der Dezime-Phrasen im drittletzten Werk der Russischen Klavierschule (160. Menuett) nur nacheinander zu spielen, nicht gleichzeitig, z.B. a''-f'-a'' oder f''-d'-f''. Aber das kann ich zwangsläufig nicht mehr aus ruhiger Hand heraus: ich muß da "rumhüpfen".
Welche Empfehlungen könnt ihr geben, dies ruhig und gebunden statt abgehakt zu spielen?
Oder: gibt es irgendwelche Haltungstricks, um das zu schaffen? Als Gitarrenspieler weiß ich, daß ich Griffe, die weit übers Griffbrett hinweg gehen, am besten mit tief liegendem Daumen spiele, die Hand locker am, schon eher unter, dem Halse. Gibt es für's Klavier ähnliche Tricks?
 
Lieber Bernhard

Es melden sich hier sicher noch Berufenere zu Wort. An der eigenen Anatomie kann man natürlich nicht vorbei und auch wenn sich im Laufe der Zeit die Fähigkeit zu weiteren Spreizungen sicher verbessert, hat jeder seine persönlichen Grenzen.

Wenn ich Dich richtig verstehe, geht es bei Dir nicht um Sprünge, bei denen man die gesamte Hand versetzen muss, sondern um große Intervalle, die an oder jenseits der Grenze des bequem Greifbaren liegen.

Ich denke, dass zunächst das Bild, das Du verwendest, um die nötigen Bewegungen auszuführen ("hüpfen") kontraproduktiv ist. Ich denke, Du solltest dir eher schwingende oder kreisende Bewegungen anstreben. Es ist sicher auch nicht zielführend zu denken: "mein Gott, ist das eine große Distanz". Ich kenne das vom Singen, wenn ich denke "uh, das wird jetzt aber hoch", habe ich schon verloren, weil ich mich innerlich verkrampfe.

Es könnte Dir helfen dir einen flachen Bogen vorzustellen, der beim a'' beginnt und beim f' endet. Die gesamte Hand bewegt sich auf der Bahn dieses Bogens hin uns her. Wie man vielleicht einem kleinen Kind über den Kopf streichen würde. Dabei bewegen sich nicht primär die Finger, sondern es "rotiert" der ganze Unterarm, Daumen und fünfter Finger bleiben in einer stabilen Position zueinander. Wenn man sich eine Linie denkt, die vom Ellbogen beginnt und zentral durch den Unterarm bis zum Mittelfinger verläuft, ist das die "Achse" der Rotationsbewegung. Auch diese Achse bewegt sich vorne zwischen den beiden Tasten hin und her. Im Verhältnis zur Länge des Unterarms ist diese Bewegung aber ziemlich klein. Daher auch kein Grund, warum das nicht klappen sollte.

Was auch helfen könnte, ist das Handgelenk in einer elliptischen Bahn kreisen zu lassen. Fünfter Finger drückt a'' und dient als Impulsgeber für die Bewegung des rechten Handgelenks: gegen den Uhrzeigersinn bewegt sich das Handgelenk auf einer Ellipse. Zunächst oberhalb des Tastenniveaus, nachdem der Daumen das f' angeschlagen hat, geht es unterhalb des Tastenniveaus wieder zurück.

Wichtig ist, dass insgesamt eine einheitliche Bewegung entsteht. die über einen einzigen Bewegungsimpuls ausgelöst wird. Je nachdem, wie flüssig und Schnell die Bewegung ausgeführt wird, desto stärker nähert man sich einem echten Legato an. Ich Akkustik hilft hier oft über kurze Unterbrechungen hinweg. Und natürlich hat man ja auch noch das rechte Pedal, um größere Intervalle legato spielen zu können.

Liebe Grüße
Gernot
 
das rechte Pedal, um größere Intervalle legato spielen zu können
Legato spielen kann man Sprünge niemals, auch nicht mit Pedal. Das liegt in der Natur des Sprunges. Man kann mit dem Pedal eine Klangverlängerung erzeugen. Die klingt dann so als wäre legato gespielt worden. Deshalb benutzt man das Pedal auch so gerne als Rettungsring wenn es haarig wird.

Sprünge richtig treffen braucht oft mehr Üben als andere Stellen. Es ist eben nicht immer einfach und Tricks mit Erfolgsgarantie gibt es leider nicht.

CW
 
Ich habe gerade mal nachgesehen: dein Menuett stammt aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, und es wäre musikalisch zeimlich unsinnig, die Sprünge tatsächlich legato zu spielen. Die Figur in den entsprechenden Takten ist eine typische Violinfigur, die eine versteckte Zweistimmigkeit andeutet. Wenn man diese Stelle auf der Violine spielen würde, müsste man das a'' auf der E-Saite spielen und das f' auf der D-Saite. Legato geht das niemals, weil man ja über die dazwischenliegende A-Saite springen muss, die man mit dem Bogen nicht berühren darf. Dein Problem ist also gar keins: spiel diesen "Sprung" bitte nicht legato – das wäre stilistisch einfach falsch!

Ehrlich gesagt, hätte mich eine Legato-Dezime auch gewundert, denn der 1. Band der Russischen Klavierschule ist für 5 bis 6-jährige Kinder. In dem Alter habe ich die auch durchgenommen; und da konnte ich noch lange keine Oktaven greifen.

LG, Mick
 
Es ist exakt so, wie @mick es erklärt hat. Spiel die Viertelnoten (a2 und f2) tenuto, also möglichst lange gehalten, das eine Dezime tiefer liegende Achtel staccato, die darauf oben folgenden Achtel melodisch legato.

Dennoch ein weiterer Tipp zur Treffsicherheit: eigentlich ist das kein "Dezim-Sprung" für die Hand, sondern nur ein kurzes hin und her über die Distanz einer Terz. Um das sehen und begreifen zu können: berühre mit dem Daumen das a1 während du das a2 mit dem kleinen Finger spielst, schau nur auf deinen Daumen - hoppla, der muss ja nur von a1 nach f1, nicht weiter - und beim "hochspringen" zurück zum a2 schau wieder nur für deinen Daumen auf das a1.
Dieser "Trick" ist von Liszt.
(mag sein, dass das hier gar nicht nötig ist - dann wird´s halt später mal nützen)
 
Besten Dank für die Hinweise, werd's mal ausprobieren.
"Legato" dachte ich deshalb, weil da ein Bogen drüber eingezeichnet ist - wird wohl ein "sonstiger Bindebogen" oder wie auch immer man den bezeichnen möchte sein.
 
Ich kenne das vom Singen, wenn ich denke "uh, das wird jetzt aber hoch", habe ich schon verloren, weil ich mich innerlich verkrampfe.
Das erste, was ich meinen Chören (sofern erforderlich) schnellstmöglich austreibe, ist das "Anspringen wollen" von Tönen, da es um die Vorstellung der erforderlichen Körperspannung für den hohen Ton bereits beim Singen des tiefen Tones geht. Dieser Vorgang wäre mit einem "Hüpfen" auf der Tastatur vergleichbar - unter Druck baut sich Gegendruck auf, wie aus der Elementarphysik bekannt. Es funktioniert so nicht, weil es so nicht funktionieren kann.

Vielmehr muss der zurück zu legende Weg möglichst klein sein und eine organische Verbindung in Form der einfachsten verbindenden Bewegung erfolgen - nämlich der des Bogens. Auch für größere Sprünge über mehrere Oktaven gilt dieses Prinzip.

LG von Rheinkultur
 
, da es um die Vorstellung der erforderlichen Körperspannung für den hohen Ton bereits beim Singen des tiefen Tones geht.

So ist es. Ich hatte ein paar Jahre Stimmbildung und hatte diesbezüglich einige Aha-Erlebnisse. Der Schlüssel zu "schwierigen" Stellen lag häufig im vorangehenden "einfachen" Teil, dem ich nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet hatte.

Liebe Grüße
Gernot
 
Vielmehr muss der zurück zu legende Weg möglichst klein sein und eine organische Verbindung in Form der einfachsten verbindenden Bewegung erfolgen - nämlich der des Bogens. Auch für größere Sprünge über mehrere Oktaven gilt dieses Prinzip.
meist genügt ein sehr flacher Bogen (es sei denn, man muss a la Pathetique über die andere Hand hinweg) und im vorliegenden Fall ist es, wie gezeigt, nur das unproblematische Versetzen des Daumens (mitsamt der Hand) über die geringe Distanz einer Terz.
 
der 1. Band der Russischen Klavierschule ist für 5 bis 6-jährige Kinder
Tja, das ist auch Teil des Problems: Gut 40 Jahre älter habe ich zwar keine Riesenhände, aber sicher größere. Wenn ich die Stücke auf die Lernziele hin untersuche, so komme ich oft auf "größere Spreizung in der linken / rechten Hand". Und bei diesen Dezimen runter und rauf stieß ich erstmals an meine Grenze - die Kinder tun das sicherlich eher.
Immerhin ist auch bei mir dieses Lernziel angekommen. Späteinsteiger mit größeren Händen könnten es im ersten Band vermissen, ohne daß es ihnen auffiele.
 

Wenn es Stellen gibt, die schwierig und vielleicht gerade so zu greifen sind,
spielt man sie am besten so oft es geht. Bei meinen händen funktioniert es zumindest,
dass die Stelle nach gewisser Zeit besser zu greifen ist und die Stelle besser spielbar wird (die Hand vergrößert sich zwar nicht, aber möglicherweise dehnt man dadurch die Finger ein bisschen weiter auseinander). Bei zu großen Abständen musst du vielleicht einen Roll-Up machen.
 

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