Werke von Komponistinnen / Women composers

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass es Menschen gibt, die bei einer vierstelligen Anzahl von Komponistinnen so viele Werke kennen, dass sie zu einem allgemeinen Qualitätsurteil kommen.

Aber wie dem auch sei, um Werke zu beurteilen, muss man sie erst einmal kennen. Und dabei wurden Frauen (um beim Fadentitel zu bleiben) im Laufe der Geschichte wesentlich mehr Hindernisse in den Weg gelegt als Männer sich das überhaupt nur vorstellen können. Das Beispiel Franz Schubert wirkt auf mich an dieser Stelle wie Whataboutism.

In meinen Teenagerjahren dachte ich, Frauensachen und Förderung seien nicht mehr nötig, denn wir hätten ja alle Möglichkeiten. Inzwischen weiß ich, dass wir von gleichen Voraussetzungen und Chancen zwar nicht mehr so weit entfernt sind wie es Frauen im 19. Jahrhundert waren, aber halt auch noch längst nicht da, wo wir sein könnten. Klar, als hellhäutige cis hetero Frau in Westeuropa habe ich vergleichsweise viele Privilegien und bin mir deren auch bewusst, aber das heißt trotzdem nicht, dass hier alles gut ist und dass wir uns alle wieder hinlegen können.

Ich will hier nicht zu weit von der Musik weggehen, und deshalb auf die vermeintlich fehlende Männerförderung nicht eingehen.

Werke können und sollen für sich sprechen. Und ich kenne jede Menge Werke von Komponistinnen, die genau das tun. Ich habe diese Musik kennengelernt, weil es Menschen gibt, die neugierig waren, die angefangen haben, nach Noten zu stöbern, die dafür gesorgt haben, dass die Musik überhaupt erstmal hör- und erlebbar wird, und ich schließe mich in meiner musikalischen Arbeit diesen neugierigen Menschen an. Werke, die mir nicht gefallen oder die ich nicht gut finde, spiele ich nicht - auch ich habe keine Zeit, mich mit Musik zu befassen, die nicht bewegt.

Es gibt so viel Musik von Komponistinnen aus allen Epochen, die hörens- und spielenswert ist und ich freue mich, dass wir diesen Faden hier haben und bin gespannt auf weitere Entdeckungen.
 
Darf ich das Beispiel Montgéroult anführen, die - ich lehne mich da mal ein wenig aus dem Fenster - zu den visionärsten und/oder einflussreichsten Musikern überhaupt gezählt werden darf, die aber bis vor wenigen Jahren selbst in akademischen Kreisen völlig unbekannt war?
Einflussreich war sie sicher, und als Improvisatorin zu Lebzeiten in den Pariser Salons berühmt. Am Conservatoire gehörte sie zu den am besten bezahlten Lehrkräften. Ihre Werke wurden von bekannten Verlegern gedruckt. Unterprivilegiert aufgrund ihres Geschlechtes war sie ganz offensichtlich nicht.

Aber heben sich ihre Kompositionen aus der Masse heraus? Ich befürchte, dass das nicht der Fall ist. Ich habe mit meiner Frau mal eine Violinsonate von Montgéroult durchgespielt, die uns empfohlen wurde. Wir haben sie recht schnell wieder weggelegt. Nicht, weil sie handwerklich schlecht gewesen wäre, aber es gibt halt eine nicht unerhebliche Menge ebenbürtiger oder besserer Werke der Frühromantik - und schon diese werden kaum gespielt. Es ist nun mal so, dass sich unter Tausenden Komponisten höchstens eine Handvoll findet, deren Werke es in den Kanon der Weltliteratur schaffen. Alle anderen gehen in der Masse unter - und dazu gehört auch Helène de Montgéroult.

Wer spielt denn heutzutage noch die Sachen der zu Lebzeiten mindestens so einflussreichen Komponisten Hummel, Kalkbrenner, Dussek, Cramer etc.? Von den unbekannteren Namen ganz zu schweigen. Nichts davon habe ich je im Konzertsaal gehört! Das Bessere ist des Guten Feind - daran wird sich niemals etwas ändern.
 

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